Stefanie Walter von der Beratungsstelle des Frauenhauses in Nürnberg gibt Einblicke in die Versorgung von betroffenen Frauen in Bayern – über knappe Plätze, eine unzureichende Finanzierung und fehlende Präventionsangebote.
Könntest du etwas zu dir sagen? Was sind deine Aufgaben hier und wie lange schon?
Ich heiße Stefanie Walter. Ich bin Diplomsozialpädagogin und habe eine Zusatzausbildung als Traumafachberaterin und psychosoziale Prozessbegleiterin gemacht. Ich arbeite in der Beratungsstelle des Frauenhauses vom Träger-Verein Hilfe für Frauen in Not e.V. schon seit 2003, also seitdem es die Einrichtung gibt. Ich berate und begleite Frauen, die von häuslicher Gewalt und/oder Stalking betroffen sind.
Wir bieten auch psychosoziale Prozessbegleitung an, seit es das Gesetz gibt, also seit 2017. Das ist eine Unterstützung für Geschädigte von Straftaten: in unserem Fall für Frauen und Jugendliche, die eine schwere Straftat erlebt haben, wie z.B. Vergewaltigung, schwere Körperverletzung, Raub oder versuchter Totschlag. Die begleiten wir durch das Strafverfahren.
Was wir hier auch zusätzlich haben, ist eine Interventionsstelle. Die gibt es in Bayern seit 2015, bei uns schon etwas länger, weil wir da Vorreiterinnen waren. Die Polizei soll, wenn sie zu einem Fall häuslicher Gewalt gerufen wird, von den betroffenen Frauen selbst oder von Nachbar:innen, erfragen, ob sie weitere Hilfe möchten. Wenn die Betroffenen ja sagen, kriegen wir eine Fax-Meldung mit den Informationen und kontaktieren die Frauen von uns aus, bieten Unterstützung an, klären auf und vermitteln im Zweifelsfall in unsere Beratungsstelle oder zu anderen Hilfsangeboten.
Wie finden sonst betroffene Frauen eure Beratungsstelle? Welche Hürden haben sie dabei?
Gute Frage. Wir versuchen natürlich schon, das Thema zu streuen. Wir verteilen Flyer, machen Postkarten-Aktionen für das Frauenhaus, die Beratungsstelle und unsere Angebote. Wir haben natürlich eine Homepage, wo Frauen uns finden können. Wir stehen in Sammelaufstellern für Flyer von der Stadt Nürnberg uvm. Ich glaube die meisten kommen tatsächlich über das Internet inzwischen, oder eben Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Frauen werden auch über die Polizei zu uns vermittelt, oder über das Jugendamt oder andere Beratungsstellen. Wir arbeiten einfach viel mit anderen zusammen. Viele sagen „meine Freundin war schon da und hat gesagt, ich soll auch kommen“. Ich würde sagen, inzwischen hat aber das Internet schon einen großen Stellenwert.
Beim Frauenhaus ist es das Gleiche: Da gibt es auch eine Statistik, in der wir das abfragen. Dort ist aber tatsächlich das meiste Mund-zu-Mund-Propaganda, also zu wissen, dass es ein Frauenhaus gibt, wo frau auch wohnen kann, erfahren die meisten von anderen Frauen. Die Telefonnummer finden sie dann auch wieder im Internet.
Wie bekommen Frauen einen Platz im Frauenhaus? Wie lange sind die Wartezeiten?
Tatsächlich müssen alle Frauen anrufen. Das ist natürlich dem geschuldet, dass das Frauenhaus eine geheime Adresse hat. Man kann nicht einfach hingehen, weil keiner weiß wo es ist. Die Kolleginnen wollen vorab auch am Telefon klären, ob das Frauenhaus überhaupt das richtige Angebot ist, ob unser Frauenhaus die Richtige Anlaufstelle ist, oder ob es ein Frauenhaus weiter weg braucht, weil die Gefahr für die Frau zu groß ist.
Es ist bei uns oft so, dass erst einmal kein Platz frei ist. Die durchschnittliche Wartezeit ist super schwer zu sagen. Es ist immer wieder phasenweise sehr unterschiedlich. Wenn fünf Frauen gerade neu eingezogen sind, und die fünf bleiben auch, bis sie eine Wohnung finden, dann habe ich Pech, weil dann dauert das. Klar, es gibt auch Frauen, die sagen nach zwei Wochen, ich habe überlegt, ich gehe doch zum Mann zurück. Dann hat eine andere Frau Glück, dann wird wieder ein Zimmer frei. Es kann auch echt ein, zwei Monate dauern, bis ein Platz frei wird.
