Das Staatenbündnis BRICS tagt aktuell in der russischen Stadt Kasan. Geladen sind auch Beitrittskandidaten, darunter der NATO-Staat Türkei. Die teilnehmenden Staatschefs sprechen von der Herausbildung einer „multipolaren Weltordnung“.
Das Staatenbündnis BRICS tagt vom 22. bis 24. Oktober in der russischen Stadt Kasan. Wie jedes Jahr zählen zu den Teilnehmerstaaten die Gründungsmitglieder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (die Anfangsbuchstaben ergeben BRICS). Hinzugekommen sind Anfang 2024 die Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), der Iran, Äthiopien sowie Ägypten.
An dem diesjährigen Treffen beteiligen sich außerdem der UN-Generalsekretär Antonio Guterres sowie etliche potenzielle Beitrittsländer. Berichten zufolge seien dieses Jahr alle 20 führenden Schwellen- und Entwicklungsländer vertreten. Insgesamt wünschen laut Moskau 34 Staaten eine Zusammenarbeit „in verschiedenen Formen“ – darunter Staaten der GUS (die meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion als Gemeinschaft Unabhängiger Staaten), aus Afrika, Südamerika und Südostasien, heißt es.
Blockbildung der „Mehrheit“
„Der Prozess der Bildung einer multipolaren Weltordnung ist im Gange“, so der russische Staatspräsident Vladimir Putin. Dies sei ein „dynamischer“ und „unumkehrbarer Prozess“. Dabei wird betont, dass BRICS keine anti-westliche Allianz sei. Vielmehr sie ein Ausdruck der sogenannten „globalen Mehrheit“.
BRICS steht dank riesiger Mitgliedstaaten wie China und Indien heute für 45 Prozent der Weltbevölkerung. Putin spricht deshalb auch von einer neuen „Weltmehrheit“ des globalen Ostens und Südens. Die westlichen G7-Staaten überholt der BRICS-Staatenbund auch hinsichtlich des Bruttoinlandprodukts. Die Staaten versuchen unter anderem, ein neues Währungssystem alternativ zum US-Dollar zu etablieren. Auch die Kooperation in Technologie und Ressourcenfragen sowie eine Erklärung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Westen sind Gegenstand des Treffens.
Feinde und Partner der NATO
Besonders im öffentlichen Medienfokus steht hier die Teilnahme der Türkei, in Kasan vertreten durch den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Im Zentrum der Aufmerksamkeit befinden sich die Bündnispolitik der Türkei und ihr zunehmend ambivalentes Verhältnis zwischen „Ost“ und „West“. Die unzähligen Verbrechen des türkischen Staats im eigenen Land und in angrenzenden Regionen (z.B. die Bombardierung der kurdischen Bevölkerung in Syrien und im Irak) spielen für die BRICS-Staaten keine Rolle.
Die Teilnahme des langjährigen NATO-Staats Türkei stellt hierbei eine Neuheit dar: Noch nie nahm ein NATO-Mitglied an einem Treffen der BRICS Teil. Besonders das politische Zentrum der BRICS, China und Russland, werden zunehmend offiziell von NATO-Staaten als gegenwärtige bzw. werdende Feinde benannt, die es zu bekämpfen gelte. Dies geht inzwischen so weit, dass hier und da bereits von einer unausweichlich kommenden kriegerischen Konfrontation mit Russland die Rede ist.
Ein Augenmerk gilt aktuell auch der Teilnahme des Iran, der als größter Feind Israels gilt und auch von den USA und von der EU als feindlicher Akteur behandelt wird. Insgesamt sind damit hinsichtlich der gegenwärtigen geopolitischen Konfrontationsherde (Westasien, Ukraine, Taiwan) alle zentralen Gegenspieler des Westens im BRICS-Bündnis anzutreffen.
Gleichzeitig muss im Auge behalten werden, dass es sich bei den BRICS weder um ein militärisches Bündnis wie die NATO handelt, noch um einen so zentralisierten Staatenverbund wie die EU. Es bestehen durchaus tiefere Widersprüche zwischen den Mitgliedsstaaten (wie z.B. zwischen China und Indien oder zwischen den VAE und dem Iran).
Das doppelte Spiel der Türkei
Die Teilnahme der Türkei wird von deutschen Medien durchweg als „politisches Manöver“ gewertet, das keiner kompletten Abkapselung von der EU und der NATO entspräche. Eher gehe es der Türkei darum, über eine gewisse Ambivalenz ihre geostrategische Position zu stärken, auch gegenüber den NATO-Partnern.
So spricht z.B. das Handelsblatt diesbezüglich davon, dass die Türkei und die BRD ihre politisch-militärischen Beziehungen vor kurzem verbessern konnten – untermauert durch zunehmende deutsche Waffenlieferungen an die Türkei. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war erst vergangenes Wochenende in die Türkei gereist – und 40 Euro-Fighter wurden in Auftrag gegeben. Auch in der Migrationspolitik bauen die Herrschenden beider Länder ihre Partnerschaft aus.
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Ebenfalls werden die widersprüchlichen Verhältnisse im Krieg zwischen Russland und der Ukraine angeführt, um die ambivalente Stellung der Türkei zu belegen. So liefere das Land einerseits Waffen an die Ukraine, andererseits würden weiterhin ökonomische Beziehungen mit Russland z.B. im Energiesektor bestehen. Auch die Sanktionen würden nicht mitgetragen werden. Eine klare Abkehr der Türkei vom „westlichen“ Bündnisblock werde jedoch aktuell nicht befürchtet.