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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Ampel-Aus: Blockade oder Gesetzesmarathon?

Nach dem Ampel-Aus und vor den Bundestagswahlen im Februar sind noch viele Fragen offen. Inmitten des Regierungschaos‘ bleibt nach der K-Frage zusätzlich die Schwierigkeit, was mit den knapp 100 geplanten Gesetzen geschieht. Was wird vor der Neuwahl noch durchgedrückt, was blockiert? – Ein Kommentar von Tabea Karlo.

Nach dem Ampel-Bruch stehen im kommenden Februar Neuwahlen an. Offen bleibt dabei die Frage, was mit den bisherigen, noch offenen Projekten und geplanten Gesetzen der Ampel-Koalition geschieht. Zurzeit liegen allein circa 100 Gesetze auf dem Tisch. Bei der Frage, welche Gesetze vor der Neuwahl noch durchkommen, spielen verschiedene Faktoren eine Rolle:

  1. Minderheitsregierung: Nach der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) und dem darauffolgenden Austritt der Partei aus der Koalition führt Olaf Scholz (SPD) nun eine Minderheitsregierung an. Mehrheiten für Gesetze müssen also gemeinsam mit der Opposition organisiert werden.
  2. Pläne für die nächste Regierung: In der Verabschiedung von Gesetzen dürfte es zurzeit eine große Rolle spielen, welche Parteien nach der Wahl miteinander koalieren wollen. Das wird bei Bündnissen zur Verabschiedung von Gesetzen eine bedeutende Rolle spielen.
  3. Wahlkampftaktik: Auch die Wahlkampftaktik der einzelnen Parteien spielt eine entscheidende Rolle. So haben einige Politiker:innen geäußert, dass sie nicht bereit sind, auf den letzten Metern noch besonders unbeliebte Gesetzesänderungen durchzubringen.
  4. Dringlichkeit: In der Kürze der Zeit wird eine Priorisierung der Gesetze stattfinden. Diejenigen, die für den deutschen Imperialismus besonders relevant oder zeitkritisch sind, werden also vermutlich durchgedrückt, während andere hinten überfallen.
  5. Regierungstaktik: Gesetze, die nicht so sehr im öffentlichen Diskurs stehen sollen, wurden in der Vergangenheit immer wieder, bevorzugt in turbulenten Zeiten, im Schnelldurchlauf durchgedrückt. In diesen Zeiten liegt die Aufmerksamkeit eines großen Teils der Bevölkerung eher auf sehr offensichtlichen Fragen, wie beispielsweise der kommenden Wahl.
  6. Der Zeitfaktor, ob ein Gesetz noch beschlossen werden kann, hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, welche bürokratischen Schritte noch anstehen. Nicht bei allen Gesetzen lassen sich diese bis Februar unterbringen – insbesondere deshalb, weil die Bürokratie zwischen Weihnachten und Neujahr eine Pause macht.

Zeitplan für Gesetze – Wie geht’s weiter?

Die Oppositionspartei CDU hat klargemacht, dass die rot-grüne Minderheitsregierung zumindest bei bestimmten Gesetzen mit ihrer Zustimmung rechnen kann. Für eine feste Zusage will die CDU/CSU aber die Vertrauensfrage abwarten; diese soll laut aktuellem Plan am 16. Dezember gestellt werden. Dann bleibt aufgrund der Bürokratie-Pause zwischen Weihnachten und Neujahr vor allem noch die letzte Sitzungswoche in diesem Jahr übrig, um Gesetze abzustimmen.

Zwischen Union und SPD scheint es hier Einigkeit zu geben, so kündigte Merz gemeinsam mit dem Fraktionschef der SPD Rolf Mützenich (SPD) am Dienstag an, nur noch Gesetze auf die Tagesordnung zu setzen, bei denen man sich einig sei. Merz äußerte sich relativ klar, dass er eine „Zufallsmehrheit“ mit der AfD verhindern wolle.

Während von Zufällen bei Gesetzesabstimmungen eigentlich nicht die Rede sein kann – schließlich sind das ja bewusste Entscheidungen – spricht das Statement trotzdem eine klare Sprache: Für die CDU kommt – immerhin noch– kein offenes Bündnis mit der AfD infrage.

Linke und AfD in Opposition

Linkspartei und AfD blicken weniger freudig auf die kommende Zeit, aus den Diskussionen um Gesetze werden sie herausgedrängt. Bei der Linkspartei dürfte das auf ihre relative Schwäche zurückzuführen sein – sie ist für die Abstimmungen von Gesetzen schlicht und ergreifend keine relevante Kraft und wird es allen Umfragen zufolge auch nach der Wahl nicht sein.

Die Rolle der AfD im Bundestag wird sich laut aktuellen Umfragen eher stärken. Eine offene Zusammenarbeit mit der AfD kommt für viele bürgerliche Parteien allerdings noch nicht infrage. Auch wenn faktisch bereits in der Vergangenheit gemeinsam abgestimmt wurde, ist ein solch offenes Bündnis vor der Bundestagswahl zurzeit aus verschiedenen Gründen nicht denkbar.

