Vor den Präsidentschaftswahlen in den USA erscheint die politische Stimmung im Land so zugespitzt wie nie zuvor. Die Demokraten mussten ihren Kandidaten im Sommer auswechseln, während es gegen den Republikaner Donald Trump bereits zwei Attentatsversuche gab. Kamala Harris warnt vor dem „Faschisten“ Trump. Dieser droht seinerseits, das Militär gegen „linksradikale Irre“ einzusetzen. Wie ist die Lage einzuschätzen? – Ein Kommentar von Thomas Stark.
Am 5. November wählen die USA einen neuen Präsidentin – oder erstmals eine Präsidentin. Wenn die Wahllokale geschlossen werden, endet der wohl am meisten zugespitzte Wahlkampf in der Geschichte des Landes. Oder er geht in die nächste Runde und wird vor Gerichten, auf der Straße und gewaltsam in US-Regierungsgebäuden weiter ausgetragen – so, wie es 2020/21 nach dem knappen Sieg Joe Bidens gegen den damaligen Amtsinhaber Donald Trump kam.
Verschärfung der politischen Machtkämpfe
Gegenüber 2020 haben sich die politischen Machtkämpfe in den USA jedoch noch deutlich weiter verschärft: Donald Trump ist inzwischen vorbestraft und mit multiplen weiteren Anklagen konfrontiert. Verliert er die Wahl, droht ihm eine Gefängnisstrafe – wobei ihn die Präsidentengarde des Secret Service auch in Haft weiter beschützen müsste. Gegen ihn wurden inzwischen zudem zwei Attentatsversuche unternommen, einem entging er buchstäblich nur um Haaresbreite.
Die Demokraten mussten unterdessen den 81-jährigen Amtsinhaber Joe Biden in Rente schicken, nachdem beim ersten TV-Duell gegen Donald Trump auch dem letzten Fernsehzuschauer klar geworden war, dass Biden kognitiv stark abgebaut hatte. Danach schickte die Partei die Vizepräsidentin Kamala Harris ins Rennen, deren Wahlkampfperformance nach einem kurzen Medienhype heute eher abgeebbt ist.
Tatsächlich hatten dieselben Journalist:innen, die den Harris-Wahlkampf auch in Deutschland zu einer Aufbruchsstory hochgelobt hatten, wenige Wochen zuvor noch Joe Biden die volle Amtsfähigkeit attestiert – und ein notwendiges Weitermachen seinerseits mit den schwachen Umfragewerten seiner Stellvertreterin begründet.
US-Wahlkämpfe sind immer eine große Show. Es fragt sich also, welchen Unterschied der letztendliche Wahlausgang tatsächlich machen würde. Hier kommt es darauf hin, wessen Perspektive man einnimmt.
Unterschiede in der Außenpolitik
Die deutsche Regierung und das deutsche Kapital fürchten eine zweite Amtszeit von Donald Trump. Dieser stand schon in seiner ersten Amtszeit für eine harte Handelspolitik – gerade gegenüber Deutschland. Dessen Strategie besteht seit Jahrzehnten darin, einerseits im Zuge der Westbindung die militärische Anlehnung an die USA zu suchen und insbesondere vom US-Nuklearschild zu profitieren.
Andererseits betreibt der deutsche Imperialismus traditionell eine Geoökonomie, die auf gute Geschäftsbeziehungen auch mit Russland und China setzt. Trump und dessen politisches Umfeld ist dieses deutsche Vorgehen schon lange ein Dorn im Auge. Mit seinem Amtsantritt 2017 kamen etwa die Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen Deutschland und den USA zum Erliegen: „Das ist freier Handel für die, nicht für uns“, hatte der Republikaner damals erklärt.
Dennoch gibt es für Deutschland auch politische Anknüpfungspunkte zum Trump-Lager, und zwar gerade in der Russland-Frage. Denn Trump setzt im Unterschied zur bisherigen außenpolitischen Linie der USA stärker auf eine Annäherung zu Russland zulasten Chinas. Vor diesem Hintergrund verkündete Trump auch großspurig, ein Ende des Ukraine-Kriegs noch vor seinem Amtsantritt im Falle eines Wahlsiegs herbeizuführen.
