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Fast jeden Tag ein Femizid – Warum der Staat das Problem nicht lösen wird

Am Dienstagmorgen wurde der erste Bericht zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen veröffentlicht. Er zeigt: Frauenmorde sind längst Alltag. Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau aufgrund ihres Geschlechts ermordet. Der Staat hat bisher keine Lösung zu bieten, außer Repression. Mehr Abschiebungen und härtere Strafen werden Frauenmorde aber nicht verhindern. – Ein Kommentar von Tabea Karlo

Im Jahr 2023 wurden 360 Frauen aufgrund ihres Geschlechts ermordet. Über 80 Prozent davon durch Partner oder Ex-Partner. Das bedeutet: im letzten Jahr gab es an fast jedem Tag einen Femizid in Deutschland. Hinzu kommen weitere 578 versuchte Tötungsdelikte, das sind insgesamt zwei bis drei versuchte und erfolgreiche Morde an Frauen pro Tag.

Die Gewalt an Frauen steigt also immer weiter an. Der Femizid als Mord an einer Frau aufgrund ihres Geschlechts ist dabei die brutalste Form dieser patriarchalen Gewalt. Aber auch die Zahlen sexualisierter Straftaten steigen an, davon gab es im letzten Jahr allein nach Statistik über 52.000. Besonders betroffen sind hier junge Frauen, über die Hälfte der Opfer war unter 18 Jahre alt.

180.000 Frauen wurden dabei Opfer häuslicher Gewalt – das entspricht einem Gewaltvorkommnis alle drei Minuten. Über 17.000 Frauen darunter werden Opfer von digitaler Gewalt, wozu unter anderem Cyberstalking zählt.

Diese erdrückenden, allerdings sehr realen Fakten zeigt uns das erste Lagebild „geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteter Straftaten“. Dieses wurde am vergangenen Dienstag durch den BKA-Vizepräsidenten Michael Kretschmer gemeinsam mit der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sowie der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus (Grüne), in Berlin vorgestellt.

Vergewaltigungen und Prostitution – massives Dunkelfeld

Wichtig, dass diese Zahlen erfasst werden – gleichzeitig zeigt die Studie aber auch ihre Begrenztheit: ihr zufolge werden nahezu 600 Frauen und Mädchen Opfer von Straftaten, die im Zusammenhang mit Prostitution stehen. Darunter fällt Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, Zuhälterei und das Veranlassen zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu sexuellen Handlungen, durch die eine Person ausgebeutet wird.

Selbst die konservativste Studie aus dem Jahr 2023 geht von 88.000 Prostituierten in Deutschland aus, davon waren nur 30.000 angemeldet. Das bedeutet: auf jede angemeldete Prostituierte kommen 2,4 unangemeldete. Diese müssten in den allermeisten Fällen unter eine der oben aufgelisteten Kategorien fallen. Allein hier zeigt sich also, dass die Studie hinkt und die Zahlen um mehrere zehntausend Betroffene höher ausfallen dürften.

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen verdoppelt

Viele zuvor veröffentlichte Studien gehen sogar eher von 200.000 bis sogar 400.000 Prostituierten aus. Dann reden wir sogar von einigen hunderttausend Fällen mehr. Und das nur unter der Annahme, dass die angemeldeten Prostituierten keine Opfer von Straftaten werden – was in der Realität sicher ebenfalls anders aussieht.

Zusätzlich muss klar sein: in Untersuchungen dieser Art können grundsätzlich nur Straftaten auftauchen – also Vergehen, die nach deutschem Recht verboten und nachweisbar sind. In dieser konkreten Studie mussten sie auch noch angezeigt worden sein. Wie uns viele Untersuchungen, aber auch die Lebenserfahrung vieler Frauen zeigen, trifft das auf viele Gewalttaten, die Frauen erleben, jedoch gar nicht zu. So wird nur ein Bruchteil aller Vergewaltigungen angezeigt, und ein großer Teil der unsichtbaren psychischen Gewalt ist nicht nachweisbar.