Wir versuchen, den Frauen immer Alternativen zu nennen. Es gibt ein zweites Frauenhaus in Nürnberg, es gibt eines in Fürth, Erlangen und anderen Orten. Oder wir schauen, ob es die Möglichkeit gibt, zu überbrücken bei Freunden und Verwandten. Oder ob andere Lösungen in Frage kommen. Frauen können auch in der Wohnung bleiben und den Mann mit dem Gewaltschutzgesetz aus der Wohnung weisen lassen. Für manche passt das auch, für manche nicht.
Es ist immer ein bisschen Glückssache. Ich habe heute mit einer Frau telefoniert, die ganz dringend einen Platz gebraucht hat und ja, es ist ein Zimmer frei, und sie zieht heute oder morgen ein. Juchu! Dass wirklich ein Zimmer auf die Schnelle frei ist, passiert aber nicht so häufig.
Es ist tatsächlich so, dass die meisten Frauen nicht – wie man es sich gerne vorstellt – sagen: „Ich muss jetzt wegrennen und schnappe mir schnell meinen Rucksack und laufe los“. Sondern die meisten überlegen relativ lange, ob ja oder nein, welches Frauenhaus, warum. Und dann kann man das auch ein bisschen planen mit den Frauen. Und für krasse Notfälle sagen wir immer: ruf‘ bitte selber die Polizei oder versuche, mit Nachbar:innen ein Codewort zu vereinbaren, ein Klopfzeichen oder so.
Gibt es nur zwei Frauenhäuser in Nürnberg?
Ja, es gibt nur zwei Frauenhäuser in Nürnberg. Was ein bisschen deppert ist: Das zweite Frauenhaus ist von der Caritas, und die sind anders finanziert. Die können eigentlich nur Frauen aus Nürnberg aufnehmen, nur Frauen, die im Sozialhilfebezug sind oder durch die Trennung reinrutschen würden. Bei uns ist das nicht so. Bei uns kann jede Frau aufgenommen werden, egal ob Geld, ob nicht-Geld, egal woher. Das andere Frauenhaus hat eine Tagessatzfinanzierung, und dementsprechend ist das insgesamt teurer. Und die Stadt sagt: Sorry, wir finanzieren euch, dann wollen wir, dass das nur unseren Bürgerinnen zugute kommt und nicht denen aus z.B Frankfurt oder München etc. auch. Das finden wir auch echt schwierig.
Und bei uns ist das eben nicht so. Die Frauen müssen bei uns theoretisch Miete zahlen. In 90 Prozent der Fälle passiert das aber durchs Jobcenter. Falls eine Frau ausreichend Geld hat, zahlt sie – aber nur wenig. Das sind pro Tag 7,50 Euro inklusive allem für die Frauen, und 3,50 Euro für die Kinder.
Das zweite Frauenhaus kämpft manchmal mit den Belegungszahlen, die haben schon auch öfter Zimmer frei.
Das ist etwas, wo wir bundesweit auf Verbandsebene dafür kämpfen. Wir sagen, das geht nicht. Das kann nicht sein, dass Frauen Bedingungen erfüllen müssen, um Schutz zu bekommen. Das ist für uns menschenrechtlich gar nicht okay. Aber leider ist es so, dass das nicht nur dieses eine Frauenhaus betrifft, sondern das auch in anderen Städten so ist.
Wir versuchen, das aktuell auch zu ändern. Es gibt schon lange einen Gesetzesentwurf für ein Gewalthilfegesetz, in dem im Grunde drinsteht: „Jede Frau hat ein individuelles Recht auf Schutz“. Das gibt es so bisher gar nicht. Das würde dazu führen – hoffen wir –, dass Frauenhäuser besser finanziert werden. So dass auch alle Frauen Zugang haben, auch Frauen mit Behinderung, Frauen die keinen Aufenthalt haben.
Aber jetzt haben wir gerade die Regierungskrise. Ich befürchte, das wird jetzt erst mal nichts mehr. Die Versprechung war: „vor der Wahl wird es noch verabschiedet“. Wir werden es sehen. Ich persönlich halte das für ein Gerücht.
Welche weiteren alternativen Hilfsangebote gibt es?
Im Grunde hat man schon vor vielen Jahren angefangen zu sagen: „Moment mal, irgendwas ist ja komisch. Wir haben das Phänomen häuslicher Gewalt und irgendwie auch nicht erst seit gestern.“ Und irgendwie war immer die einzige Möglichkeit, dass Frauen fliehen und dann ins Frauenhaus gehen. Und jetzt denk mal an eine Frau mit mehreren Kindern.
