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EU-Kommission gewählt: Rechtsruck, Aufrüstung und Abschiebungen auf dem Programm

Die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen konnte ihre Wunschkandidat:innen durchsetzen – trotz aller Kontroversen um einzelne Personalien. Die neue Kommission setzt auf Aufrüstung, Abschottung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, während der Klimaschutz in den Hintergrund rückt.

Ein halbes Jahr nach den Europawahlen wurde nun eine neue EU-Kommission gewählt. Deren wiedergewählte Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU und im europaweiten konservativen Bündnis EVP) hat dabei alle ihre Wunschkandidat:innen durchwinken können. Abgeordnete der grünen und sozialdemokratischen Fraktionen hatten im Vorfeld scharfe Kritik an von der Leyens Kooperation mit faschistischen Kräften wie der italienischen Fratelli d’Italia geäußert.

„Mehrheitsbildung mit Rechtsextremen: Das geht zu weit!“, warnte beispielsweise der SPD-Politiker Rene Repasi (im Bündnis SPE). Am Ende stimmten dennoch ein Großteil der Sozialdemokrat:innen und nicht wenige Grüne für von der Leyens Kommission, die mit 370 Für- und 282 Gegenstimmen angenommen wurde. Ein Blick auf das Personal und die Pläne der neuen EU-Kommission zeigt erneut, dass der Rechtsruck auch europaweit voranschreitet.

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Aufrüstung, Abschiebung, Investitionen

Während in der letzten EU-Wahl die Bewältigung des Klimawandels noch – zumindest rhetorisch – eine wichtige Rolle gespielt hatte, steht dieses Mal die Kriegspolitik im Mittelpunkt. Es sollen ein europäischer Verteidigungsfond angelegt und Programme für die Rüstungsindustrie ausgebaut werden. Zur angeblichen Verteidigung Europas „gegen Russland und andere Mächte“ veranschlagt von der Leyen Mittel in Höhe von mindestens 500 Milliarden für Europa über einen Zeitraum von zehn Jahren.

Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU gegenüber den USA und anderen Konkurrenten soll ebenfalls erhöht werden. Hierfür soll ein Fond für Wettbewerbsfähigkeit geschaffen werden, der Investitionen in Schlüsseltechnologien stärken soll. Dass die EU noch unternehmerfreundlicher werden soll, zeigt sich auch an wahrscheinlichen Abstrichen in der Umwelt- und Klimapolitik: Aus dem geplanten „Green Deal“ soll laut der EVP ein „Clean Industrial Deal“ mit weniger harten Umwelt- und Landwirtschaftsregeln werden.

Ein weiteres zentrales Thema ist die Migrationspolitik, die immer mehr auf Abschottung und Abschiebung setzt. Von der Leyen kündigte hier einen Gesetzesentwurf an, der Abschiebungen erleichtern und beschleunigen solle. Auch das vorübergehende Aussetzen des Rechts auf den Zugang zu Asylverfahren, wie der polnische Regierungschef Tusk es vorhat, sieht von der Leyen als rechtmäßig an. Im Hinblick auf den Rechtsruck in der Migrationspolitik sowie der sinkenden Relevanz von Klimaschutz ist es wenig verwunderlich, dass auch die Rolle konservativer und faschistischer Kräfte in der EU-Kommission wächst.

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Faschist Fitto wird exekutiver Vizepräsident

Eine der kontroversen Entscheidungen war die Ernennung von Raffaele Fitto (EKR) zum exekutiven Kommissionsvizepräsidenten. Fitto gehört der faschistischen Fratelli d’Italia an und ist enger Vertrauter der Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Während es in jeder EU-Kommission in der Regel mehrere Vizepräsident:innen gibt – dieses mal sind es sieben – sind drei exekutive Vizepräsident:innen für jeweils eines der drei zentralen Themen der Agenda zuständig. Damit hat Fitto ein wichtiges und symbolkräftiges Amt inne.

Darüber hinaus wird Fitto für „Kohäsion” und Reformen zuständig sein. Die europäische Kohäsionspolitik hat das vorgebliche Ziel, wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen den Mitgliedsstaaten auszugleichen. Unter anderem geschieht dies über die Geldvergabe aus einem Fond, allerdings auch durch strukturelle Reformen. Hier zeigt sich auch gleich, welchen Nutzen Fitto für von der Leyen hat.

