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Unternehmen und BDI warnen vor Deindustrialisierung: Gefangen im Hamsterrad

Industrievertreter:innen warnen immer wieder vor einem massiven Rückbau der deutschen Industrie und dem Schreckgespenst der „Deindustrialisierung“. Damit einher gehen Forderungen nach Investitionen, Subventionen und Steuererleichterungen. Hinter dieser Angst steckt die Sorge der Kapitalist:innen, im globalen Wettbewerb zurückzufallen und Vermögen zu verlieren. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

Der größte Kapitalverband, der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) hat eine neue Studie zur Transformation der deutschen Wirtschaft veröffentlicht. BDI-Präsident Siegfried Russwurm sprach im September in Berlin von einem „lauten Weckruf“ der Industrie für dringend notwendige Veränderungen in Deutschland. „Das Risiko einer De-Industrialisierung durch die stille Abwanderung und Aufgabe gerade vieler Mittelständler nimmt kontinuierlich zu und ist teils schon eingetreten“, erklärt Russwurm. Die „Probleme im Land türmen sich“ und der Wirtschaftsstandort Deutschland sei „in ernsthafter Gefahr“.

„Wir verlieren Wettbewerbsfähigkeit und fallen im globalen Maßstab ins hintere Mittelfeld zurück“, beklagte Russwurm bereits im Juni. Zuletzt äußerten sich Vertreter:innen aus dem Maschinenbau und der Batterieproduktion und befürchten einen Standortverlust.

Krise über Krise

Insgesamt hat sich die deutsche Wirtschaft noch immer nicht von der Überproduktionskrise 2018/19 erholt. Zusätzlich verhinderte die Coronapandemie einen Aufschwung. Nun herrscht bereits die nächste zyklische Krise. Die deutsche Industrieproduktion liegt immer noch unter dem Vorkrisenniveau vom November 2017 – Tendenz weiterhin fallend.

Das macht sich nicht nur in grauen Zahlen und Statistiken bemerkbar, sondern hat spürbare Folgen. Die Arbeiter:innen müssen vermehrt für die Wirtschaftsmisere aufkommen. Reallohnsenkungen, durch den Staat verhängte Kürzungen im sozialen Bereich und der Gesundheit und dem ständigen Apell, mehr und besser zu arbeiten, bedeuten für Arbeiter:innen eine spürbare Senkung der Lebensqualität.

Vor allem in der Chemieindustrie, in der Stahlindustrie und bei den Autoherstellern und ihrer Zuliefererindustrie laufen mittlerweile massive Sparprogramme, die die Profite der Eigentümer:innen auf dem Rücken der Arbeiter:innen weiterhin absichern sollen.

Der deutsche Imperialismus im Umbau

Die deutsche Industrie, vor allem die Schwerindustrie galt über Jahrzehnte als Motor der deutschen Wirtschaftsentwicklung. Kohle, Stahl und Autos ebneten der BRD den Weg zur Vormacht in Europa nach dem zweiten Weltkrieg. Wenn heute alle diese Industrien entweder bereits größtenteils abgebaut oder in der Krise sind, ist dann die Angst vor dem Verlust der Vormachtsstellung und der wirtschaftlichen Stärke gerechtfertigt?

Ja, das ist sie – aus Sicht der Kapitalist:innen. Für das deutsche Kapital heißt es momentan tatsächlich, dass sich einiges ändern muss, um nicht vollends den Anschluss an die internationale Konkurrenz zu verlieren. Um diesen Problemen Herr zu werden, fordert der BDI Mehrinvestitionen in Höhe von 1,4 Billionen Euro bis 2030. Zudem müsse sich Deutschland als Industrienation neu erfinden.

Ähnlich sprach der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi kürzlich über die Lage in der EU. Die europäische Wirtschaft müsse deutlich innovativer werden, um nicht den Anschluss im Wettbewerb mit den USA oder China zu verlieren, schrieb er in einem Strategiepapier zur EU-Wettbewerbsfähigkeit. Als Lösung sieht er die Aufnahme neuer Gemeinschaftsschulden in Höhe von 750 Milliarden Euro.

