Russland soll erstmals Interkontinentalraketen im Ukraine-Krieg eingesetzt haben. Dies geschah als Reaktion auf den Einsatz britischer Langstreckenraketen. Dabei wird auch über den Einsatz von Atomwaffen im Westen diskutiert.
Ziel der Raketenschläge war die Stadt Dnipro im Oblast Dnipropetrowsk. Abgeschossen wurden sie in der südrussischen Region Astrachan am Kaspischen Meer. Die Stadt Dnipro ist ein wichtiger Finanz- und Industriestandort der Ukraine. Berichten zufolge wurden ein nicht weiter erörterter Industriestandort, eine medizinische Einrichtung und Wohngegenden in Dnipro und Umgebung getroffen.
Bei dem Industriestandort handelt es sich mutmaßlich um eine Fabrik vom ukrainischen Staatsbetrieb Piwdenmasch/Juschmasch, der unter anderem Raketen herstellt. Dem Nachrichtensender CNN wurden Fotos von vorgeblichen Überresten zugespielt.
Ukraine setzt erstmals ATACMS-Raketen gegen Ziele in Russland ein
Neue Waffe oder bloß leichte Modifikation?
Laut Einschätzung der Ukraine könnten bei dem Angriff das erste Mal Interkontinentalraketen eingesetzt worden sein, basierend auf Geschwindigkeit und Höhe der Rakete. Ob dem so ist, untersuchen laut Präsident Wolodymyr Selenskyj noch Experten. Wäre das tatsächlich der Fall, wäre das ein klares Warnsignal an die westlichen Verbündeten der Ukraine, denn solche Raketen könnten auch auf weitere Ziele in Europa gerichtet werden und könnten nukleare Sprengstoffe mit sich tragen.
Es bestehen allerdings Zweifel, ob es sich tatsächlich um Interkontinentalraketen gehandelt hat. Laut Analysten deuten die Trümmerteile eher auf schon bekannte Bulava-Raketen hin, die seit den späten 00er-Jahren produziert werden.
In einer Erklärung vom 21.11.2024 sagte der russische Staatspräsident Vladimir Putin, dass der Angriff mit einem neuen Typ Rakete namens Oreschnik ausgeführt wurde, was als Modifizierung der RS-26 vermutet wird. Der Angriff sei eine Reaktion auf ukrainische Raketenbeschüsse mit US-amerikanischen ATACMS-Raketen und britischen Storm-Shadow-Raketen. So sagte Putin; „Wir sehen uns im Recht, unsere Waffen gegen militärische Objekte der Länder einzusetzen, die es zulassen, dass ihre Waffen gegen Objekte bei uns eingesetzt werden“.
Die NATO hatte erst vor kurzem mit der Einweihung einer neuen Raketenstation in Polen Warnsignale gen Moskau gesendet. Diese verfügt nämlich auch über Mittelstreckenraketen, die mit Atomsprengköpfen ausgestattet werden könnten.
Vorbereitungen auf Atomkrieg
Kurz vor dem Angriff hatte Wladimir Putin die russische Nukleardoktrin verändert und so die Schwelle zum Einsatz von Atomwaffen erheblich verringert. In Kombination mit dem Einsatz neuer ballistischer Raketen wird dies in erster Linie als Antwort auf den Einsatz amerikanischer und britischer Langstreckenraketen gewertet, jedoch war es keine spontane Entscheidung: Die veränderte Nukleardoktrin wurde scheinbar schon vor geraumer Zeit vorbereitet, Putin wartete nur auf den passenden Moment, sie zu offiziell zu machen.
Die Möglichkeit einer Eskalation des Ukraine-Kriegs zum Atomkrieg wurde in den beteiligten Ländern wie Deutschland und den USA immer wieder diskutiert. Wie sich durch einen Bericht der New York Times nun herausstellte, wurde das in der US-Regierung ernsthaft in Erwägung gezogen. In einem Meeting im Oktober 2022 sagte Präsident Joe Biden, dass es „das erste Mal seit der Kubakrise“ die direkte Androhung der Nutzung von nuklearen Waffen gäbe, basierend auf hochklassifizierten abgefangenen Nachrichten. Auch den ersten Einsatz von Atombomben seit Hiroshima und Nagasaki stellte er in Aussicht.
Zu dieser Zeit hatte die Ukraine gewisse Erfolge an der Ostfront verbucht und war weiter vorgerückt, und selbst die Einnahme der Krim-Insel unter ukrainische Kontrolle wurde als möglich angesehen. Die CIA erklärte Biden wohl auch, dass in diesem Falle auch die Wahrscheinlichkeit steigen würde, dass Russland Atomwaffen einsetzen würde. Anscheinend soll Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping bei einem Treffen im November 2022 über diese Möglichkeit gesprochen haben und darüber, ob Xi auf Putin einwirken könne, dass keine Atomwaffen eingesetzt werden.
Was jetzt?
Ob Putin mit der Drohung des Einsatzes von Nuklearwaffen ernst macht oder nur blufft, muss letztendlich weiter beobachtet werden. Jedoch scheint der Westen vorerst unbeeindruckt vom Einsatz ballistischer Raketen, zumindest öffentlich. NATO-Sprecherin Farah Dakhlallah sagte am Donnerstag bezüglich des Raketenangriffs: „Der Einsatz […] wird den Kurs des Konflikts nicht verändern oder NATO-Verbündete davon abschrecken die Ukraine zu unterstützen.“
Die Aufrüstungsspirale zwischen Russland und dem NATO-Block begann nicht erst vor kurzem, sondern ist spätestens seit dem Beginn de Ukraine-Kriegs in voller Fahrt. Letztlich bleibt abzuwarten, ob sie sogar zum Einsatz von Atomwaffen führen könnte. Auch die Möglichkeit einer Friedensverhandlung steht noch immer im Raum.