2023 gab es 8 Prozent mehr Asylbewerber:innen als im Jahr zuvor. Mittlerweile scheint die rassistische Abschottungspolitik Wirkung zu zeigen und die Zahl der Asylanträge sinkt. Wie ist das zu bewerten? – Ein Kommentar von Matthias Goeter.
Ein Blick in die Zeitungsspalten des vergangenen Jahres zeigen eine Reihe rechter Parolen:
- Die CSU fordert „eine grundlegende Reform des Asylrechts ohne Denkverbote“ und meint, „in vielen deutschen Städten fühlen sich die Menschen teilweise nicht mehr zu Hause“.
- Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU, wiederum ist sich sicher, dass Geflüchtete „beim Arzt [sitzen] und sich die Zähne neu machen [lassen]“,
- Olaf Scholz, SPD-Bundeskanzler, sieht den Sozialstaat in Gefahr, wenn die Zuwanderung unbegrenzt bliebe.
Unzählige weitere Zitate und Artikel mit ähnlicher Stoßrichtung lassen sich ebenfalls finden, und die rassistische Hetze der AfD unterscheidet sich von den Aussagen anderer Parteipolitiker nur noch vor allem darin, wie offen Gewalt gefordert wird. Es soll der Eindruck entstehen, Schuld an quasi all unseren Problemen seien Geflüchtete, die massenhaft nach Europa strömen würden und unseren Sozialstaat ruinierten.
Solche Parolen, die eher auf den Stammtisch gehören, haben diesen jedoch schon lange verlassen und sind längst in der Politik angekommen: Bezahlkarten für Geflüchtete, Abschottung an den europäischen Außengrenzen, Abschiebungen – die Liste an neuen Maßnahmen und Gesetzen ließe sich noch weiter fortsetzen, und wäre sie dann einmal beendet, würden kommende Woche schon wieder neue Gesetzesinitiativen warten.
Mehr Geflüchtete 2023, mittlerweile sinken die Zahlen
Im Jahr 2022 bezogen 486.000 Menschen sogenannte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Deutschland. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte, erhöhte sich sich diese Zahl bis Ende des Jahres 2023 auf 522.700 Personen um rund 8% (in absoluten Zahlen: 36.700 Personen).
Diese Leistungen erhalten all jene Menschen, deren Asylantrag noch nicht entschieden oder abgelehnt wurde und die auf ihre Abschiebung warten müssen, bzw. nicht abgeschoben werden dürfen.
Gleichzeitig kam es im Jahr 2023 zu 352.000 neuen Asylanträgen (Steigerung von 22 Prozent im Vergleich zu 2022), von denen 51,8 Prozent positiv entschieden wurden, also diesen Menschen eine Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Das bedeutet, dass diese – trotz der restriktiven deutschen Gesetzgebung – als „verfolgt” betrachtet werden und deshalb ein Recht auf Asyl in Deutschland haben.
Seitdem sind verschiedenste Maßnahmen zur weiteren Abschottung getroffen worden. Dass die rassistische Politik wirkt, sehen wir an mittlerweile sinkenden Zahlen von Asylanträgen in Deutschland in diesem Jahr: Von Januar bis September sollen es 24 Prozent weniger Anträge als im Vorjahr sein. Das bedeutet jedoch nicht, dass es damit weniger Gründe zur Flucht gegeben hat.
Asylzahlen und internationale Politik
Dass diese Gründe nicht einfach vom Himmel fallen, zeigen die Fakten: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) veröffentlicht regelmäßig seine Zahlen zu Asyl-Anträgen und -Entscheidungen. In einer Übersicht zur Zahl von Asylanträgen seit Gründung der BRD fallen vier Spitzenzeiten auf: die Jahre 1980, 1991/92, 2015/16 und dann wieder das Jahr 2023, wobei diese immer in Relation zu den Vorjahren betrachtet werden müssen. So war die Anzahl an Menschen, die 2016 einen Asylantrag gestellt haben, doppelt so hoch wie 2023.
Diese vier Jahreshochs sind nicht zufällig: im Jahr 1980 gab es einen Militärputsch in der Türkei, der tausende Revolutionär:innen in den Knast brachte oder zur Flucht zwang. 1991 bzw. 1992 markiert die Zeit mitten im Irakkrieg und nach Beginn des Jugoslawienkriegs, übrigens unter Beteiligung der Bundeswehr. Das Jahr 2015 bedeutete die Hochphase des Bürgerkriegs in Syrien und des Kampfs gegen den Islamischen Staat (IS), während sich der Höhepunkt im Jahr 2023 durch den Ukraine-Krieg erklären lässt.