Dann haben engagierte Menschen vor 20-25 Jahren schon gesagt: „Können wir nicht mal darüber nachdenken, ob wir nicht besser die Täter loswerden, zumindest für eine Weile?“ Dann hat die Regierung 2003 das Gewaltschutzgesetz verabschiedet. Das bedeutet, jede betroffene Person kann vor Gericht einen Antrag stellen im Eilverfahren, sodass der Gewalttäter der Wohnung verwiesen wird, und das wird dann auch gerichtlich oder polizeilich umgesetzt. Also, die fliegen dann aus der Wohnung, kriegen ein Kontaktverbot für ein halbes Jahr. Entweder schafft man es dann, dass der Täter die Frau in Ruhe lässt, oder die Frau kann sich in Ruhe alternativ orientieren und muss vielleicht gar nicht ins Frauenhaus.
Ich schreibe viele Anträge zum Gewaltschutzgesetz mit meinen Klientinnen. Es gibt auch Männer, die erscheinen mir so gefährlich, dass es nicht reichen würde, „nur“ so ein Papier vom Gericht zu haben. Wenn die Gefahr zu hoch ist, ist es vielleicht doch besser, in einem Haus mit geheimer Adresse zu wohnen.
Es gibt auch immer wieder Frauen, die es schaffen, sich heimlich eine Wohnung zu suchen und dann ganz schnell eine neue haben. Da würden wir sie mit Beratung zusätzlich unterstützen, sie begleiten. Wir haben auch immer wieder Frauen, die doch ein unterstützendes Netzwerk haben aus Freund:innen und Familie. Also, das Frauenhaus ist eine Möglichkeit, aber es gibt schon auch andere.
Es ist halt immer individuell, und deshalb müssen wir mit den Frauen sehr genau besprechen, was könnte für sie in ihrer speziellen Situation am besten funktionieren.
Wie schätzt du das Platzangebot ein? Gibt es in Nürnberg genug Plätze in Frauenhäusern?
Wir sind ein relativ großes Haus. Wir haben 18 Zimmer und noch eine Außenwohnung, speziell konzipiert für Frauen mit älteren Söhnen ab 16 Jahren. Ganz offiziell haben wir 21 Plätze für Frauen und 25 für Kinder. Das andere Haus in Nürnberg hat 13 Plätze für Frauen, wie viele Kinderplätze, weiß ich leider nicht. Das sind für Nürnberg insgesamt 33 Plätze für Frauen und ca. 40 für Kinder. Es dürften gerne mehr sein.
Es gibt ja die Istanbul-Konvention, die eine Anzahl an Frauenhausplätzen empfiehlt. Für Nürnberg wären das eigentlich 140 Plätze für Frauen und Kinder. Wenn man diese Empfehlung her nimmt, wären das aktuell also viel zu wenige. Und alleine der Umstand, dass wir Wartelisten haben, zeigt ja, dass es auch wirklich zu wenige sind.
Was die Frage ist: Hilft es uns wirklich, immer mehr Frauenhausplätze aufzumachen, oder sollten wir nicht anders herum als Gesellschaft versuchen, diese Gewalt endlich loszuwerden? Andere Beziehungsbilder und Beziehungsmodelle diskutieren, mehr Geld in Prävention stecken, sodass wir nicht immer mehr Frauenhäuser brauchen. Das ist natürlich super schwierig. Das ist so ein bisschen die Absurdität in der Geschichte: Für Prävention von häuslicher Gewalt gibt es gerade noch gar keine evaluierten Präventionsangebote in Deutschland. Wir machen von uns aus ein selbstkonzipiertes Präventionsangebot, was nicht finanziert wird.
In wirkliche, frühzeitige Prävention wird gar kein Geld investiert. Die Politik steckt das Geld eher noch in Kampagnen. Kampagnen sind auch schön und gut, Sensibilisierung ist wichtig, aber natürlich ist das nicht der Weisheit letzter Schluss.
Im Grunde ist es schon irgendwie so, dass das Problem „häusliche Gewalt” nur verwaltet wird. Ja, die Frauen brauchen unseren Schutz und unsere Unterstützung. Die Frage muss aber sein: Wie wird man das Problem los? Daran müssten wir insgesamt viel mehr arbeiten.
Das wäre meine Frage am Ende: Welche Leerstellen in der Gewaltprävention siehst du?
Wir haben schon lange Jahre immer wieder Informationsvorträge z.B. an Schulen, anderen Einrichtungen etc. gehalten, bieten auch Fortbildungen zum Thema „häusliche Gewalt” an. Vor einigen Jahren haben wir ein eigenes Konzept für Workshops an Schulen erarbeitet: „Sicher Sein – gegen häusliche & Beziehungsgewalt“. Die Klassen können aus verschiedenen Themenschwerpunkten wählen. Es geht darum, Jugendliche für ihre eigenen Beziehungen zu sensibilisieren, Beziehungsbilder zu hinterfragen, ihnen Möglichkeiten zu vermitteln, Beziehungen gewaltlos zu gestalten. Und auch darum, Jugendlichen, die Zeug:innen der Gewalt zu Hause sind, aufzuzeigen, dass sie nicht hilflos sind. Und auch aufzuklären, was es für Hilfsangebote gibt.