Zum einen ist die Stimmung in der Bevölkerung dafür nicht rechts genug. Zum anderen entspricht ein Bündnis mit der AfD tatsächlich zurzeit noch nicht dem Interesse größerer Teile des Kapitals – also derer, die sie ohnehin unterstützen. Die Rolle der AfD besteht zunächst darin, den Rechtsruck der etablierten Parteien zu verschleiern. Grüne, SPD, Union und Co. setzen inhaltlich in ihrer rassistischen Asylpolitik schon längst AfD-Forderungen um und können dabei gleichzeitig auf Parteien verweisen, die noch weiter rechts stehen. Diese Funktion würde bei einem offenen Bündnis wegfallen.

Auch wenn weder CDU noch FDP hundertprozentige Zusagen machen wollen, zeichnet sich doch bereits ein Bild ab, welche Gesetze noch durchkommen könnten und welche eher hinten überfallen.

Preisfrage: Wie steht es um den Haushalt und Ukraine-Unterstützung?

Der Haushalt 2025 wird vermutlich vor der Wahl nicht mehr verabschiedet werden. Stattdessen setzt vermutlich eine vorläufige Haushaltsführung ein.

In Bezug auf die Ukraine geht es zurzeit nicht primär um Geld, sondern vor allem um Waffenlieferungen – das äußerten zuletzt der CDU-Politiker Alexander Dobrindt, aber auch Wolodymyr Selenskyj selbst. Passend dazu werden in diesem Jahr also vermutlich keine neuen Hilfen in Form von Geld abgestimmt.

Die Beschaffungsvorlagen für die Bundeswehr will die Union mittragen, das könnte also vor der Wahl noch durchkommen. Das passt auch zum Profil der CDU, die momentan massiv auf eine noch stärkere Aufrüstung hinwirkt.

Verfassung, GEAS und Asylrechtsreform

Bei der geplanten Reform des Bundesverfassungsgerichts sind sich die Ampelparteien bisher relativ einig gewesen, und auch die Union hatte in der Vergangenheit zugestimmt. Dieses Gesetz könnte vor der Neuwahl durchaus noch mit Stimmen aus den vier Parteien durchkommen. Zuletzt hatte sich hier auch Innenministerin Faeser dafür ausgesprochen, schnell zu einem Beschluss zu kommen – die AfD stellt sich derweil quer.

Zur GEAS-Reform fehlen konkrete Informationen, die Union gab aber laut unterschiedlicher Quellen an, die Reform nicht mehr vor der Bundestagswahl umsetzen zu wollen. GEAS steht für Gemeinsames Europäischen Asylsystem, seine Reform wurde in diesem Jahr beschlossen und muss nun in je nationales Recht gegossen werden. Mit der GEAS-Reform handelt es sich um die größten Einschnitte ins Grundrecht auf Asyl seit dessen Bestehen. Es sieht unter anderem Asylverfahren an den Außengrenzen der EU vor und einen Verteilerschlüssel für anerkannte Asylempfänger:innen in Europa.

Mit Zuckerbrot und Peitsche: Eine Reise durch die Migrationspolitik der Ampel

Am Mittwoch vor dem Ampelbruch hatte die Koalition dazu noch zwei Gesetzesänderungen beschlossen. Dabei sollen bereits jetzt bestehende rechtliche Spielräume genutzt werden, um an Flughäfen vorzeitig zentrale GEAS-Regelungen anzuwenden. Bei dieser Verfahrensform soll das Asylverfahren vor der Einreise – also noch im Transit – durchgeführt werden. Dieses Verfahren soll bereits jetzt bei Personen zur Anwendung kommen, die aus Herkunftsstaaten stammen, die EU-weit eine Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent haben.

Mehr Wehrpflicht, mehr Überwachung – vermutlich erst nach Ampel-Aus

Kurz vor dem Koalitionsbruch brachte die Ampel über Verteidigungsminister Pistorius noch ein Wehrdienstmodell auf den Weg. Die Union gab an, dieses nicht mehr umsetzen zu wollen – die CDU/CSU will nach eigenen Angaben eine „echte“ Wehrpflicht. Die „Mini-Wehrpflicht” der Ampelregierung reicht ihnen nicht aus, sie wollen also lieber die Wahl abwarten, um einen klassischen Wehrdienst durchzusetzen.

Das von der FDP gestützte „Quick-Freeze-Verfahren“ wird nun gestoppt. Ursprünglich war hier geplant, dass für die Speicherung von bestimmten Daten – sofern Verdacht auf eine Straftat besteht – zunächst die Bestätigung eines Richters notwendig ist. Innenministerin Faeser (SPD) sprach sich für strengere Regeln aus, bei denen IP-Adressen immer gespeichert werden dürfen. Die Grünen unterstützen diesen Vorschlag. Letzten Endes geht es hier also vor allem darum, nach der Wahl die Überwachung verstärken zu können und dafür jetzt das „Quick-Freeze“-Verfahren einzustampfen.

