Eine neuveröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in diesem Jahr so viele Menschen durch Polizeischüsse getötet wurden, wie seit 25 Jahren nicht mehr.
Als im Leipziger Stadtteil Mockau am 09.10.2024 die Einsatzkräfte verständigt wurden, war diesen vielleicht nicht bewusst, dass ihre Schusswaffe zum Einsatz kommen würde. Sie wurden gerufen, da bei einer 56-jährigen Frau ein psychischer Ausnahmezustand vermutet wurde. Laut Anwohner:innen forderten die Beamt:innen die Geschädigte mehrmals auf, ihr Messer fallen zu lassen. Dann kam der Schuss.
Endgültig aufgeklärt ist die Situation indes noch nicht. Die Betroffene wurde durch den Schuss schwer verletzt, ist aber weiterhin am Leben. Ganz im Gegensatz zu den 17 anderen Personen, die im laufenden Jahr 2024 bereits durch Polizeischüsse ums Leben gekommen sind. Die Fachzeitschrift Bürgerrechte & Polizei, die diesbezüglich Statistiken pflegt, kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Wert der höchste seit 1999 sei. Damals starben 19 Menschen durch von Polizist:innen abgefeuerte Schüsse.
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„Schützenhilfe“ von Kolleg:innen, Politik und Gesellschaft
In diese traurige Erhebung fällt auch das Schicksal einer jungen Frau (20), die am 25.10.2024 in Hessen von Polizeibeamt:innen erschossen wurde. Angeblich handelten die Polizist:innen aus Notwehr. Sie gaben an, dass das Opfer eine Waffe auf sie richtete. Im Nachhinein musste festgestellt werden, dass es keine scharfe Schusswaffe war, welche die Frau gezogen hatte.
Situationen wie diese mögen für die Einsatzkräfte oft schwierig zu bewerten sein: In Sekundenschnelle müssen sie beurteilen, ob eine reale Gefahr besteht. Nichtdestotrotz sind die Polizist:innen darauf geschult, solche Geschehnisse beurteilen zu können. Der Finger am Abzug scheint heute wieder angespannter zu sein als in den letzten 20 Jahren.
Ein Schuss dürfte hierbei nur das allerletzte Mittel sein. Erst recht in Situationen, in denen dieser tödlich enden könnte. Problematisch ist zudem, dass sich stets auf „Notwehr“ berufen werden kann. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, ermitteln immer noch Polizist:innen gegen die eigenen Kolleg:innen. Wenn explizite Videos fehlen, führt dies meist ins Leere.
Beispielhaft sind hierfür Zahlen in Bezug auf Polizeigewalt aus dem Jahr 2021: Insgesamt 2.790 Ermittlungen mündeten in gerade einmal 27 Verurteilungen. Das ist ein Prozent aller Fälle.
Die Politik hält hierbei die schützende Hand über die Polizei. Von links bis rechts wird in den Landesparlamenten nur äußerst selten Kritik geäußert. Viel eher wird von „voller Rückendeckung“ für die Polizei gesprochen, wie im hessischen Koalitionsvertrag. Dabei trifft es zumeist die Schwächsten.
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Häufung gegenüber psychisch Erkrankten und anderen Ethnien
In einem Bericht der Tagesschau vom Juni 2022 spricht ein Kriminologe davon, dass 75 % der durch Polizeibeamt:innen getöteten Personen psychische Erkrankungen gehabt haben sollen. Interessant ist auch, dass viele der Getöteten in Armut, Obdachlosigkeit oder Drogenabhängigkeit gelebt hätten. Statt einen sozialpsychiatrischen Dienst zu kontaktieren, wird in Konfliktfällen häufig die Polizei gerufen. Diese sind mit der Situation dann oftmals überfordert und weiß sich nur mit äußerster Gewalt zu helfen.
Ein weiterer Punkt könnte der Rassismus in den Polizeibehörden sein, der zu Fällen wie dem von Mouhamed Lamine Dramé führt. Der 16-jährige Junge war aus dem Senegal geflohen und lebte in Dortmund. Am 08.06.2022 kam einer Betreuerin der Verdacht, dass Mouhamed Suizid begehen wollte, weshalb sie die Polizei rief. Diese versuchte, ihn zuerst mit einem Taser außer Gefecht zu setzen.
Unmittelbar danach erschoss sie ihn mit einer Maschinenpistole. Die Einsatzkräfte plädierten auf „Notwehr“. Tonaufnahmen wiesen allerdings darauf hin, dass der junge Mann keine Möglichkeit hatte, auf den Taser-Angriff zu reagieren und er somit grundlos erschossen wurde. Solche Fälle gab es in der Vergangenheit häufiger. Dies fällt auch immer mehr Menschen in der Bevölkerung auf.
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