So strebt von der Leyen eine Zentralisierung an, die den Zugang zu EU-Geldern an verpflichtende Wirtschaftsreformen knüpft. Außerdem sollen benachteiligte Regionen zukünftig aus einem nationalen Geldtopf versorgt werden. Fitto strebte ähnliche Zentralisierungen bereits in Italien an und befindet sich somit ganz auf einer Linie mit von der Leyen.

Die selektive „Brandmauer“

Warum die EVP sich zwar ausgezeichnet mit den italienischen Faschist:innen versteht, gegenüber der AfD und der rechten ID-Fraktion jedoch noch von einer „Brandmauer“ spricht, wurde vom EVP-Chef Manfred Weber schon vor einiger Zeit recht klar ausgesprochen: „Pro Europa, pro Rechtsstaat, pro Ukraine – das sind die Grundpfeiler, auf denen diese Brandmauer steht“. Seitdem Fratelli d’Italia ihre europaskeptischen und russlandfreundlichen Positionen weitestgehend abgelegt haben, gelten sie der EVP als vernünftige Partner. Melonis Lob auf den faschistischen Diktator Mussolini oder der Kriegspfad ihrer Partei gegen sogenannte „LGBT-Propaganda“ spielen damit wohl keine Rolle mehr.

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Ein weiterer rechter Politiker, der ins EU-Parlament gewählt wurde, ist der Ungar Olivér Várhelyi. Auch wenn Várhelyi parteilos ist, gilt er dennoch als enger Vertrauter des faschistischen ungarischen Präsidenten Viktor Orbán. Sein Zuständigkeitsbereich wird die Gesundheitspolitik sein. Er war auch bereits in der letzten EU-Kommission vertreten, in der er für europäische Nachbarschaftspolitik zuständig war. In dieser Funktion blockierte er u.a. EU-Hilfen für palästinensische Gebiete und Ost-Jerusalemer Krankenhäuser, sodass Palästinenser:innen Krebsbehandlungen verwehrt wurden. Várhelyi begründete dies mit vermeintlich antisemitischen Passagen in palästinensischen Schulbüchern.

Neues Amt eines „Verteidigungskommissars“, mehr Mittel für Aufrüstung

Die personelle Zusammensetzung der EU-Kommission zeigt außerdem, dass eine stärkere Aufrüstung und Einmischung in den Ukraine-Krieg beabsichtigt ist. So wurde die liberale Kaja Kallas aus Estland zur Außenbeauftragten der EU ernannt. Kallas ist vehemente Vertreterin eines harten Kurses gegenüber Russland.

Außerdem wurde mit dem sogenannten „Verteidigungskommissar“ ein neues Amt eingeführt. Dieses wird der konservative Litauer Andrius Kubilius innehaben. Kubilius spricht sich dafür aus, dass Mitgliedsstaaten auch Schulden über 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aufnehmen dürfen, wenn diese in Militärausgaben und Aufrüstung fließen. Ebenfalls möchte er, dass die Europäische Investitionsbank (EIB) Kredite für Rüstungskonzerne bereitstellt, was nach bisherigem Recht noch untersagt ist.

Verstärkte Kooperation mit Drittstaaten um Migration zu verhindern

Zum Innenkommissar wurde der Österreicher Magnus Brunner (EVP) ernannt. Eine seiner Hauptaufgaben wird es sein, das EU-Asyl-und Migrationspaket umzusetzen. Brunner spricht sich nicht nur für schnellere Abschiebungen aus, sondern auch für verstärkte Kooperation mit Drittstaaten. So soll beispielsweise die libysche Küstenwache, die nachweislich und systematisch Menschenrechte verletzt, dabei helfen, dass Geflüchtete Europa gar nicht erst erreichen.

Eng zusammen arbeiten wird Brunner mit der Kroatin Dubravka Šuica (EVP), der künftigen EU-Kommissarin für den Mittelmeerraum. Auch Šuica möchte Rückführ-Abkommen erweitern, etwa mit Jordanien und Marokko.
Die neue EU-Kommission wird im Dezember ihre Arbeit aufnehmen.

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