Auch VW ist von der tiefen Krise der deutschen Industrie betroffen und will die Kosten nun auf die Beschäftigten abwälzen. Bis zu drei Werke sollen in Deutschland geschlossen werden. Doch diese Drohung könnte auch Verhandlungsmasse sein, um Lohnsenkungen durchzudrücken. – Ein Kommentar von Paul Gerber.
Am vergangenen Montag, 28. Oktober 2024, hat der VW-Betriebsrat bei einer Betriebsversammlung unter freiem Himmel den Beschäftigten des Konzerns mitgeteilt, welche Sparpläne im Vorstand des größten deutschen Autobauers diskutiert werden. Nach Angaben des Betriebsrats war dieser zuvor von der Unternehmerseite über die Sparpläne informiert worden.
Den wohl größten Aufschrei löst dabei die Diskussion um die Schließung von bis zu drei der zehn VW-Standorte in Deutschland aus, verbunden mit dem Abbau von möglicherweise 10.000 Arbeitsplätzen. Erst wenige Monate zuvor hatte VW die sogenannte „Beschäftigungsgarantie” aufgekündigt, die den Arbeiter:innen des Konzerns einen Arbeitsplatz bis 2029 garantiert hatte. Die letzte Werksschließung des Konzerns ist dabei über 35 Jahre her, als VW 1988 eine Fabrik im US-amerikanischen Westmoreland schloss.
Gut denkbar ist jedoch auch, dass es sich bei dieser Ankündigung mit enormer Symbolkraft zugleich um eine Art Verhandlungsmasse bei den aktuell laufenden Tarifverhandlungen zwischen der IG Metall und dem Konzern handelt. So stuft zumindest Branchenexperte Jürgen Pieper den Vorgang gegenüber t-online ein: „Es klingt, als würde hier die große Keule geschwungen, um Zugeständnisse zu bekommen.“ Für diese Annahme spräche, dass sich die Konzernführung während der Tarifverhandlungen nicht dazu äußern will, welche Werke konkret von der Schließung bedroht sind. Auch gegenüber dem Handelsblatt betonte das Unternehmen auf Nachfrage, man wolle sich nicht an Spekulationen zu vertraulichen Gesprächen zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft beteiligen.
So oder so scheinen die krassesten Einschnitte seit Jahren auf die Arbeiter:innen bei VW zuzukommen: Neben den möglichen Werksschließungen stehen nämlich nach Angaben des Betriebsrats und von sogenannten „Konzern-Insidern“ außerdem Lohnkürzungen zwischen 10 und 18 Prozent im Raum, ebenso Nullrunden beim Nominallohn (also faktische weitere Lohnsenkungen im Vergleich zur Inflation) in den Jahren 2025 und 2026. Überdies wünscht sich die Konzernführung die Kürzung von Sonderzahlungen bei Mitarbeiterjubiläen.
Hintergrund der Diskussion ist eine schwere Überproduktionskrise, welche die ganze deutsche Autoindustrie erfasst hat. VW geht davon aus, dass der Konzern etwa 500.000 Autos weniger als vor der Corona-Pandemie pro Jahr verkaufen wird. Insgesamt würden in Europa 2 Millionen Autos weniger als 2019 abgesetzt. Doch auch die Umstellung auf Elektroautos geht für den Geschmack der deutschen Autoindustrie zu schleppend voran. Die ersten E-Autos von VW, Daimler und Co. schneiden vergleichsweise schlecht gegenüber den chinesischen und US-amerikanischen Konkurrenten ab.
Bei der Auseinandersetzung um den Wolfsburger Weltkonzern und tausende Arbeitsplätze werden wir jedenfalls aller Voraussicht nach „Sozialpartnerschaft” und Staatskapitalismus in Reinkultur erleben dürfen. Denn der Betriebsrat (offiziell die Arbeitnehmerseite) und der deutsche Staat haben beide enorm viel Einfluss im Konzern – beispielsweise hält das Land Niedersachsen immerhin circa 20 Prozent der Aktien.
Während der sogenannte Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer dies als verkrustete Strukturen bei VW kritisiert, die verhinderten, dass der Konzern angemessen auf seine eigene wirtschaftliche Lage reagieren könne, ist die andere Seite der Medaille, dass das sozialdemokratisch geprägte Bundesland Niedersachsen, der Betriebsrat und die IG Metall im Zweifelsfall vermutlich schwere Einschnitte bei den Arbeiter:innen eingehen und mitverhandeln werden.
Im Gegensatz zur Beschäftigungsgarantie, die bei VW nun Schnee von gestern ist, wurde das Versprechen der vielgerühmten „Sozialpartnerschaft” nämlich von der IG Metall in all den Jahren Krise für Krise nie gebrochen.
Und die Ankündigung von Betriebsrätin Daniela Cavallo vom Montag liest sich vor diesem Hintergrund ganz anders: „Niemand kann sich sicher fühlen.“ So schafft sich der Betriebsrat mit der Informationsveranstaltung für die eigene Belegschaft vorsichtshalber jetzt schon einmal die emotionale Grundlage, um jedes Werk, das später nicht geschlossen wird, als großen Erfolg zu verkaufen, der leider nur durch schmerzhafte Lohneinbußen zu machen gewesen sei.