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Zeitung für Solidarität und Widerstand

„Der Staat will uns einschüchtern, erreicht aber das Gegenteil!“

Am 25. September durchsuchte der Staatsschutz im frühen Morgengrauen vier Wohnungen von Aktivist:innen des Solidaritätsnetzwerks Augsburg. Im Interview schildern sie die Hintergründe und ihren Umgang damit.

Ende September kam es zu Hausdurchsuchungen bei euch. Wie sind diese abgelaufen?

Die vier Hausdurchsuchungen sind recht unterschiedlich abgelaufen: Bei uns allen fanden sie dabei zeitgleich um 6 Uhr morgens statt. Während die einen von den Polizist:innen schikaniert worden sind, haben sie bei den anderen keine unnötigen Witzeleien gemacht. Die Hausdurchsuchungen haben bis zu drei Stunden gedauert.

Die einen Wohnungen haben sie recht ordentlich zurückgelassen, die Wohnung eines Genossen hingegen komplett verwüstet. Da haben wir einen ganzen Nachmittag gebraucht, das ganze Chaos wieder aufzuräumen. Auffällig ist auch, dass sie bei der einzigen Frau der vier Betroffenen die Tür eingetreten haben und schreiend in die Wohnung gestürmt sind. Bei allen anderen haben sie geklingelt. Wahrscheinlich wollten sie die Genossin damit zusätzlich einschüchtern.

Was wird euch vorgeworfen und wie bewertet ihr den Vorwurf?

Die Staatsanwaltschaft Augsburg wirft uns vor, dass wir im Oktober letzten Jahres mit laminierten Flyern die Erklärung der Föderation Klassenkämpferischer Organisationen (FKO) vom 9. Oktober 2023 verbreitet haben sollen. Uns wird dadurch die Billigung und Belohnung von Straftaten nach §140 StGB vorgeworfen. Dieser Vorwurf ist jedoch absolut konstruiert.

Die Erklärung der FKO beschäftigt sich mit den Ereignissen des 7. Oktober in Israel und Palästina: Da in ihr zu lesen ist, dass der Widerstand des palästinensischen Volkes grundsätzlich legitim ist, werden wir nun verfolgt. Gleichzeitig finden sich in der Erklärung Distanzierungen von islamisch-fundamentalistischen Kräften wie der Hamas sowie von religiösem Fundamentalismus, antisemitischen Pogromen und patriarchaler Gewalt.

Das wird auch der Augsburger Polizei und dem Staatsschutz nicht entgangen sein. Daher kann man davon ausgehen, dass sie diesen Vorwurf bewusst konstruiert haben, um einen Vorwand zur Durchsuchung unserer Wohnungen zu haben. Damit haben sie einen Durchsuchungsbeschluss beantragt, in dem – völlig entstellt und aus dem Zusammenhang gerissen – einzelne Passagen der Erklärung als Begründung aufgeführt wurden. In den Durchsuchungsbeschlüssen wurde unter anderem auch die Parole „Free Palestine“ als Grund für den Vorwurf angeführt.

Wie hat sich die Palästina-Bewegung in Augsburg entwickelt und wie bewertet ihr die Repressionen in dem Zusammenhang?

Angefangen hat die Bewegung mit nicht angezeigten Demonstrationen in der Augsburger Innenstadt, die sehr schnell von den Ordnungskräften unterbunden wurden. Die Teilnehmer:innen, viele mit migrantischen Hintergrund, haben dabei das volle Maß an Repressionen erfahren. Zeitweise wurde sogar verboten, auf Palästina-Demos den Begriff „Genozid“ zu verwenden. Das konnte allerdings erfolgreich abgewehrt werden.

Das Solidaritätsnetzwerk Augsburg und andere fortschrittliche linke Organisationen haben sich schnell mit der Bewegung solidarisiert und diese unterstützt. Und auch heute sind wir mit der Bewegung verbunden und besuchen deren Veranstaltungen und Aktionen regelmäßig. Aktuell finden immer im Wechsel je eine Samstagsdemo und eine Montagsmahnwache am Königsplatz Augsburg statt.