Bundestag verabschiedet „Sicherheitspaket“

Im Rahmen des Sicherheitspakets sollen die Behörden mehr Befugnisse erhalten: So sollen Bundeskriminalamt und Bundespolizei leichter auf Daten zugreifen, sie auswerten und biometrische Vergleiche durchführen können. Der Union sind die Maßnahmen bisher nicht repressiv genug, der Bundestag und die Regierung hätten theoretisch die Möglichkeit, einen Vermittlungsausschuss einzuschalten. Nach dem Ampel-Aus scheint das aber unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher sind repressivere Gesetze nach der Bundestagswahl.

Bei Konzernen könnten die Korken knallen

Für einige größere Konzerne sieht es jedoch ziemlich gut aus. Sie dürfen darauf hoffen, dass die strengeren Vorgaben des deutschen Lieferkettengesetzes ausgesetzt werden, bis die europäische Regelung greift. CDU, Grüne und SPD signalisierten hier Einigkeit – „kommt weg“, äußerte sich Scholz schlicht.

Darüber hinaus darf sich das Kapital vermutlich auch über weitere Subventionen freuen: An diesem Freitag findet ein weiterer Gipfel mit Olaf Scholz statt. Nach dem ersten Treffen mit Vertreter:innen der deutschen Monopole und Gewerkschaften hatte er bereits einen „Pakt für die Industrie“ angekündigt – konkret nannte er, Netzentgelte für Firmen deckeln zu wollen. Das würde vermutlich Milliarden kosten.

Soziales muss warten: Bürgergeld, Kindergrundsicherung und Rentenreform

Insbesondere soziale Fragen stehen hingegen eher auf dem Abstellgleis. Sowohl bei den Kürzungen als auch den vorsichtig positiven Reformen zeigt sich die Politik zögerlich. Bei den Kürzungen dürfte das unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass die Ampelparteien vor der Wahl nicht mehr ihr Gesicht für offenen Arbeiter:innenhass hinhalten wollen. Bei den Erhöhungen dürfte es tendenziell damit zu tun haben, dass es nicht genügend Einigkeit über sie gibt und in Zeiten der Krise Regierungen eher zum Streichen tendieren. Die Zusammenstreichung des Bürgergelds wird daher vermutlich aufgeschoben werden.

Über die Rentenreform gibt es keine Einigkeit. Olaf Scholz plant, das Gesetz noch abstimmen zu lassen, eine Mehrheit scheint aber unwahrscheinlich. Ähnlich sieht es mit dem geplanten Ausgleich der „kalten Progression” aus. So nennt man es, wenn die jährliche Lohnerhöhung zu einer steuerlichen Mehrbelastung führt.

Für SPD und Grüne bietet beides vor der Wahl die Chance, sich als Arbeiter:innenparteien zu inszenieren, die CDU pokert eher darauf, die nächste Regierung selbst zu stellen, und will daher den Gesetzen nicht zustimmen. Merz sagte sogar relativ offen, die Partei wolle nicht den „Mehrheitsbeschaffer“ spielen – fürs Deutschlandticket, die Kindergrundsicherung und das Aufstiegs-BAföG sieht es ganz im Sinne „gegen die Mehrheit“ ebenfalls schlecht aus.

Gesetzes-Chaos absichtlich undurchsichtig?

In der Gesetzesfrage herrscht also allgemeines Chaos – bei etwa 100 geplanten Gesetzen und nach dem Koalitionsbruch auch kein Wunder. Insofern gibt es in der Regierung sicher auch tatsächlich ein gewisses Chaos. Auf der anderen Seite erkennen wir in der momentanen Diskussion rund um die Gesetze aber vor allem einen anderen Aspekt: Machtpolitik.

Wie oben bereits dargelegt, ist die Frage, welche Gesetze vor der Wahl noch durchkommen werden, kein Zufall, sondern es wird vor allem darauf ankommen, wer sich durchsetzen kann und welche Interessen das Gesamtinteresse verschiedener Kapitalfraktionen und somit auch Parteien widerspiegelt. Dass SPD und CDU auf gemeinsame Abstimmungen setzen, hängt wiederum mit der kommenden Regierungsbildung zusammen: So stellt die CDU zur Zeit die stärkste Kraft dar, hinter ihr kommt die AfD und darauffolgend die SPD. Will die CDU also nicht mit der AfD koalieren, könnte es auf eine neue GroKo hinauslaufen.

Hier sitzt insbesondere die CDU als größte Oppositionspartei aktuell am längeren Hebel, denn um Gesetze durchzubringen, bedarf es in der Regel ihrer Zustimmung – zumindest wenn die ehemalige Ampel nicht gemeinsam abstimmt. Teilen der Gesetze, die jetzt vermutlich nicht durchkommen, gelingt das vor allem vor dem Hintergrund nicht, weil sie nach der Wahl noch repressiver abgestimmt werden sollen. Und davon ist bei einer Regierung mit CDU-Beteiligung und dem aktuellen Rechtsruck mit absoluter Sicherheit auszugehen.

Tabea Karlo
Tabea Karlo
Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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