Der diplomatische Rückzug der EU aus Niger am 23. November spiegelt die tiefe Spaltung zwischen westlichen Imperialisten und der Sahel-Allianz (AES) wider. Während Mali, Niger und Burkina Faso enger zusammenrücken, wächst gleichzeitig der Rückhalt der Bevölkerung gegen neokoloniale Strukturen. Die EU scheint machtlos. – Ein Kommentar von Nick Svinets.
Die EU zog ihren Botschafter aus Niger zurück, nachdem die Beziehungen zur derzeitigen Regierung zunehmend belastet wurden. Ein zentraler Streitpunkt waren Vorwürfe der Vertreter:innen in Niamey, der EU-Botschafter habe humanitäre Hilfsgelder in Höhe von 1,3 Millionen Euro ohne Absprache und auf ungerechte Weise an Organisationen verteilt. Die nigrische Regierung kritisierte die EU dafür, dass diese Mittel ohne Rücksicht auf die nationale Souveränität verwendet worden seien. Der Europäische Auswärtige Dienst wies die Vorwürfe jedoch zurück und betonte, die Hilfe sei „neutral, unparteiisch und unabhängig“. Außerdem dürfe humanitäre Unterstützung nicht von der Militärregierung für politische Zwecke instrumentalisiert werden.
Die Spannungen zwischen der EU und Niger hatten bereits mit dem Putsch im Juli 2023 begonnen, bei dem die pro-westliche Regierung unter Präsident Mohamed Bazoum gestürzt wurde. Die neue Regierung sieht sich seitdem einem starken internationalen Druck ausgesetzt und antwortet mit regionaler Zusammenarbeit. Die EU und andere westliche Akteure verurteilten den Machtwechsel massiv und stellten ihre sogenannte „Entwicklungszusammenarbeit“ ein.
Dabei entpuppt sich schnell der heuchlerische Charakter der westlichen Entwicklungszusammenarbeit, die primär auf die Aufrechterhaltung neokolonialer Abhängigkeiten und systematischer Unterentwicklung afrikanischer Staaten abzielt. Was die EU unter „Entwicklungszusammenarbeit” versteht, zeigte sich 2015, als auf Druck der EU in Niger das Law 2015-36 verabschiedet wurde: Ein Gesetz, das Migration im Norden kriminalisiert – speziell um den Knotenpunkt Agadez. Das Gesetz führte nachweislich dazu, dass Flüchtende extrem gefährliche Ausweichrouten durch die Sahara nutzten, da das nigrische und französische Militär in den Städten Richtung Libyen und Algerien stationiert sind. Das führt dazu, dass Menschen massenhaft in der Sahara verdursten oder anderweitig ums Leben kommen. Der damaligen pro-westlichen Regierung winkten dafür horrende Summen an vermeintlicher Entwicklungshilfe.
Niger: Lage scheint sich zu beruhigen, doch die Zukunft bleibt ungewiss
Proteste in Niamey: Widerstand gegen westliche Einmischung
Am 17. November diesen Jahres demonstrierten tausende Menschen in Niamey gegen diese westliche Einflussnahme und die Destabilisierungsversuche der EU. Die Demonstrierenden trugen Transparente, auf denen sie die Sanktionen und die Rolle Frankreichs als ehemalige Kolonialmacht anprangerten. Organisiert von Unterstützer:innen der Militärregierung, spiegelte der Protest die breite Ablehnung neokolonialer Einflussnahme in der Bevölkerung wider.
Viele der Demonstrant:innen sehen die westlichen Sanktionen und die Kritik an der neuen Regierung als Fortsetzung kolonialer Unterdrückung. Die Proteste waren daher nicht nur ein Ausdruck der Unterstützung für die Militärregierungen der AES, sondern auch ein symbolischer Akt gegen jahrzehntelange neokoloniale Abhängigkeiten und Einmischungen durch (Neo-)Kolonialmächte.
Solidaritätskonferenz in Niger
Parallel zu diesen innenpolitischen Entwicklungen fand eine Solidaritätskonferenz der Allianz der Sahel-Staaten statt, an der burkinische, malische und nigrische Vertreter:innen teilnahmen. Die AES, die sich nach den Putschen in den beteiligten Ländern gebildet hat, verfolgt nach eigener Darstellung das Ziel, eine unabhängige wirtschaftliche und politische Entwicklung zu fördern. Auf der Konferenz betonten die Staaten ihre Absicht, engere militärische und wirtschaftliche Kooperationen einzugehen, um den Einfluss externer Akteure wie der EU oder Frankreichs zurückzudrängen.
Die Allianz sieht sich jedoch mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert: Bedrohungen durch islamistische Gruppen und die prekäre soziale Lage in den beteiligten Staaten. Trotz dieser Schwierigkeiten stellt sie eine Abkehr von traditionellen Machtstrukturen dar, die bislang durch westliche Dominanz geprägt waren. Außerdem konnten besonders auf wirtschaftlicher Ebene Erfolge erzielt werden: beispielsweise ist Niger die derzeit am schnellsten wachsende Ökonomie Afrikas, weltweit kann nur Guyana einen höheren Anstieg verzeichnen.
Die EU und andere westliche Mächte versuchen, ihre Kontrolle über strategisch wichtige Regionen wie Niger zu bewahren, indem sie ökonomischen und diplomatischen Druck ausüben. Die Sanktionen und der Streit um die humanitären Hilfsgelder verdeutlichen, wie internationale Institutionen genutzt werden, um politische Kontrolle auszuüben und Abhängigkeiten aufrechtzuerhalten.
Die Proteste in Niamey und die Zusammenarbeit in der Sahel-Allianz können als Reaktion auf die erneuten neokolonialen Einflussversuche verstanden werden. Niger und seine Verbündeten versuchen, eine neue Form von Souveränität zu etablieren, die sich gegen westliche Einmischung richtet. Doch die Frage bleibt, ob diese Ansätze letztlich ebenfalls kapitalistische Regime stabilisieren.
So könnten unterentwickelnde Abhängigkeiten, etwa ausgehend von Russland, Iran, Türkei oder China, entstehen. Gerade weil die Region von westlichen Imperialisten so stark beansprucht wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, sich eine neue „Schutzmacht“ gegen deren Einfluss zu sichern.
Niger kündigt Militärabkommen mit den USA und plant eigene Währung
Die nigrische Bevölkerung, die unter den Sanktionen leidet, ist der entscheidende Faktor für den langfristigen Erfolg solcher Bestrebungen. Ihre Proteste zeigen den Wunsch nach echter, statt formeller Unabhängigkeit.
Die Eskalation der Spannungen zwischen der EU und Niger sowie die Proteste in Niamey sind Ausdruck eines umfassenderen Kampfes für die Befreiung der unterdrückten Völker. Ohne eine tiefgreifende Veränderung der ökonomischen und sozialen Verhältnisse könnte der Widerstand gegen den Imperialismus jedoch in einer neuen Form der Unterdrückung enden. Um den Weg zu echter Unabhängigkeit zu ebnen, ist jedoch ein Bruch mit dem Kapitalismus notwendig.