In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der sexualisierten Gewalttaten gegen Frauen in Deutschland fast verdoppelt. Eine erschreckende Zahl für viele. Für andere ein Grund, aktiv zu werden. – Ein Kommentar von Alexandra Magnolia.
Vor wenigen Tagen gab das Bundesinnenministerium die Zahlen der im Jahre 2023 registrierten sexualisierten Gewalttaten bekannt. Es waren 62.404, die gemeldet wurden. Das sind fast doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. 2013 betrug die Zahl 33.756. Man kann davon ausgehen, dass die Dunkelziffer damals wie heute deutlich höher war. Nicht alle Frauen melden sich nach einer erlebten sexualisierten Tat bei den Behörden.
Der Anstieg der sexualisierten Gewalt ist im Kontext der zunehmenden häuslichen Gewalt gegen Frauen zu sehen. Diese ist in den letzten fünf Jahren um 19,5 % gestiegen und speziell im Jahr 2023 um 6,5 %.
Anstieg im Angesicht von Krise und Rechtsruck
Dass es einen Anstieg im Bereich der geschlechterspezifischen Gewalt gab, ist mittlerweile in der Gesellschaft angekommen. Immer häufiger gehen Nachrichten über Femizide durch die Medien. Der Fall der 72-jährigen Gisele P. aus Frankreich hat nochmal vor Augen geführt, dass es in ganz Europa nicht besser aussieht.
Dieser Anstieg mag isoliert betrachtet willkürlich erscheinen, aber setzt man ihn in einen Kontext mit der allgemeinen Lage in Deutschland, so kann man klare Strukturen erkennen. Schon 2022, während der Corona-Pandemie, haben wir gesehen, dass vor allem Frauen in der Krise leiden. Die Gewalt gegen sie war massiv angestiegen.
Aber auch heute, mit der Inflation und den Sparplänen der Ampel-Regierung im Nacken, ist die Stimmung in der Gesellschaft wieder angespannt. Diejenigen, welche die Folgen dieser Umstände zu spüren bekommen, sind wieder einmal Frauen der Arbeiter:innenklasse. Das haben die nun veröffentlichten Zahlen noch einmal bestätigt.
Studie: Arme und Frauen leiden deutlich stärker unter der Krise
Hilfe aus der Politik? Fehlanzeige
Innenministerin Nancy Faeser hat sich als Reaktion auf die veröffentlichten Zahlen geäußert. Die gestiegene Gewalt gegen Frauen sei „unerträglich“ und erfordere ein „noch viel entschlosseneres Handeln“, um Frauen besser vor Gewalt zu schützen. Zum Beispiel sollen Täter zu Anti-Gewalt-Trainings verpflichtet werden, um ihr aggressives Verhalten zu beenden.
Dass die Politik etwas gegen die steigende Gewalt gegenüber Frauen machen möchte, sagt sie schon lange. Doch immer wieder fällt auf, dass in der Praxis wenig davon ankommt. Anträge, die den Paragrafen 218 (Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen) streichen lassen, werden seit Jahren konsequent abgelehnt. So wird Frauen weiterhin das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt.
Außerdem ist Deutschland Anfang des Jahres noch damit aufgefallen, das „Ja heißt Ja“-Prinzip auf EU-Ebene zu blockieren. Hierbei ging es darum, dass nur ein ausdrückliches „Ja“ Einwilligung zum Geschlechtsverkehr bedeutet. Ziel war es, die Richtlinien zu Vergewaltigung zu vereinheitlichen und Gewalt an Frauen zu bekämpfen. Zusammen mit Frankreich stellte sich Deutschland dagegen.
EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen: Deutschland sagt Nein zu „Ja heißt Ja“
Die Antwort: Frauensolidarität
Auch wenn der Staat beim Thema „Gewalt gegen Frauen bekämpfen“ keine Fortschritte in der Praxis macht, heißt das nicht, dass es keine gibt. In der Türkei sind beispielsweise tausende Frauen demonstrieren gegangen, um eine Antwort auf einen brutalen, doppelten Femizid zu geben.
Gisele P. aus Frankreich teilt öffentlich den Kampf gegen ihre Vergewaltiger, setzt damit ein Zeichen und kriegt solidarische Unterstützung von Frauen weltweit. Und auch in Deutschland gibt es Frauen, die es selbst in die Hand nehmen und etwas verändern. Von ehrenamtlich betriebenen Frauenhäusern bis hin zu Demonstrationen am 8. März und am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Ihre Solidarität ermutigt, gerade wenn die Lage vielen anderen aussichtslos erscheint, gegen die Gewalt aktiv zu werden.