In Westasien setzt Trump dagegen auf die bedingungslose Unterstützung Israels und befürwortet auch einen israelischen Militärschlag gegen Irans Atomanlagen.
Gegenüber dieser Ausrichtung der Republikaner steht Kamala Harris eher für die Fortführung der Außenpolitik der Biden-Regierung (Demokraten), der sie ja bereits angehört. Damit sind der Handelskrieg und harte Interessenkonflikte mit Deutschland jedoch nicht vom Tisch. Immerhin hat Joe Biden Trumps Strafzollpolitik gegenüber China ziemlich nahtlos weitergeführt.
Auch war es Joe Biden, der kurz vor Beginn des Ukraine-Kriegs bei einer Pressekonferenz neben Olaf Scholz stand und verkündete, im Falle eines Kriegsausbruchs würde das Gaspipeline-Projekt „Nordstream 2” zwischen Deutschland und Russland „beendet“. Im September 2022 wurde die Pipeline dann durch Bombenanschläge erheblich beschädigt.
Harris weniger arbeiter:innenfeindlich als Trump?
Auch aus der Perspektive der amerikanischen Bevölkerung und besonders der Arbeiter:innenklasse stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen Trump und Harris: Das Trump-Lager ist auf eine erneute Amtszeit erheblich besser vorbereitet als 2016. Trump-nahe Think Tanks wie das America First Policy Institute (AFPI) und die Heritage Foundation planen schon seit Jahren beinahe minutiös Maßnahmenpakete zum Umbau des amerikanischen Staats, etwa durch die „Dekonstruktion“ von Behörden – ähnlich wie sie in Argentinien z.B. der ultrarechte Präsident Javier Milei betreibt.
Zugleich will Trump den Repressionsapparat ausbauen, hetzt gegen „Marxisten“ und die „Antifa“ und drohte kürzlich sogar damit, um „linksradikale Irre“ müsse sich notfalls das Militär kümmern.
Dennoch ist die Verbindung aus Imperialismus, Law and Order- und Woke-Kultur, für welche die frühere Staatsanwältin Kamala Harris steht, nicht im Ansatz weniger arbeiter:innenfeindlich. Nicht umsonst ist Harris als Repräsentantin der amerikanischen Eliten eine ebensolche Hassfigur für viele Arbeiter:innenfamilien wie schon Hillary Clinton im Jahr 2016.
Diesen Umstand versucht das Trump-Lager durch die Nominierung des Senators J.D. Vance als Vizepräsident auszunutzen. Dieser stammt selbst aus den weißen Arbeiter:innenschichten der Region Appalachia und hat die Lebenswelt seiner Kindheit 2016 in dem Bestseller „Hillbilly Elegy“ zu Papier gebracht.
Unterm Strich lässt sich das Fazit ziehen, dass die grundlegenden Interessen des amerikanischen Staats sich nicht ändern – egal, ob Trump oder Harris ins Weiße Haus einziehen:
- Weder werden die USA ihren Anspruch als Welthegemonialmacht aufgeben und sich militärisch und politisch aus Europa, West- und Ostasien sowie Lateinamerika zurück ziehen. Die außenpolitischen Unterschiede zwischen ihnen sind vielmehr taktischer Natur.
- Noch wird es der amerikanischen Arbeiter:innenklasse unter der woken Elite-Staatsanwältin Harris besser gehen als unter dem Milliardär und Liebling der US-Finanzindustrie Trump.
Der Machtkampf zwischen zwei rivalisierenden politischen Oligarchengruppen ist zwar mehr als eine Show und wird zur Not mit Gewalt ausgetragen. Man sollte sich davon jedoch trotzdem nicht täuschen lassen: Ein positives Ergebnis für die arbeitende Bevölkerung in Amerika wird diese Wahl zweifellos nicht bringen.