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Ukraine-Krieg: Verlängerung, Eskalation oder Kompromiss?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht derzeit Verbündete und sucht nach weiterer Unterstützung. Trotz „Siegesplan“ ist die Lage für die Ukraine nach dem Verlust der Bergbaustadt Wuhledar brenzlig. Unter den jetzigen Bedingungen ist ein Ende des Krieges nicht in Aussicht.

Eigentlich wollte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf einem nun verschobenen Gipfeltreffen seinen „Siegesplan“ vor Vertreter:innen von ca. 50 Unterstützerstaaten genauer vorstellen. Die geplante Konferenz auf der US-amerikanischen Militärbasis Ramstein (Rheinland-Pfalz) wurde nun aber aufgrund einer Absage des US-Präsident Joseph Biden verschoben, er wolle während der Folgenbeseitigung des Hurrikans „Milton“ vor Ort bleiben.

Selenskyj wirbt auf Tour durch Europa für „Siegesplan“

Statt des Gipfeltreffens geht der ukrainische Präsident nun auf eine Tour zu seinen Verbündeten. Heute, am 11.10., wird er Bundeskanzler Olaf Scholz treffen. Den britischen Premierminister Keir Starmer, gemeinsam mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte hatte Selenskyj bereits am Vortag in London getroffen.
Einige Details über Selenkyjs Plan sind bereits bekannt: Ausgehend von den im „Friedensplan“ geäußerten Bedingungen für einen Frieden mit Russland solle dieses alle besetzten Territorien inklusive der Krim zurück geben. Die Krim ist auch von besonderer militärischen Bedeutung: Russlands Flotte im Schwarzen Meer hat dort ihren Stützpunkt und nutzt ihn regelmäßig, um Raketenangriffe auf die Ukraine durchzuführen. Die Ukraine wiederum führte bereits Angriffe auf die Brücken durch, welche die Krim mit dem russischen Festland verbinden.

Der Inhalt des Siegesplans

Da Russland die im „Friedensplan“ geäußerten Bedingungen nicht akzeptiert, soll der „Siegesplan” nun dazu dienen, die Verhandlungsposition der Ukraine verbessern. So nannte der Leiter des ukrainischen Präsidialamts eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine als ein zentrales Element. Ebenfalls fordert die Ukraine weitreichende Raketensysteme, mit denen Ziele tief im Inneren Russlands getroffen werden könnten.
Dies würde zweifelsohne zu einer Eskalation des Kriegs führen. Der russische Präsident Wladimir Putin kündigte bereits an, dass Russland die Nutzung dieser Raketensysteme als offene Kriegserklärung der NATO gegen Russland verstehen würde.

Ebenfalls beinhaltet der Plan, dass anhaltende Waffenlieferungen an die Ukraine beschlossen werden sollen. Bis jetzt ist die Ukraine immer wieder Bittstellerin bei den USA und anderen NATO-Staaten, um spezifische Waffensysteme zu erhalten. Sollte in der kommenden US-Präsidentenwahl im November der Republikaner Donald Trump, der die Militärhilfe an die Ukraine bereits kritisierte, ein zweites Mal gewählt werden, könnte es zu einem geringeren Volumen an Waffenlieferungen kommen.

Einige Quellen berichten ebenfalls von einer Aufnahme der Ukraine in die EU als Teil des Siegesplans.

Selenskyj offenbar zu einem Kompromissfrieden bereit

Während der Siegesplan – groß angekündigt – das Blatt im Krieg militärisch wenden soll, werden auch mehr Stimmen für eine wie auch immer geartete diplomatische Lösung des Krieges lauter. Bisher waren der ukrainische Staat und viele seiner Unterstützer:innen für ihre Kompromisslosigkeit in Fragen von russischer Besatzung von ukrainischem Gebiet und dergleichen bekannt. Nun ist zu hören, dass Präsident Selenskyjs Position bezüglich eines Kompromissfriedens, also ein Ende des Krieges ohne vollständige militärische Niederlage oder Kapitulation Russlands, offener werde. Ebenfalls soll eine Aufnahme in die NATO einigen ukrainischen Quellen zufolge keine notwendige Bedingung mehr für ein Kriegsende sein.
Eine mögliche Alternative zu der im Siegesplan geforderten NATO-Mitgliedschaft könnte eine umfangreiche Sicherheitsgarantie seitens der USA sein. Einigen Quellen zufolge sei Selenskyj unter einer solchen Sicherheitsgarantie auch zu einem Waffenstillstand bereit. Dieser selbst teilte mit, dass er Gespräche mit Putin mittlerweile nicht mehr ausschließe – womöglich mit Vermittlung Chinas.

Kommen Waffenstillstand und Verhandlungen über die Ukraine?

Lage an der Front

Im Juli sprachen sich in einer Umfrage 44 Prozent der befragten Ukrainer:innen für Verhandlungen aus, während dies im Mai 2023 noch lediglich 23 Prozent waren. Die zunehmende Verhandlungsbereitschaft verdeutlicht, dass ein Sieg der Ukraine nicht in Sicht ist. Ein Großteil der kritischen Infrastruktur der Ukraine wurde bereits durch russische Angriffe zerstört. Zwar begann das ukrainische Militär vor zwei Monaten überraschend eine Offensive in der westrussische Region Kursk. Dort kontrollieren sie derzeit ca. 1.000 Quadratkilometer Fläche. Doch die Hoffnung, mit diesem Druckmittel ein Nachlassen der russischen Angriffe auf den Osten der Ukraine zu erzwingen, hat sich nicht erfüllt.
So zogen sich am 2. Oktober ukrainische Truppen nach schweren Kämpfen aus der Stadt Wuhledar zurück. Zwar erlitten die russischen Streitkräfte in den Auseinandersetzungen ebenfalls starke Verluste von bis zu 2.000 getöteten Soldat:innen. Dennoch stellt die Eroberung der einstig 15.000 Einwohner-starken Bergbaustadt einen großen Verlust für die Ukraine dar. Und während Selenskyj in seinen internationalen Treffen stetig um weitere Waffenlieferungen wirbt, hat die ukrainische Armee zudem mit Personalmangel zu kämpfen. Zehntausende neue Rekrut:innen soll sie benötigen. Die noch kämpfenden Soldat:innen sind vollkommen überlastet und erschöpft. Andere versuchen, im Westen der Ukraine das Land illegal zu verlassen.

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Verlängerung des Kriegs, Eskalation oder Kompromiss?

Zusammenfassend lässt sich sagen: unter den jetzigen Bedingungen ist ein Sieg der Ukraine trotz ebenfalls starker Verluste auf russischer Seite nicht in Aussicht. Dies könnte sich ändern, sollten die USA den Bedingungen von Selenskyjs Siegesplan zustimmen. Das würde allerdings eine gefährliche Eskalation bedeuten und von Russland als NATO-Kriegserklärung verstanden werden.

Die letzte Alternative, ein Kompromiss mit Russland, wird mit den zunehmenden ukrainischen Verlusten immer wahrscheinlicher. In all diesen Szenarien wird es jedoch für die Ukraine eine entscheidende Rolle spielen, ob im November die, für Waffenlieferungen aufgeschlossenere, Demokratin und derzeitige Vizepräsidentin Kamala Harris oder ob Donald Trump gewählt werden wird.

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