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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Die ewige Mär vom „importierten Antisemitismus“

„Importierter“ und „muslimischer Antisemitismus“ sind schon lange keine AfD-exklusiven Hetzbegriffe mehr. Die „bürgerliche Mitte“ kopiert die Argumente der Faschist:innen und nutzt sie zur Ausweitung der Repression gegen Linke und des staatlichen Abschiebewahns gegen Migrant:innen. Antisemitismus ist und bleibt rechts, der Kampf dagegen links. – Ein Kommentar von Luis Tetteritzsch.

Spätestens seit dem 7. Oktober werfen Politiker:innen, Medienhäuser und staatstreue „Linke“ mit dem Antisemitismus-Begriff nur so um sich. In dem Land, dessen politische Führer vor 80 Jahren die Shoah und damit die industrielle Vernichtung von sechs Millionen Jüd:innen während des Hitlerfaschismus verrichteten, findet in den letzten Monaten die wohl rasanteste Entstellung des wahren Begriffsinhalts statt.

Politiker:innen und Medienhäuser witterten ihre Möglichkeit: Das Aufflammen der palästina-solidarischen Bewegung nach der Eskalation des Genozids am palästinensischen Volk war ein geeigneter Anlass, um den deutschen Staat als Vorkämpfer gegen Antisemitismus darzustellen. Dieser Vorwand eines Kampfes gegen Judenfeindlichkeit wird nun genutzt, um die deutsche Abschiebepolitik der Ampel weiter zu befeuern und die fortschreitende Militarisierung des deutschen Staats auch nach innen, insbesondere gegen linke und antiimperialistische Kräfte, zu rechtfertigen.

Faschist:innen und selbsternannte „Demokrat:innen“ Hand in Hand

Antisemitismus ist vorwiegend eine Art der Diskriminierung von rechts und kann nur im gemeinsamen Kampf gegen Rassismus besiegt werden, oder? Was als eine Binsenweisheit gelten sollte, wird in der aktuellen Debatte kurzerhand umgedreht: Laut der neuen Antisemitismusresolution des Bundestags vom 7.11.24 heißt es kurz zusammengefasst: Antisemitismus sei überwiegend links und antiimperialistisch und kann nur mit mehr Abschiebungen und härterem Durchgreifen gegen Linke besiegt werden.

Was sich früher vielleicht nur rechte Polizeigewerkschaftler wie Manuel Ostermann auf X und die AfD trauten zu sagen, ist heute „deutsche Staatsräson“ und politische Linie jeder Partei im deutschen Parlament. Es ist fast absurd, aber Beatrix von Storch (AfD) bringt es in ihrer Rede im Bundestag zur neuen Antisemitismusresolution auf den Punkt: Die Parteien der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ oder gar „linke“ Parteien übernehmen ganz offen Positionen der AfD, und alte AfD-Forderungen werden heute von einer rot-gelb-grünen Regierung umgesetzt.

AfD, Grüne, SPD: Alle wollen „Ausländer raus!“

Vor einigen Jahren galt es noch als Skandal, wenn die AfD von „importiertem“ und „muslimischem“ Antisemitismus sprach. Heute werden dieselben Argumente von SPD, Grüne und Co. übernommen. So heißt es in der neuen Antisemitismusresolution, dass der heutige Antisemitismus auf „Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens […]“ basiere.

Die Lösung der AfD? „Muslimische Antisemit:innen in den Flieger setzen und ab in die Heimat, Tschüss und nicht Auf Wiedersehen!“, so Beatrix von Storch. Die Antwort der „demokratischen Parteien“? „Repressive Möglichkeiten ausschöpfen, insbesondere im Straf- und Staatsbürgerschaftsrecht und im Asyl- und Aufenthaltsrecht“, zitiert aus der Antisemitismusresolution, die von SPD, CSU/CDU, Grünen und FDP aufgestellt wurde.

Andere Worte, gleicher Inhalt. Die Politik der sogenannten „bürgerlichen Mitte“ ist kaum noch zu unterschieden von solch einer, die unter einer AfD-Regierung umgesetzt werden würde: Die vollständige Aushöhlung des Rechts auf Asyl, der Abbau demokratischer Grundrechte und ein hochgerüstetes, „wehrhaftes“ Deutschland passieren alle bereits ohne die AfD. Im besonderen Fokus stehen dabei Migrant:innen, die weiter abgeschoben und linke, palästina-solidarische Kräfte, die weiter eingeschüchtert und geknüppelt werden sollen.

Der Kampf gegen Antisemitismus als deutsche Staatsräson

Dass ausgerechnet Migrant:innen und die „antiimperialistische Linke“ nun für Antisemitismus verantwortlich sein sollen, besitzt in seiner Argumentation ungefähr genau so viel wissenschaftlichen Gehalt wie die IHRA-Antisemitismusdefinition. Diese stuft jegliche Kritik am israelischen Staat und seiner Politik als antisemitisch ein und bildet damit eine optimale Grundlage für alle Gesetzgebungen der deutschen Politik.

Warum die IHRA-Definition von Antisemitismus auch jüdischen Arbeiter:innen schadet

 

Das Ziel dieser Diskursverschiebung hin zum „muslimisch-linken Antisemitismus“ ist relativ einfach zu durchschauen: Israel ist enger Bündnispartner Deutschlands, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Eine Bewegung auf der Straße, die diese Partnerschaft in Frage stellt und insbesondere die Komplizenschaft des deutschen Staates bei einem erneuten Genozid anprangert, kann die herrschende Klasse nicht gebrauchen.