Festung Europa
Dass in Deutschland und Europa nun die Zahl an Asylanträgen sinkt, liegt an der immer lückenloseren Abschottung der europäischen Außengrenzen und einer Verlagerung von Fluchtrouten, was zulasten der Sicherheit von Geflüchteten geht: Sie erwartet entweder der Tod im Mittelmeer, Folter in libyschen Lagern, oder sie werden zum Spielball der Konfrontation zwischen Russland und dem europäischen NATO-Block, wenn sie die Route über Osteuropa nehmen.
Besonders dramatisch wird das bezeugt durch die tausenden Toten im Mittelmeer in den letzten Jahren. Und: die allermeisten Geflüchteten auf der Welt wagen erst gar nicht den tödlichen Weg nach Europa, sondern sind Binnengeflüchtete oder halten sich in der Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat in Nachbarländern auf.
Krieg, Krise, Klimawandel
Die Gründe zur Flucht sind bei weitem nicht weniger geworden. Noch immer herrscht Krieg überall auf der Welt. Aktuelle Zahlen gehen allein von 1,2 Millionen Geflüchteten im Libanon aus, der Krieg in Gaza geht mit unverminderter Brutalität weiter und zerstört die Lebensgrundlage mindestens genauso vieler Menschen.
Dazu kommen der Krieg im Sudan, und die zunehmende Zerstörung der Lebensgrundlage von weiteren Millionen Menschen aufgrund des Kapitalismus-gemachten Klimawandels schreitet voran. Auch durch die imperialistische Ausbeutung anderer Länder wird Menschen die Existenzgrundlage genommen. Die Anzahl der weltweit Geflüchteten steigt deswegen seit Jahren konstant. Wenn also die Antragszahlen in Deutschland derzeit sinken, liegt das nicht daran, dass es weniger Geflüchtete gäbe, sondern daran, dass sich Europa und Deutschland erfolgreicher abschotten. Langfristig kann dies jedoch nicht gelingen und die ursächlichen Widersprüche nur aufschieben.
In diesem Gesamtkontext also müssen die aktuellen Diskussionen und Auseinandersetzungen rund um Gesetzesverschärfungen und die Vorwürfe von Rassismus gesehen werden: Den Herrschenden in den kapitalistischen Zentren, darunter Deutschland, ist durchaus bewusst, was die Konsequenzen ihrer Kriege und Umweltzerstörung sind. Trotzdem handeln sie entsprechend.
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Wofür Geld da ist
Am Ende führt die Diskussion darüber, wie viel Geflüchtete „uns” denn nun „kosten“, in eine Sackgasse und lenkt von der eigentlichen Frage ab. Denn diese Debatte folgt nur der Logik des Kapitalismus: inwieweit sind Menschen verwertbar oder nicht. Geld ist genug da – es ist vielmehr eine Frage der Verteilung.
Nicht zufällig werden Ukrainer:innen gegenüber anderen Geflüchteten finanziell besser gestellt, obwohl angeblich überall Geld fehlt. An ihrem Wohlbefinden und dem Effekt auf die ukrainische Gesellschaft gibt es ein besonderes Interesse, da der deutsche Imperialismus Kriegspartei im Ukraine-Krieg ist. Und gleichzeitig wirkt dieses Vorgehen als Spaltungskeil zwischen Geflüchteten aus unterschiedlichen Ländern.
Auch an anderen Stellen sieht man, wie die politischen Prioritäten gesetzt werden: So werden beispielsweise einerseits Krankenhäuser, Schulen und Infrastruktur solange kaputt gespart, bis Brücken zusammenbrechen. Andererseits werden 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr locker gemacht und einzig beim Verteidigungshaushalt wird im kommenden Haushalt nicht gespart.
Das zusätzlich rassistische Vorgehen gegen Geflüchtete schafft vermeintliche Sündenböcke, um genau diese politische Prioritätensetzung zu verschleiern und unsere Klasse zu spalten. An uns liegt es, hier Klarheit über die tatsächlichen Interessen politischer Akteure zu schaffen und Solidarität zu üben. Solidarität von unten gegen oben, von links gegen rechts.