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Zeitung für Solidarität und Widerstand

„Das Hilfesystem ist nicht darauf ausgelegt, Frauen wirklich zu helfen“ – Interview mit Mitarbeiterin einer Anlaufstelle für Gewalt an Frauen

Gewalt an Frauen ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Währenddessen werden soziale Leistungen und somit auch die Unterstützung von Fraueneinrichtungen gekürzt. Ein Widerspruch, der auf dem Rücken der hilfsbedürftigen Frauen und Mitarbeiterinnen im Hilfesystem ausgetragen wird. Wir haben darüber mit Caro Lauer* gesprochen, die bei einer Anlaufstelle gegen Gewalt an Frauen arbeitet.

Kannst du uns erst einmal etwas über deine Tätigkeit erzählen?

Ich arbeite in einer Anlaufstelle für Frauen, die von Gewalt betroffen sind und für Angehörige, die sich zu dem Thema beraten lassen wollen . Wir sind bundesweit rund um die Uhr erreichbar und bieten vor allem eine Erstberatung an. Das heißt im Hilfesystem sind wir die allererste Anlaufstelle, von der aus weiter vermittelt wird. Beispielsweise an Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen, Polizei oder andere Hilfeeinrichtungen. Damit dieses Angebot rund um die Uhr gewährleistet sein kann, arbeiten wir Mitarbeiterinnen in der Wechselschicht.

Man kann sich das etwa so vorstellen, dass eine Frau, die von Gewalt betroffen ist sich bei uns meldet. Dann rede ich mit ihr und versuche herauszufinden wie man ihr am besten helfen kann. Ist es grade ein Notfall und wir müssen gemeinsam die Polizei rufen? Ist der Fall schon lange her und sie möchte sich lediglich entlasten, oder ist sie noch in einer Gewaltbeziehung, aber motiviert dort raus zu kommen? Wenn das geklärt ist, erarbeiten wir gemeinsam Lösungsansätze und ich verweise sie an weitere Anlaufstellen vor Ort, an die sie sich langfristig und persönlich wenden kann. Zumindest ist das der Idealfall. Das funktioniert allerdings in vielen Fällen nicht gut, wenn es vor Ort keine geeignete Hilfe gibt.

Kannst du ausführen, warum es vor Ort häufig keine geeignete Hilfe gibt?

In vielen Fällen ist eine Weitervermittlung überhaupt nicht möglich. Das fängt schon mal damit an, dass viele Frauen gar nicht unbedingt in der Stadt wohnen, sondern auf dem Land. Hier sieht die Versorgungslage in vielen Teilen Deutschlands sehr schlecht aus. Teilweise müssten die Frauen dann 20-30 Km fahren, um zu einer nächsten Unterstützungseinrichtung zu kommen. Das ist schon mit dem Auto nicht immer so leicht. Für die Frauen, die kein Auto haben, wird das faktisch unmöglich. Doch selbst wenn eine Frau beispielsweise in einer Millionenstadt wie München wohnt, sind hier meistens die gut angebundenen Angebote bereits überfüllt. So gibt es in der Stadt München lediglich 2 Frauenhäuser, die daher so gut wie dauerhaft belegt sind.

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Manchmal scheitert es auch daran, dass die hilfesuchenden Frauen kein Deutsch sprechen. Wir arbeiten zwar mit einem Dolmetscherservice eng zusammen und können dadurch in insgesamt 18 Sprachen mit den Frauen kommunizieren. Die Unterstützungseinrichtungen vor Ort können dies aber häufig nicht und Geld für Dolmetscherinnen ist meist nicht vorhanden. Nicht selten ist die Aufnahme von Frauen in Frauenhäusern dadurch gefährdet.

Die bereits durchgeführten, aber auch die vor uns stehenden Kürzungen durch den Haushalt verschärfen die Lage zusätzlich. Das ist etwas, was wir aktuell an allen Ecken und Enden zu spüren bekommen. Unser Angebot ist zwar nicht direkt davon betroffen, aber fast alle Anlaufstellen, an die wir weiter vermitteln. Das Hilfesystem war in der Vergangenheit ohnehin schon ausgelastet. Das verschärft sich aktuell massiv.

Vor kurzem musste beispielsweise eine von vier Hilfestellen gegen Stalking in Deutschland schließen, weil ihnen Gelder gekürzt wurden. Wenn ich heute versuche, eine Frau vor Ort weiter zu vermitteln, dann sieht das meistens so aus, dass alle Frauenhäuser belegt sind, die Beratungsstelle erst in vielleicht 6 Wochen einen ersten Termin anbieten kann und die Polizei erst eingreifen kann, wenn eine akute Bedrohung besteht, oder Gewalt bereits ausgeübt wurde.

