Ein Massaker im Sudan kostete im Oktober erneut hunderte Menschen das Leben. Über die Bedeutung für die Lage der Frauen, über Hintergründe und Interessen im andauernden Bürgerkrieg zwischen den verfeindeten Militärs. – Ein Kommentar von Finn Krumbach.
Sudanesische Milizen verübten im Oktober ein Massaker in der Provinz Al-Dschazira im Südosten Sudans. Mindestens 120 Zivilist:innen wurden dabei getötet. Laut der UN wurden über 47.000 Menschen aus der Region vertrieben. Auslöser für das Massaker war ein Überlaufen von Einheiten der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) an die Sudanesischen Streitkräfte (SAF), die sich seit 2023 in einem Bürgerkrieg befinden. Der daraufhin durchgeführte Rachefeldzug der RSF tötete über 300 Menschen allein an einem Tag.
Von beiden Seiten wird die Bevölkerung in den Krieg hinein gezogen und für die jeweiligen verfeindeten Seiten ausgerüstet. Berichten zufolge setzen die RSF sogar Kindersoldaten ein, die unter Drogen gesetzt werden. Die SAF hingegen bewaffnet Teile der Bevölkerung, um quasi als Kanonenfutter gegen die erfahrenere RSF-Miliz zu kämpfen.
In einem Dorf in Al-Dschazira sollen die männlichen Bewohner in einer Reihe aufgestellt und hintereinander getötet worden sein. Rund 130 Frauen sollen daraufhin Massensuizid begangen haben, um ihrer Vergewaltigung durch RSF-Soldaten mit dem Tod entkommen zu können, berichtet eine Frau in einem Video auf Twitter.
Sexualisierte Gewalt und Frauenwiderstand
Die Vergewaltigung von Frauen und Kindern wird systematisch als Kriegswaffe für die Machtbestrebungen der Militärgeneräle auf beiden Seiten eingesetzt. Dass die sexualisierte Gewalt nicht als Produkt des Kriegs hingenommen wird, zeigt beispielsweise die Gründung von Fraueneinheiten in Al-Faschir im Südwesten des Landes.
Denn trotz der Brutalität des Bürgerkriegs haben viele Menschen nicht vergessen, dass es im Jahr 2019 viele Frauen waren, die Proteste organisierten und die demokratische Revolution an vorderster Front auf der Straße erkämpften, bevor der Bürgerkrieg ausgebrach. Die historische Frauenrechtsorganisation Sudanese Women’s Union (Union sudanesischer Frauen), die auf den Unabhängigkeitskrieg gegen das Britische Empire zurückgeht, forderte 2019, dass Ämter, die in der neuen Regierung verteilt werden, gleich häufig von Frauen wie Männern besetzt werden sollen. Frauen spielten wie Männer eine bedeutende Rolle in der demokratischen Revolution, die 2021 daran scheiterte, dass sie militärisch nicht gegen die Machtinteressen der Generäle und ihre Geschäfte verteidigt werden konnte.
Imperialistische Interessen
Zwei Militärgeneräle kämpfen nun um die Macht im Land. Dabei streben beide in einer Militärdiktatur die alleinige Kontrolle über die zentralen Gebiete wie die Hauptstadt Khartum und Dafur im Osten des Landes an. Ursprünglich putschten sie 2021 gemeinsam als herrschende Klasse gegen das Entstehen eines demokratischen Systems gegen die aufkommenden zivilen Kräfte.
Heute sind sie in zwei verfeindete Fraktionen geteilt, und der Krieg im Sudan stellt die größte Vertreibungskrise der Welt dar: mit über 11 Millionen geflüchteten oder auf der Flucht befindlichen Menschen. Etwa so viele Kinder, wie in Deutschland leben, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Dabei wird der Krieg von außen angeheizt und hat sich zu einem Stellvertreterkrieg entwickelt. Die SAF werden von Iran, der Ukraine, Türkei und Saudi-Arabien unterstützt. Die Plünderung von Goldminen finanziert die RSF und ist zugleich von großem Interesse für die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland, von denen sie – wie auch von der libyschen nationalen Armee, einer Kriegspartei im libyschen Bürgerkrieg – militärisch unterstützt wird.
Auch Deutschland und die EU unterstützten schon 2015 die paramilitärischen Kräfte des damaligen Bündnisses aus SAF und RSF, um den Grenzschutz und die Abschirmung von Flüchtlingen zurück in afrikanische Länder zu verlagern. Denn der Sudan ist ein bedeutendes Transitland für Fluchtbewegungen, die aus Kongo und dem Horn von Afrika nach Europa führen. Den gleichen Zweck erfüllt weiter nördlich die Zusammenarbeit der EU mit Libyen.