Auch der Ukraine-Krieg hat Tempo in die Entwicklungen der globalen Wirtschaftspolitik gebracht, das deutsche Kapitalist:innen zum Teil kaum mehr mitgehen können. Vor allem die Energiefrage und der mehr oder weniger freiwillige Verzicht auf Energie aus dem russischen Einflussbereichs stellt die deutsche Industrie vor die Herausforderung, ihre Produktion umzustellen. Der Staat übernimmt zeitgleich die Verantwortung dafür, dass die Infrastruktur für die „Transformation“ der Industrie in Form vom neuen Stromtrassen und neuen Energiequellen bereitsteht.

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In der Chemie- und Stahlindustrie – beides Zweige, die hohe Mengen an Energie in der Fertigung benötigen – sehen wir bereits die Folgen: hohe Energiepreise und die Notwendigkeit von Investitionen in den Umbau der Industrie führen zu massiven Kürzungsprogrammen in den eigenen Betrieben.

Gleichzeitig werden immer mehr Forderungen nach Subventionen und Investitionen durch den Staat laut. Warum? Weil die Kapitalist:innen weder hohe Kosten noch Umbau aus ihrer eigenen Tasche bezahlen, sondern stattdessen die Produktionskosten weiter senken wollen.

Die Angst vor dem Profitverlust

Schauen wir uns genauer an, was BDI-Mann Russwurm eigentlich fordert, so wird schnell klar, aus welcher Richtung der Wind weht: Der Kapitalvertreter nennt neben den höheren Energiepreisen in Deutschland unter anderem auch eine marode Verkehrsinfrastruktur, ein nicht wettbewerbsfähiges Steuersystem und zu hohe Arbeitskosten als Gründe für die Flaute der deutschen Industrie.

Es zeigt sich hieran, wie sehr die deutschen Unternehmer:innen im kapitalistischen Hamsterrad gefangen sind. Denn ihre Probleme und ihre Angst davor, von der Konkurrenz verschluckt zu werden, sind absolut real. Letztendlich folgt die deutsche Industrie gerade den kapitalistischen Grundgesetzen, wonach sich besonders in Krisenzeiten stärkere Konkurrenz durchsetzt und schwächelnde Konkurrent:innen weiter ins Hintertreffen geraten – und womöglich sogar vernichtet werden.

Für uns Arbeiter:innen heißt es deswegen, dass wir mit einer kapitalistischen Mär aufräumen müssen: Immer wieder will das Kapital uns weismachen, dass es uns allen gut geht, wenn es den Kapitalist:innen gut geht. Doch das ist eine Lüge.

Für uns Arbeiter:innen ist klar, dass wir auch in einer von Grund auf transformierten Industrie noch immer mit unserer täglich neu aufgewendeten Arbeitskraft Waren produzieren, die dann von den Kapitalist:innen veräußert werden – und, dass der Profit bei den Kapitalist:innen und nicht bei uns allen landet.

In diesem Ausbeutungsverhältnis sind wir gezwungen für alle Verluste des Kapitals aufzukommen – zum Beispiel so wie jetzt in dem sich immer mehr zuspitzenden Konkurrzenkampf. Währenddessen wollen die deutschen Kapitalist:innen immer mehr aus uns herauspressen, um ihre Profite abzusichern.

Während also das deutsche Kapital und der deutsche Staat taktieren und manövrieren um international konkurrenzfähig zu bleiben, gilt es für uns, den Blick zu schärfen: Nicht die chinesische Konkurrenz oder die Amerikaner:innen sind verantwortlich für unsere schlechte Lage – sondern die Kapitalist:innen, die uns für ihre Profite ausbeuten.

Mohannad Lamees
Mohannad Lamees
Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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