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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Die blutige Geschichte der deutschen Stahlindustrie

Deutschland ist der größte Stahlproduzent in der EU und befindet sich doch in einer seiner größten Krisen. Der Wohlstand der Stahlkonzernchefs beruht jedoch auf jahrzehntelanger Ausbeutung – und noch heute werden tausende Arbeitsplätze auf der Jagd nach mehr Profiten verzockt. – Ein Kommentar von Marceline Horn.

Deutschland ist der größte Stahlproduzent in der EU und einer der größten auf der Welt. Zwei Drittel der Industrieplätze Deutschlands sind mit etwa 4 Millionen Arbeiter:innen in stahlintensiven Branchen beschäftigt, 80.000 arbeiten direkt in der Stahlindustrie. Dadurch hängen viele Stellen in der Industrie auch an der Stahlproduktion selbst.

Während die Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl) ihr 150-jähriges Jubiläum feiert, steckt die Stahlindustrie jedoch in einer tiefen Krise: Im Jahr 2023 wurden 32,8 Millionen Tonnen Rohstahl produziert. In den letzten 60 Jahren wurde allerdings das letzte Mal nur während der Finanzkrise 2009 etwas weniger Stahl produziert. Der kapitalistische Verband nennt dabei als Gründe hohe Strompreise und die zunehmende Konkurrenz aus Asien.

Werksschließungen und Lohnkürzungen auf dem Rücken der Belegschaft

Am Ende des Tages leiden an der Krise aber die Arbeiter:innen. Im August 2024 wurde gestreikt und es gingen Hunderte in Duisburg auf die Straße, nachdem Kürzungen in der Produktion und dem damit verbundenen Stellenabbau angekündigt wurden. Nach deutschem Streikrecht sind Streiks in Reaktion auf Kürzungen und Stellenabbau jedoch verboten und dürfen nur im Rahmen von Tarifverhandlungen von Gewerkschaften ausgerufen werden. Ziemlich zynisch und realitätsfern in Anbetracht der Tatsache, dass die Lebensgrundlage Tausender in Gefahr ist und man es – rein rechtlich gesehen – einfach hinnehmen müsste, diese zu verlieren.

Allgemein befindet sich aber nicht nur die Stahlindustrie, sondern die gesamte Wirtschaft schon seit Jahren in einer Krise. So liegt die deutsche Industrieproduktion immer noch unter dem Vorkrisenniveau vom November 2017. Deutschland fällt als imperialistisches Zentrum zurück, wodurch bei der deutschen Bourgeoisie alle Alarmglocken läuten und überall „Investitionen“ und „Steuererleichterungen“ gefordert werden, wobei zugleich zur Sicherung des Profits die Löhne der Arbeiter:innen gedrückt werden.

Unternehmen und BDI warnen vor Deindustrialisierung: Gefangen im Hamsterrad

Besonders ist die Autoindustrie in Deutschland betroffen. In Köln schickt Ford Arbeiter:innen in Kurzarbeit und selbst der VW-Konzern, der bisher als einer der sichersten Arbeitsstandorte galt, schiebt die Kosten auf die Belegschaft ab und möchte Werke schließen.

Wie wurde Deutschland zum Stahlgiganten?

Eine riesige Stahlindustrie, auf die ein Großteil der gesamten Industrie des Landes aufbaut, lässt sich auch nicht einfach aus dem Nichts aufbauen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie tief der Aufbau dieses Industriezweigs mit der schärfsten Waffe des Kapitalismus, dem Faschismus, verquickt ist.

Alfried Krupp übernahm 1943 die Friedrich Krupp AG in Essen. Schon 1938 trat er der NSDAP bei. Dabei hatte er enge Kontakte zu hohen Mitgliedern der Partei und wurde von den Nationalsozialisten unterstützt, wobei Krupp die Eroberungskriege zu seinen Gunsten nutzte, um in der Bourgeoisie aufzusteigen. So wurden mehr als 100.000 Menschen als Zwangsarbeiter:innen eingesetzt, wobei sogar die Planung neuer Produktionsstandorte nach ihrer Verfügbarkeit ausgerichtet wurde.

