Ver.di hat ihre Forderungen für die kommende Tarifrunde im öffentlichen Dienst veröffentlicht. Nach herben Reallohnverlusten in den vergangenen Jahren scheint ein echter Inflationsausgleich weiter unrealistisch.
Zum 24. Januar 2025 starten die Verhandlungen über den Tarifvertrag öffentlicher Dienst von Bund und Kommunen (TVöD). Über 2,5 Millionen Kolleg:innen im öffentlichen Dienst werden vom Tarifvertrag erfasst. Für die Unternehmerseite verhandeln das Innenministerium und die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA).
Am Mittwoch hat die zuständige Tarifkommission von ver.di ihre Forderungen für die Tarifrunde beschlossen: Für die Kolleg:innen fordert sie eine Entgelterhöhung von 8 Prozent, mindestens aber 350 Euro monatlich. Für besonders belastende Tätigkeiten soll es höhere Zuschläge geben. Ausbildungsvergütungen und Entgelte für Praktikant:innen sollen um 200 Euro erhöht werden.
Aufgrund der steigenden Arbeitsbelastung werden 3 zusätzliche freie Tage gefordert. Mit der Einführung eines Zeitkontos soll den Beschäftigten die Wahloption zwischen der Auszahlung von Entgelterhöhungen, Überstunden und Zuschlägen oder von Arbeitszeitausgleich bzw. zusätzlichen freien Tagen ermöglicht werden.
Ebenfalls im Forderungspaket enthalten sind ein neuer Tarifvertrag für Altersteilzeit und ein zusätzlicher freier Tag für Gewerkschaftsmitglieder. Eine bezahlte Arbeitspause für Pflegekräfte und andere Beschäftigte in Krankenhäusern in Wechselschicht soll ebenfalls eingeführt werden.
Die unbefristete Übernahme nach Abschluss einer Ausbildung mit Eingruppierung in die Erfahrungsstufe 2 soll außerdem erkämpft werden.
Unzufriedenheit und Reallohnverlust
Wie groß der Wunsch nach einem guten Tarifergebnis ist, zeigt eine Befragung unter 5.400 Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Laut der Umfrage sind die Beschäftigten zu dem letzten Tarifabschluss von April 2023 geteilter Meinung:
Ein Viertel bewertet das TVöD-Tarifergebnis aus dem letzten Jahr als sehr gut oder gut, 31 Prozent vergeben die Schulnote befriedigend, ein weiteres Viertel ein ausreichend. Ein knappes Fünftel findet, dass der Mix aus 3.000 Euro Inflationsausgleich, einem Sockelbetrag und einer prozentualen Entgelterhöhung nicht ausgereicht habe.
Gleichzeitig zeigen sich mehr als 77 Prozent der Beschäftigten unzufrieden mit der Gehalts- und Besoldungsentwicklung der letzten fünf Jahre. Grund genug haben sie: So waren seit dem vorletzten Tarifergebnis vom Oktober 2020 bis Ende 2022 die Löhne real um 9,8 Prozent gesunken. Schuld daran war die lange Laufzeit von 28 Monaten bei einer kleinen Tariferhöhung von 3,2 Prozent, die jedoch auf Preissteigerungen von 13 Prozent traf.
2023 gab es eine Inflation von 5,9 Prozent. Für 2024 liegt die Prognose bei 2,2 Prozent. Bis Ende 2024 hätten die Löhne also um mindestens 17,9 Prozent steigen müssen, um auch nur den Reallohn vom Oktober 2020 halten zu können. Hinzu kommt, dass die Preise bei Miete, Strom und besonders Lebensmitteln deutlich mehr als der Durchschnitt gestiegen sind. Ebenfalls nicht einberechnet sind die bereits erlittenen Einbußen in den vergangenen Jahren, die erst einmal ausgeglichen werden müssten.
Der letzte Tarifvertrag schob Entgelterhöhungen bis zum März 2024 auf und überbrückte die Zwischenzeit mit steuerfreien Zahlungen. Danach stiegen die Entgelte um 200 Euro plus 5,5 Prozent, was für die Beschäftigten Lohnerhöhungen von größtenteils um die 11 Prozent bedeutete. Ihre Reallohnverluste betragen dennoch teilweise über 6 Prozent, wie folgende Rechenbeispiele zeigen:
- Eine Erzieherin (in Entgeltgruppe S8a/Stufe 6) mit einem derzeitigen Monatseinkommen 3.979,52 Euro brutto erhielte Ende 2024 als monatliches Bruttogehalt 4.409,39 Euro; das heißt 429,87 Euro (10,8 Prozent) mehr.→ Reallohnverlust: etwa 7,1 Prozent
- Ein Müllwerker (in Entgeltgruppe EG3/Stufe3) mit derzeit 2.660,65 Euro monatlichem Bruttogehalt erhielte Ende 2024 als monatliches Bruttogehalt 3.017,99 Euro; das heißt 357,34 Euro (13,4 Prozent) mehr.→ Reallohnverlust: etwa 4,5 Prozent
- Eine Pflegefachkraft (in Entgeltgruppe P8/Stufe 4) mit derzeit 3.448,44 Euro monatlichem Bruttogehalt erhielte am Ende 2024 als monatliches Bruttogehalt 3.849,10 Euro; das sind 400,66 Euro mehr (11,6 Prozent).→ Reallohnverlust: Etwa 6,3 Prozent
Ausblick auf die kommende Runde
In der kommenden Tarifrunde ab Januar müssten also bereits hohe Reallohnverluste der Beschäftigten ausgeglichen werden, bevor von Lohnzuwachs gesprochen werden kann. Ob das gelingt, scheint unwahrscheinlich – die Anfangsforderungen setzen mit 8 Prozent schon niedrig an. Gleichzeitig wird auch für das kommende Jahr mit einer Inflation von 2 Prozent gerechnet.
Es bleibt abzuwarten, wie die Verhandlungsrunden verlaufen. Dass ver.di diesmal tatsächlich von sich aus wegen der Aufnahme der Forderung von 8 Prozent in den Tarifvertrag flächendeckend zum Streik aufrufen wird, ist ebenfalls eher unwahrscheinlich. In der Vergangenheit hatte ver.di oft auf größere und längere Streiks verzichtet und frühzeitig „faule Kompromisse“ mit der Unternehmerseite beschlossen.