Das läuft alles nicht schlecht, es gibt dafür aber keinerlei dauerhafte Finanzierung. Für nächstes Jahr haben wir Geld von einer Stiftung bekommen, danach müssen wir weiter schauen.
Die große Lücke ist also erstens die Finanzierung und zweitens eigentlich auch, dass Aufklärung und Prävention von häuslicher Gewalt nicht in den Lehrplänen stehen oder sogar noch frühzeitiger etwas passiert.
Was ich witzig finde: Die Gymnasien halten sich sehr bedeckt, fragen sehr selten unsere Workshops an. Da gibt es wohl solche Probleme nicht.
Man hat ja dieses Bild vor Augen von der armen Familie und dem gewalttätigen Mann, der Alkoholiker ist. Und in anderen Kreisen passiert das nicht.
Diese Bilder halten sich hartnäckig. Wir wissen von allen Statistiken, dass es egal ist, welches Bildungsniveau du hast, welches Einkommen, welchen kulturellen Hintergrund, welches Alter. Es passiert in allen Schichten, in allen Gruppen immer und überall. Aber das Bild der „Asi-Unterschichtsfamilie“, am besten noch mit Migrationshintergrund, hält sich hartnäckig. Wir arbeiten daran.
Wie steht es um die Finanzierung von eurem Frauenhaus? Wie wird mit steigenden Kosten (Personal, Energie, Essen etc.) umgegangen?
Es sind gerade die Haushaltsverhandlungen der Stadt Nürnberg, und wir merken jetzt wieder, das ist echt eine schwierige Geschichte und da würde das Gewalthilfegesetz helfen, wenn es doch mal kommt. In Bayern gibt es eine Frauenhausförderrichtlinie: die bezieht sich auf Frauenhäuser, Beratungsstellen, Interventionsstellen. Die legt fest, wie viel Geld der Träger für Personalkosten etc. vom Land bekommt. Und diese Gelder richten sich nach TVöD-Land. Die Richtlinie ändert sich nicht automatisch mit Tarifsteigerungen und allgemeinen Kostensteigerungen, und sie legt immer eine mittlere Berufserfahrung für die Beschäftigten zugrunde.
Wenn du also Personal hast, das wie ich schon länger dabei ist, ist das eigentlich immer zu teuer, oder auch wenn Sachkosten steigen, fehlt dir immer Geld. Für diese nicht gegenfinanzierten Mehrkosten muss der Träger immer überlegen, was tue ich? Entweder kann er es selbst aus Spendenmitteln gegenfinanzieren oder er kann mit der Kommune über eine Gegenfinanzierung verhandeln.
Bei uns ist das Verhältnis von Landesfinanzierung zur städtischen Zusatzfinanzierung im Grunde ein Drittel Land, zwei Drittel Stadt. Es ist eh krass. Jeder Träger, der ein Frauenhaus oder eine Beratungsstelle oder Interventionsstelle anbieten möchte, muss auch 10 Prozent Eigenmittel mitbringen. Und die Kommunen müssen auch mindestens 10 Prozent finanzieren.
So lange die Städte Geld haben, ist das schon irgendwie okay. Aber die Stadt Nürnberg sagt natürlich auch, eigentlich haben wir ja kein Geld. Es ist jedes Jahr eine neue Aushandlung. Um Tarifsteigerungen und Sachkostensteigerungen musst du eigentlich immer kämpfen, und wir haben auch im sozialen Bereich inzwischen ein Fachkräfteproblem. Wenn wir nicht mal Tarif zahlen können, wieso soll sich jemand entscheiden, in so einem Beruf zu arbeiten und dann auch noch speziell bei uns?
Was willst du unseren Leser:innen mitgeben?
Was uns immer wichtig ist: Mehr gesellschaftlicher Zusammenhalt, mehr Solidarität mit Frauen. Es gibt auch in Nürnberg ein Projekt, das die Nachbarschaft sensibilisiert für das Thema „häusliche Gewalt”. Für uns wäre wünschenswert, dass wir alle mehr aufeinander schauen, nicht weghören, wenn es in der Nachbarwohnung scheppert, sondern vielleicht die Polizei rufen oder vielleicht mal klingeln.
Wir würden uns auch wünschen, dass sich mehr Leute trauen, Frauen Hilfe anzubieten oder den Frauen Infos zu geben, wo es Hilfe gibt. Jede:r kann sich selbst an die eigene Nase packen und überlegen, ob er oder sie schon einmal weggeschaut oder geholfen hat.
Im Grunde kann jeder Hilfe holen und/oder anbieten, wer nicht weiß wie, kann sich gerne bei uns melden.