Insbesondere nicht in Zeiten, wo sich der deutsche Kapitalismus in einer wirtschaftlichen sowie politischen Krise befindet. Antimilitaristische Demonstrationen, die einen Stopp von Waffenlieferungen und das Kappen aller wirtschaftlichen Beziehungen zu Israel fordern, kurzerhand unter dem Vorwand des „Antisemitismus“ zu kriminalisieren, ist natürlich gefundenes Fressen für den deutschen Staat, um ein ruhiges Hinterland zu wahren – und gleichzeitig wird mit der braunen Vergangenheit vermeintlich reiner Tisch gemacht.

Europäische Flüchtlingspolitik: Abschotten, abschieben, ertrinken lassen…

 

Und auch für die aktuelle Asylpolitik kann der vorgeschobene Kampf gegen Antisemitismus perfekt instrumentalisiert werden: Deutschland bereitet sich auf Krieg vor. Dafür benötigt es neben einem starken Militär auch eine hochgerüstete Festung Europa, um sich vor den zukünftigen Kriegsgeflüchteten schon jetzt abschotten zu können. Zudem braucht es wieder einen neuen Sündenbock, der die kriegsmüde deutsche Bevölkerung anspornt, erneut die Waffen für das deutsche Kapital in die Hand zu nehmen. Dafür schürt man schon jetzt innerhalb unserer Klasse gezielt Rassismus gegen Muslim:innen.

Ob Polizei oder faschistischer Untergrund – Antisemitismus war schon immer rechts

Dafür müssen wir auch gar nicht allzu weit zurückblicken: Denn, obwohl immer wieder ein Schlaglicht auf die vermeintlich antisemitischen Übergriffe und Gewalttaten von linker Seite geworfen wird, belegen die Statistiken, dass der Großteil dieser antisemitischen Angriffe von rechts kommt, nicht von links.

Woher kommen der steigende Antisemitismus und antimuslimische Rassismus?

Rechte Chatgruppen, in denen sich Polizeibeamt:innen mit Hitler-Abbildungen, Hakenkreuzen sowie „Memes“ über Vergewaltigungsopfer, Frauen und Geflüchtete „bespaßen“, werden schnell unter den Tisch gekehrt. Ein ähnlich hartes Vorgehen wie gegen den vermeintlich „linken Antisemitismus“ lässt hier zu wünschen übrig. Zwar wurden die Nachrichten einer Chatgruppe von mehreren Frankfurter Polizist:innen vom Landgericht Frankfurt am Main als „nationalsozialistisch, antisemitisch, rassistisch und menschenverachtend“ bewertet. Die Inhalte seien zwar „schwer erträglich“, Konsequenzen gab es für die staatlich angestellten Beamt:innen jedoch keine.

Wenn Chatgruppen dann zu langweilig werden, kann man – wie Ex-CDU-Finanzsenator von Berlin, Peter Kurth – aber auch alternativ dazu übergehen, faschistische Untergrundorganisationen wie die vor kurzem aufgedeckten Sächsischen Separatisten mit 100.000 Euro mitzufinanzieren. Die mit „SS“ abgekürzte Gruppe bereitete sich mit militärischen Kampfausbildungen auf den sogenannten „Tag X“ vor, an dem sie einen bewaffneten Kampf gegen politische Feinde und gesellschaftliche Minderheiten führen wollten.

Antifaschistisch und internationalistisch gegen Antisemitismus!

Warum sich gerade Faschist:innen als Vorkämpfer gegen den Antisemitismus darstellen, erschließt sich vor allem dann, wenn wir uns anschauen, wessen Interessen Faschist:innen vertreten: Antisemitismus, so wie jede andere Unterdrückungsform – ob nun antimuslimischer Rassismus oder Sexismus – dienen zur Spaltung der Arbeiter:innenklasse. Anstatt den Kampf gegen unsere Ausbeutung im kapitalistischen System zu führen, sollen wir uns an unseren migrantischen Klassengeschwistern aus anderen Ländern, an dem religiösen Glauben, dem Geschlecht oder der Sexualität von denen neben uns abarbeiten.

Faschist:innen nutzen den Gaza-Krieg, um ihrem antimuslimischen und antisemitischen Rassismus freien Lauf zu lassen: Entweder sind es die „randalierenden Barbaren“ mit Palästina-Flaggen auf den deutschen Straßen, die abgeschoben gehören. Oder sie nutzen den Krieg ganz dumpf, um die „deutsche Schuldkultur“ endlich zu beenden, den deutschen Holocaust zu relativieren und gleichzeitig noch gegen Jüd:innen zu hetzen.

Auch ihre Forderung nach einem „starken Staat” – mit möglichst vielen Rechten für Polizei und Behörden, hochgezogenen Grenzzäunen, möglichst wenig demokratischen Rechten, um Widerstand auf der Straße gegen die herrschende Politik zu leisten, und einer rassistisch aufgehetzten Bevölkerung – können Faschist:innen unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Antisemitismus einfließen lassen.

Antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus: Der Hass kommt von rechts

Als Verlierer:innen dieses Systems dürfen wir dabei nicht auf die Tricksereien der Herrschenden hereinfallen: Antisemitismus bekämpfen wir nicht mit Abschiebungen und einer faschistischen Asylpolitik, sondern mit einem konsequenten Kampf gegen rechts. Und zwar solidarisch, internationalistisch und klassenbewusst als jüdische, muslimische, deutsche, arabische und israelische Arbeiter:innen.

Luis Tetteritzsch
Luis Tetteritzsch
Seit 2023 Autor für Perspektive Online. Schreibt gerne über die Militarisierung des deutschen Imperialismus und den Widerstand dagegen.Denn: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“

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