Am Dienstagmorgen erschien die mittlerweile 19. Shell Jugendstudie 2024. Heraus sticht, dass über 80 Prozent der Befragten Angst davor haben, dass in Europa ein Krieg ausbricht. In politischen Fragen klaffen die Haltung der Jugend und die Realität der deutschen Politik weit auseinander.
Seit 1953 untersucht der Mineralölkonzern Shell in einer empirischen Jugendstudie etwa alle 4 Jahre die Haltung der Jugend zu verschiedenen politischen Fragen und Interessen, zu ihren Einstellungen, Gewohnheiten, ihrem Sozialverhalten und ihren Wertevorstellungen. Die Studie, die in diesem Jahr das 19. Mal veröffentlicht wird, befragt dabei junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren.
Ängste der Jugend
Ein Teil der diesjährigen Jugendstudie setzt sich mit den größten Ängsten der Befragten auseinander – hierbei werden diese stets mit den letzten Werten von 2019 verglichen. Die Zuspitzung der zwischenimperialistischen Widersprüche und die steigende Häufigkeit von Kriegen spiegelt sich deutlich im Bewusstsein der Jugend wider: Der mit Abstand höchste Wert, auch im Vergleich zu den Ergebnissen aus 2019, zeigt sich dabei in der Angst vor einem Krieg in Europa. So gaben 81 Prozent der Jugendlichen an, sich darum zu sorgen – 2019 waren es noch nur 46 Prozent.
Die darauffolgenden Ängste liegen dabei prozentual recht nah beieinander. So sorgen sich zwischen 60 und 70 Prozent der Jugendlichen vor Armut, Umweltverschmutzung, der wachsenden Feindseligkeit zwischen Menschen, sozialer Ungleichheit, dem Klimawandel und vor Terroranschlägen.
Interesse an Politik steigt – Jugendliche positionieren sich im Durchschnitt leicht links
Seit 2002 steigt das Interesse der Jugend an Politik konstant an. Während damals noch nur 30 Prozent angaben, sich für Politik zu interessieren, sind es mittlerweile knapp 50 Prozent. 37 Prozent der Jugendlichen geben außerdem an, dass es für sie wichtig ist, sich politisch zu engagieren.
Bei der Positionierung auf einer Skala von 1 bis 11, wobei 1 für links und 11 für rechts steht, positioniert sich die Jugend im Schnitt leicht links. Die jungen Frauen befinden sich mit 5,0 rund 0,3 Punkte weiter links stehend als junge Männer. Nur 10 Prozent der Jugendlichen, damit so wenige wie nie zuvor, können sich nicht zuordnen.
Hohes Vertrauen in das Konzept der Demokratie – Differenzen mit der Umsetzung
Die Positionierung der Jugend zur bürgerlichen Politik ist von Widersprüchen geprägt: Einerseits sind drei Viertel der Jugendlichen der Ansicht, dass Deutschland ihnen alle Möglichkeiten bietet, ihre Lebensziele zu verwirklichen. 71 Prozent der Befragten vertrauen darauf, dass alle gemeinsam als Gesellschaft eine lebenswerte Zukunft schaffen können. Andererseits haben viele von ihnen dennoch konkrete Kritiken. Besonders im Osten liegt die Zufriedenheit mit der Politik mit rund 60 Prozent etwas zurück.
So ist über die Hälfte der Meinung, dass Dinge, die in anderen Ländern selbstverständlich sind, in Deutschland nicht funktionieren und dass die Maßnahmen, die vom Staat getroffen werden, ihnen persönlich nichts bringen. Ebenfalls mehr als die Hälfte aller Jugendlichen äußert die Sorge vor zunehmendem Kontrollverlust sowie Ohnmacht und 40 Prozent fühlen sich häufiger benachteiligt.
Außerdem sticht heraus, dass das Misstrauen in die eigene Klasse und das soziale Miteinander steigt. So fehlt 56 Prozent das Vertrauen in die Einsicht ihrer Mitmenschen und – als Kehrseite der Medaille – wünschen sich 44 Prozent der Befragten, dass eine starke Hand Ordnung in den Staat bringt.
Widersprüche zeigen sich auch in der Haltung zu Geflüchteten, deren Aufnahme von vielen als positiv wahrgenommen wird. Jedoch übernehmen zugleich über 40 Prozent das rechte Narrativ, dass Geflüchtete vermeintlich mehr Leistungen erhalten würden als hilfsbedürftige Deutsche.
Jugend fordert starken Staat und zugleich Solidarität mit Palästina
Bei der Befragung der Jugend zu aktuellen Problemen zeigt sich, dass ein großer Teil Probleme hat, sich zuzuordnen. Bei sechs Fragen, die durch Shell als Infografiken aufgearbeitet wurden, ergibt sich, dass sich rund ein Drittel der Befragten gar nicht zuordnen kann oder möchte. Insbesondere in Bezug auf die Beziehung von Deutschland zu Israel zeigt sich eine große Unsicherheit: so vertritt jeweils ein Drittel die Meinung, dass Deutschland eine besondere Verpflichtung habe, keine besondere Verpflichtung hat oder man neutral ist.
In Bezug auf Palästina wünschen sich 52 Prozent mehr Anerkennung des palästinensischen Leids. Das NATO-Bündnis sieht die Jugend insgesamt recht unkritisch, der überwiegende Großteil wünscht sich den Ergebnissen nach sogar eine stärkere NATO.
Unterschiede bei den Geschlechtern
Zwischen den Geschlechtern zeigen sich deutliche Unterschiede: Während Mädchen und junge Frauen sich deutlich mehr für das Thema „Feminismus“ interessieren, geben über zwei Drittel der Jugendlichen an, dass „Männlichkeit“ ein wichtiges Thema für sie sei.
Unterschiede zeigen sich auch in den Wertevorstellungen: So geben fast drei Viertel an, dass sie einen hohen Lebensstandard anstreben. Junge Männer legen mit 43 Prozent außerdem einen wesentlich höheren Fokus darauf, „Macht und Einfluss“ zu haben.
Das Gendern wird von knapp zwei Fünfteln abgelehnt, einem weiteren Drittel ist es egal. Die Zahl der weiblichen Jugendlichen, die sich für geschlechtergerechtes Sprechen und Schreiben aussprechen, ist dabei dreimal so hoch wie die der männlichen Jugendlichen. Auch in der sexuellen Orientierung zeigen sich deutliche Unterschiede: so findet nur ein Zehntel der jungen Männer, die sich als heterosexuell bezeichnen, das Gendern richtig, hingegen ist es fast die Hälfte bei männlichen Jugendlichen mit anderer sexueller Orientierung. Unter den Mädchen und junge Frauen sind die Unterschiede ähnlich stark: so befürwortet über die Hälfte der nicht heterosexuellen weiblichen Jugendlichen das Gendern, während es unter den heterosexuellen nur knapp ein Drittel ist.