Das klingt sehr frustrierend. Vielleicht kannst du etwas näher darauf eingehen, wie sich die aktuelle politische Lage auf eure Arbeit auswirkt.

Klar. Wir müssen uns dabei vor Augen halten, dass Gewalt an Frauen aktuell in Deutschland, aber auch weltweit, massiv ansteigt. Mittlerweile kann man davon sprechen, dass jeden 2. Tag eine Frau in Deutschland umgebracht wird (Anm. d. Red.: Neue BKA-Statistik zeigt 360 Femizide im Jahr 2023 – also ein Femizid am Tag). Das Erstarken des Faschismus und das daraus hervorgehende traditionelle Rollenbild spiegelt sich eben auch im Anstieg von Gewalt gegen Frauen wieder.

Ich hab ja eben auch schon mal die Kürzungen durch den Haushalt angesprochen. Die gibt es ja nicht nur im sozialen Bereich, in dem die Gelder und somit auch Stellen für viele Hilfseinrichtungen gestrichen werden. Sondern eben auch bei Kürzungen im Bürgergeld, oder anderen Sozialleistungen. Das führt natürlich bei viele Frauen eben auch zu einer finanziellen Notlage und damit auch zu einer größeren Schwierigkeit aus gewaltvollen Beziehungen raus zu kommen.

Gentrifizierung, Wohnungsnot und steigende Mieten sorgen dafür, dass viele Frauen sich faktisch keine Wohnung leisten können, oder z.T. Jahrelang in Frauenhäusern unterkommen müssen, die dann wiederum keine neuen Frauen aufnehmen können. Zunehmende weltweite Kriege und Krisen sorgen zusätzlich dafür, dass Gewalt an Frauen ansteigt. All das kriegen wir natürlich auch in unserer Arbeit zu spüren.

Wie wirkt sich das konkret auf eure Arbeitsbedingungen aus?

Wir merken insgesamt, dass unsere Beratungsarbeit intensiver wird und die Anfragen steigen. Ganz konkret ist unser Beratungsaufkommen enorm gestiegen – um ca. 30 Prozent. Gleichzeitig werden aber nicht mehr Stellen finanziert, was wiederum für uns eine größere Arbeitslast bedeutet. Verbunden mit der Wechselschicht ist das eine große Belastung.

Das führt natürlich wiederum dazu, dass wir als Mitarbeiterinnen schneller an unsere Erschöpfungsgrenze kommen oder mehr Regenerationszeit brauchen. Konkret kann man beobachten, dass eben auch die Krankheitstage unter uns Kolleginnen zugenommen haben. Wenn man eine besonders anstrengende Schicht hatte, die nicht gut besetzt war und deswegen enorm belastend war, muss man sich am darauffolgenden Tag manchmal als arbeitsunfähig melden. Das führt wiederum dazu, dass die Schicht durch die schlechte Besetzung für die Kolleginnen in der Schicht wiederum sehr anstrengend ist. Also ein Teufelskreis.

Weniger Arbeit und dadurch auch geringere emotionale Belastung ist allerdings für viele Kolleginnen nicht möglich, weil dies bei Teuerungen und Kürzungen zusätzlich noch ein geringeres Einkommen bedeuten würde. Die meisten von uns arbeiten sowieso nicht in Vollzeit, da eine Vollzeitstelle in dem Umfang auf Dauer nicht haltbar ist. Seit Jahren fordern wir schon für unsere Stelle ein höheres Gehalt, eine Kollegin ist sogar einmal vor Gericht gezogen. Getan hat sich aber seitdem kaum etwas.

Unsere Arbeit wird also nicht nur nicht wertgeschätzt, sondern unsere emotionale und körperliche Belastung durch Wechselschicht und durchgängige Arbeit zum Thema Gewalt an Frauen wird billigend in Kauf genommen. Die geringe Rente durch dauerhafte Teilzeitarbeit und z.T. unsichere finanzielle Lage durch befristete Verträge versetzt also viele Mitarbeiterinnen in eine Lage, die es für sie im Zweifel schwierig macht, aus genau den Bedingungen raus zu kommen, gegen die wir versuchen durch unsere Arbeit anzukämpfen.

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Welche Ansätze siehst du zur Verbesserung der Probleme?

Naja, natürlich würden mehr finanzielle Mittel helfen. Es würde ermöglichen sowohl bei unserer Stelle, als auch bei weiteren Angeboten des Hilfesystems, die Arbeitslast auf mehr Schultern aufzuteilen. Doch gleichzeitig müssen wir uns auch vor Augen halten, dass auch mehr finanzielle Mittel nicht alle Probleme beheben würden.