Insgesamt beobachten wir in Deutschland, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung Stück für Stück immer weiter ausgehöhlt wird. Jede:r, der oder die sich nicht an die „Staatsräson“ hält und eine andere Meinung kundtut, als in den Staats- und Konzernmedien verbreitet werden, muss aktuell mit Repressionen rechnen.

Schließlich möchte der deutsche Staat seine imperialistischen Interessen verteidigen und überzieht aus diesem Grund palästina-solidarische Aktivist:innen mit Repressionen. Dem müssen wir entschlossen entgegentreten und trotz Repression widerständig bleiben. Vor allem müssen wir aber erkennen, dass der Ursprung der Repressionen die imperialistischen Interessen des deutschen Staates sind, und müssen daher auch unseren Kampf für ein freies Palästina mit dem Kampf gegen den deutschen Imperialismus verbinden.

Bereits in der Vergangenheit haben linke Gruppen Augsburg als „Experimentierfeld“ der Polizei bezeichnet, die schaut, wie weit sie im Kampf gegen links gehen kann. Wie schätzt ihr das ein?

Ja, das Offene Antifaschistische Treffen Augsburg (OAT) hat die Entwicklung der Repression in Augsburg so eingeordnet und dem würden wir grundsätzlich zustimmen. In Augsburg sind auch die besten Voraussetzungen gegeben, um als Experimentierfeld zu dienen. Die Staatsanwaltschaft hier in Augsburg ist besonders rechts.

Darüber hinaus ist sie bekannt für ihre harten Strafforderungen. Seit ca. 2018 nimmt die Repression in Augsburg zu. 2020 hat sie einen Höhepunkt erlebt und seit ca. 2022 erleben wir in Augsburg komplett verrückte Zustände an Repression. Hier ist alles möglich: Du kannst für Stickern dein Handy verlieren, wirst für politische Socken zu einer Geldstrafe verurteilt oder für ein paar auf Wänden aufgetauchte Schriftzüge erhältst du das Komplettpaket des Überwachungsstaats mit Staatstrojaner, Telekommunikationsüberwachung, Observation etc..

Diese Repression spitzt sich allerdings nicht im luftleeren Raum zu. Sie wächst mit den Erfolgen, die wir als revolutionäre und klassenkämpferische Bewegung erzielen. So absurd es klingen mag, aber die Repression ist ein Zeichen dafür, dass wir etwas richtig machen und der Staat unserem steigenden Einfluss etwas entgegensetzen muss.

Ihr habt noch am Abend der Durchsuchungen mit einer Spontan-Demo reagiert. Haben euch die Hausdurchsuchungen nicht eingeschüchtert?

Na klar hätten wir alle auf diese Hausdurchsuchungen gern verzichten können. Eingeschüchtert haben sie uns allerdings nicht. Wir sind davon überzeugt, für das Überleben des palästinensischen Volks und für dessen Selbstbestimmung einzutreten. Und wenn man selbst von dem überzeugt ist, was man tut, dann kann einem die Repression nichts anhaben.

Vielmehr stärkt sie deine Moral und deinen Kampfgeist. Denn jetzt werden wir erst recht unsere Stimmen erheben für ein Volk, das gerade einen Genozid erlebt und gegen einen Staat, der für seine imperialistischen Interessen über Leichen geht. Dementsprechend haben wir also viel mehr dadurch gewonnen als die Klassenjustiz in unseren Wohnungen.

Wir werden demnächst eine Spendenaktion über die Rote Hilfe e.V. starten. Insgesamt wurden elektronische Geräte und anderes Material im Wert von mehr als 5.400 € beschlagnahmt. Wir gehen davon aus, dass uns dieses wohl länger fehlen wird und haben bereits angefangen, es aus eigener Tasche zu ersetzen. Hinzu kommen noch die Kosten für unsere Anwält:innen. Ein großer Dank geht auch nochmal an alle Genoss:innen, die uns in Augsburg und vielen anderen Städten, in denen parallel zu unserer Demonstration spontan Solidaritätsaktionen stattfanden, solidarisch unterstützt haben.

Spendenkonto

Rote Hilfe e.V.
DE58 4306 0967 4007 2383 60
Betreff: Laminate Augsburg

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 92 vom November 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

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