Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Höhe des BAföGs nicht verfassungswidrig gewesen sei, solange Studierende grundsätzlich nebenbei arbeiten können. Auch wenn dafür das Studium aufgegeben werden muss, besteht kein Anspruch auf existenzsichernde Leistungen. Im Zweifel widerspricht dies den versprochenen Aufstiegschancen des Systems. – Ein Kommentar von Janosch Weiß.
Geklagt hatte eine Psychologie-Studentin aus Osnabrück, die als BAföG-Beitrag 2014 zunächst 176 Euro, 2015 dann 249 Euro erhielt. In Leipzig legte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vor, ob die Höhe der Berechnung gegen den sogenannten Anspruch auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz verstoße. Die Richter:innen in Leipzig hatten daran Zweifel gehegt.
Ein weiteres Verfahren einer Berliner Medizinstudentin wegen desselben Frage wurde vom Berliner Verwaltungsgericht bis zur Entscheidung des BVerfGs ausgesetzt. Dieses lieferte jedoch mit Beschluss vom 23. September die herbe Enttäuschung für alle Studierenden: Wer sich das Studium nicht leisten kann, muss eben lohnarbeiten!
BAföG verfassungswidrig: Wie wenig ist genug fürs Existenzminimum?
Gleichberechtigung mit Hindernissen?
In der vor kurzem veröffentlichten Entscheidung stellte das höchste Gericht in Deutschland fest, dass das Recht auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot „kein Recht auf staatliche Leistungen zur Beseitigung von den gesellschaftlichen Verhältnissen geschuldeten Hindernissen für den Zugang zum Studium“ umfasse. Solange eine Lohnarbeit aufgenommen werden könne, gäbe es keine staatliche Pflicht zum Tätigwerden. Dies gelte auch dann, wenn die Aufnahme der Lohnarbeit eben zu einem Abbruch des Studiums führe.
Dabei berücksichtigt das BVerfG durchaus, dass der Staat einen „objektiv-rechtlichen sozialstaatlichen Auftrag zur Förderung gleicher Bildungs- und Ausbildungschancen“ hat und dieser auch insbesondere wegen der herrschenden Bildungsungleichheit gilt. Jedoch ergebe sich daraus „derzeit keine spezifisch auf die Hochschulausbildung bezogene Handlungspflicht des Staates“.
Damit erkennt das Gericht zwar an, dass die Startbedingungen in Deutschland – insbesondere zwischen den Klassen – sehr verschieden sein können, der:die ärmste Student:in jedoch lieber arbeiten gehen muss, bevor der Staat diesen unterschiedlichen Bedingungen abhilft. Im Widerspruch steht die Entscheidung auch mit der offiziellen Anpreisung des BAföGs: Ziel sei es, allen jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren. Außer halt, man ist eben sogar mit Bewilligung von BAföG zu arm – dann gehe man bitte ohne Ausbildung arbeiten.
Zu wenig Geld für Sozialleistungen
Als Begründung für die Entscheidung führt das BVerfG außerdem an, dass für denjenigen Topf, der für Sozialleistungen eingerichtet sei, die Bundesregierung die politische Entscheidung trage, wem dieser zuteil werde. Bedenkt man hierzu noch die Schuldenbremse, muss die Regierung die verfügbaren Mittel priorisieren und verteilen. Irgendjemand muss dabei den Kürzeren ziehen, und hier sind es eben die Studierenden.
Dabei darf uns hier nicht der Fehler unterlaufen, verschiedene Sozialhilfeempfänger:innen gegeneinander auszuspielen bei diesem politischen Spiel um einen möglichst großen Anteil am eben genannten Topf. Vielmehr sollte unser Blick sich Richtung Steuergeschenke oder Aufrüstung wenden. Schnell stellt man dann fest, dass das Geld eigentlich nicht knapp ist – es wird jedoch an politisch opportunen Stellen eingesetzt. Und zu diesen zählen Studierende nicht.
Druck auf Studierende steigt
Nicht erst seit der Corona-Krise geraten Studierende immer mehr in finanzielle Bedrängnisse. Besonders die steigenden Mieten machen ihnen zu schaffen. Etwa Zweidrittel aller Studierender arbeiten schon jetzt neben dem Studium, das trotz alledem meist als Vollzeitstudium angelegt ist. Diese Belastung zeigt sich schließlich in einem Anstieg psychischer Erkrankungen bei Studierenden: Der Druck von Prüfungsamt, Vermieter:innen und BAföG-Amt machen krank. Währenddessen bleibt mit der Entscheidung des BVerfGs dessen Unterstützung aus.
Auch das Studierendenkollektiv, eine sozialistische Studierendenorganisation, die sich bundesweit für die Interessen von Student:innen einsetzt, warnt vor den Folgen der Entscheidung: „Dass das Urteil jetzt kommt, ist fast schon ironisch: erst vor kurzem hat noch das deutsche Studierendenwerk vor sozialer Auslese gewarnt. Extreme Mieten, hohe Zugangsbedingungen und wenig Bafög. All das führt zu 2,8 Millionen Studierenden in prekärer Situation. Das Urteil festigt also die eh schon prekäre Situation und zeigt uns nochmal deutlich, dass keine Politik für uns gemacht wird.“
Es bleibt abzuwarten, ob die Politik sich diese Entscheidung zunutze machen wird. Auch wenn Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sich zunächst sehr wohlwollend äußert und die Wichtigkeit des BAföGs betont, könnte die Feststellung, dass der Staat nicht dazu verpflichtet ist, Studierenden einen zum Leben ausreichenden BAföG-Betrag zu zahlen, zu einer Stagnation oder gar Senkung der Sätze führen – im Kontext der heftigen Kürzungen des Sozialstaats in den vergangenen Monaten und Jahren wäre das nicht verwunderlich.