Denn wenn wir der Realität ins Auge blicken, dann sorgen nicht alleine die wenigen Gelder dafür, dass das Hilfesystem an seine Grenzen stößt. Es fängt ja schon dabei an, dass viele Stellen sich gar nicht zuständig fühlen und manche Frauen immer weiter verwiesen werden, weil ihr Fall zu kompliziert oder zu außergewöhnlich ist.

Hinzu kommt, dass die Polizei als ausführende Gewalt erst agieren kann, wenn Gewalt stattgefunden hat. Drohungen oder bereits bestehende psychische Gewalt reicht hierfür in den meisten Fällen nicht aus. Und auch wenn die Frauen sich trauen Anzeige zu erstatten, dann ist Gewalt eben in den meisten Fällen nicht nachweisbar. Zudem werden erst mal Ermittlungen durchgeführt, die sich über mehrere Monate erstrecken können. Eine Zeit in der die Frauen nach wie vor nicht vor der Gewalt geschützt sind.

Durch das Gewaltschutzgesetz kann zwar recht unbürokratisch ein Kontaktverbot erwirkt werden. Hier drohen dem Täter aber – wenn überhaupt – in den meisten Fällen bei Nichteinhaltung nur Geldstrafen. Weitere Konsequenzen folgen in den meisten Fällen nicht. Darüber, dass nur bei einem geringen Anteil der Anzeigen Anklage erhoben wird und noch weniger verurteilt werden, muss ich gar nicht anfangen.

Die Aufgabe der Beratungsstellen vor Ort ist also häufig auch die zum Umgang und zur Akzeptanz der Gewalt zu beraten, anstatt gegen diese Gewalt zu kämpfen. Das zeigt mir immer wieder: das Hilfesystem ist nicht darauf ausgelegt Frauen wirklich zu helfen, geschweige denn Gewalt an Frauen zu beenden.

Was denkst du woran könnte das liegen?

Wir müssen uns letztlich vor Augen halten, was die Funktion von Gewalt im kapitalistisch-patriarchalen System ist. Gewalt soll uns als Frauen in unsere uns zugewiesene Rolle drängen. Wir sollen uns fügen in unsere Rolle als Hausfrau und dem Mann gegenüber unterwürfig sein. Wer sich nicht durch integrative Methoden fügt, bekommt die Auswirkungen in Form von Gewalt zu spüren.

Sie soll uns davon abhalten uns als Frauen gegen die Unterdrückung, die wir erfahren, aufzuheben und zusammen zu schließen. Sie soll uns klar machen, wo unser Platz in diesem System zu sein hat. Das heißt also dieses System hat gar kein Interesse daran Gewalt an Frauen zu beenden. Das Hilfesystem versagt also nicht, es funktioniert genau so wie es soll. Das ist allerdings natürlich schwer auszuhalten, wenn man Teil des Hilfesystems ist. Ein Widerspruch, an dem regelmäßig Kolleginnen verzweifeln.

Was denkst du könnte denn stattdessen eine Antwort auf Gewalt an Frauen sein?

Ich glaube, dass wenn wir Gewalt an Frauen wirklich beenden wollen, dann dürfen wir uns eben nicht nur auf Angebote auf dem Hilfesystem stützen. Versteh mich nicht falsch, ich glaube viele Personen, die in diesem System arbeiten, geben ihr Bestes und haben sehr gute Absichten. Aber langfristig können wir nichts verändern, wenn wir immer nur Symptome bekämpfen, anstatt den Ursprung der Probleme anzugehen.

Das Problem ist der Kapitalismus und das Patriarchat und das werden wir nicht besiegen, wenn wir lediglich bessere Bezahlung, oder Reformen fordern. Ich glaube wir müssen einen Schritt weiter gehen. Damit meine ich, dass wir uns als Arbeiterinnen und Teil des Hilfesystems darüber bewusst werden müssen, welche Kraft wir als Arbeiter:innenklasse haben, wenn wir uns zusammen schließen und für ein gemeinsames Ziel kämpfen. Und das wir uns trauen sollten für ein System einzusetzen, welches frei ist von Ausbeutung und Unterdrückung, frei von Gewalt an Frauen. In dem wir als Fachkräfte nicht verheizt werden in einem Kampf, den wir nicht gewinnen können. Sondern wir uns wirklich konkret der Bekämpfung des Patriarchats und Beendigung von Gewalt an Frauen widmen können.

*Name geändert

Perspektive Online
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