Nachdem er 1948 zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, konnte er 1953 schon wieder sein Unternehmen leiten, ohne größere Verluste machen zu müssen. Seine „Kameraden“ schützte er weiterhin, indem er Ex-Häftlinge der Haftanstalt Landsberg unterstützte, in der die Hälfte einen Hintergrund bei der SS hatte. Insgesamt gab es in der BRD keine konsequente Entnazifizierung, wodurch Profiteure wie Krupp mit nur wenigen Konsequenzen weitermachen konnten – „business as usual“. Das Versprechen „keine Waffen mehr zu produzieren“ und eine verkürzte Haft haben dafür wohl ausgereicht.

Besonders jetzt sehen wir wieder eine erneute Faschisierung im Zuge kapitalistischer Krisen: Der Lohn der Arbeiter:innen wird gedrückt, Migrant:innen werden verantwortlich gemacht und sollen abgeschoben werden. Zugleich soll aber gezielt Migration von Facharbeiter:innen gefördert werden, damit so profitabel wie möglich ausgebeutet werden kann – dabei nehmen patriarchale Rollenbilder und Gewalt zu.

Trotz aller Krisen ist es dann wieder nicht die Kapitalist:innenklasse, sondern die Arbeiter:innenklasse, die den Preis dafür zahlt – zugleich wird der Staat umstrukturiert, um mehr Repressionen gegen fortschrittliche, klassenkämpferische Bewegungen auszuüben. Dabei wirkt der Faschismus nicht nur über seinen parlamentarischen Arm der AfD auf die Politik ein, sondern bestimmt derzeit sogar den Kurs der bürgerlichen Parteien, welche die rassistischen, arbeiter:innen- oder queer-feindlichen Gesetze im Sinne der Konzerne machen.

Was wir aus den Streiks aus den 80ern lernen können

Krisen im Kapitalismus sind nichts Neues, auch nicht in der Stahlindustrie. Bereits in den 80ern befand sich die Industrie in einer großen Krise, und trotz Repressionen sind Arbeitskämpfe wichtig und der Streik bleibt eines unserer stärksten Mittel: In der damaligen Krise wollte Krupp das Werk in Duisburg-Rheinhausen schließen, wodurch 5.000 Arbeitsplätze gefährdet waren. Zehntausende versammelten sich daraufhin im November 1987, im Dezember kamen Unterstüzer:innen hinzu und es gab einen breiten Streik im gesamten Ruhrgebiet, an dem rund 100.000 Arbeiter:innen beteiligt waren. Nach fünf Monaten endete jedoch der Arbeitskampf und das Werk wurde 1993 schließlich stillgelegt – als Trost gab es nur Vorruhestandsregelungen.

Wie auch heute wurden schon damals Wirtschaftskrise und globale Konkurrenz als Gründe zur Schließung der Werke genannt. Da der Einbruch der Stahlproduktion heute sogar noch größer ist als damals, die Stahlindustrie aber so viel Umsatz wie noch nie gemacht hat, zeigt sich noch deutlicher, wie dramatisch die Krise auf die Arbeiter:innen abgewälzt wird.

Umso wichtiger ist es deshalb, eine kämpferische Bewegung aufzubauen, die sogar noch weiter geht als die Bewegung in den 80ern und selbstorganisiert kämpft. Die Reaktionen „gelber” DGB-Gewerkschaften wie der IG Metall auf diese Krisen lassen nämlich noch viel Luft nach oben: In der Metall- und Elektroindustrie verhandelte die IG Metall gerade  Reallohnverluste, und auch zu den Werksschließungen bei VW gibt es bisher noch keinen starken Widerstand.

Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie: IG-Metall organisiert Reallohnverluste

Auch der Staat wird uns dabei nicht helfen. Während nämlich Rekordprofite verzeichnet werden und Arbeiter:innen leiden, rufen die Chefs nach Investitionen vom Staat – was auch erwidert wird.

So wurden allein in den letzten Monaten von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieben Milliarden Euro an Konzerne wie Thyssen-Krupp Salzgitter, ArcelorMittal und Stahl-Holding-Saar verteilt. Diese Maßnahmen sollen vorgeblich einer wettbewerbsfähigen und klimafreundlichen Stahlindustrie nützen, doch von unseren Geldern landet am Ende nichts wieder in unseren Portemonnaies. Stattdessen wandern sie in die Taschen der Kapitalist:innen, die weiterhin nach mehr Investitionen schreien – und auch weiterhin unsere Arbeitsplätze verzocken werden.

Marceline Horn
Marceline Horn
Perspektive-Autorin seit 2024. Sie lebt und studiert in Freiburg und schreibt besonders über Frauen- und LGBTI+ Kämpfe. Photographie-Fan und Waschbären-Liebhaberin.

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