Der Staat wird das Problem nicht lösen

Wer sich jetzt nachhaltige und erfolgversprechende Maßnahmen oder Hilfe vom Staat erhofft, wird wohl oder übel enttäuscht werden. Der Bericht erkennt zwar an, dass sich hinter den Straftaten oft „patriarchale Strukturen“ verbergen, ordnet diese aber eher als Überbleibsel ein, die in einer ansonsten emanzipierten Gesellschaft zu Konflikten führen. Das Patriarchat wird als etwas Vergangenes dargestellt, nicht als etwas Gegenwärtiges. Im Gegenteil, wenig später wird sogar versucht, die zunehmende Gewalt umzudeuten, so, als liege sie zumindest zum Teil daran, dass Frauen sich heute häufiger trauen würden, Straftaten anzuzeigen.

Während das an sich wahr sein mag, wirkt die Betonung dieses Faktors bei der drastischen Zunahme eher wie ein Ablenkungsmanöver. Doch nicht nur die Analyse lässt zu wünschen übrig, auch die Maßnahmen sprechen eine klare Sprache.

Neben harten Strafen fordert Nancy Faeser vor allem Anti-Gewalt-Trainings und elektronische Fußfesseln. Vor allem also Strafen und Maßnahmen im Nachhinein. Von Hilfen, welche die Opfer stützen, wird nur schwammig gesprochen – von der Aufstockung von seit Jahren stagnierenden Frauenhausplätzen ist beispielsweise konkret keine Rede.

Es braucht mehr Prävention, nicht mehr staatliche Repression

Verwundern sollte einen das nicht. Während viele Reformen theoretisch möglich wären, hat der deutsche Staat an ihnen ganz praktisch kein Interesse. Die vorderste Aufgabe des deutschen Staates ist es zurzeit, den deutschen Imperialismus zu schützen – der konsequente Kampf gegen patriarchale Gewalt steht diesem Ziel allerdings eher im Wege.

Präventive oder soziale Maßnahmen wie z. B. Frauenhäuser kosten viel Geld. In Zeiten von Krieg und Krise setzt der Staat aber nicht gerade auf Sozialausgaben – solche Vorhaben besitzen, wie wir sehen können, keinerlei Priorität.

Abgesehen davon dürften die vorgeschlagenen Maßnahmen oft wenig bis keine Wirkung haben: So sind Fußfesseln, Kontaktverbote und harte Strafen Sanktionen, die nur im Nachhinein ergriffen werden können – bei denen es aber keinerlei Hinweis darauf gibt, dass sie die Gewaltrate schmälern könnten. Praktisch sind sie für den Staat vor allem deshalb, weil sie besonders radikal wirken. Auch sind sie, wenn sie einmal eingeführt wurden, einfacher auf andere Felder zu übertragen. Am Ende wird hier patriarchale Gewalt also genutzt, um mehr Repression in anderen Bereichen zu ermöglichen.

Nehmen wir den Kampf gegen Gewalt selbst in die Hand!

Staatliche Repression führt nicht zuletzt oft genug selbst zu Gewalt an Frauen. Darunter fallen Abschiebungen in Länder, in denen die Gewalt noch viel offener stattfindet, oder auch direkte Übergriffe durch Polizeibeamte, wie sie in den letzten Jahren zahlreich ans Licht gekommen sind.

Darüber hinaus sehen wir, wie der Staat in Krisenzeiten die Rechte von Frauen so schnell wieder zurückstutzt, wie er nur kann. In Amerika wurden z.B. in den letzten Jahren zahlreiche Frauenrechte, unter anderem das Recht auf Abtreibung, wieder zurückgenommen. In Deutschland ist Abtreibung faktisch immer noch nicht legalisiert, sondern lediglich straffrei. Das zeigt uns, dass kapitalistische Nationalstaaten unsere Rechte niemals absichern werden, der deutsche Staat genauso wenig wie der amerikanische.

Kampf der Gewalt gegen Frauen und trans Personen! Auf die Straße zum 20. und 25. November!

Wollen wir uns vor Gewalt schützen, können wir uns auf diesen Staat nicht verlassen. Wir müssen diesen Kampf also selbst führen. Ein Grund mehr, an diesem 25. November, am „Tag gegen Gewalt an Frauen”, auf die Straße zu gehen. Und ein Grund mehr, sich auch in Zukunft gegen patriarchale Gewalt zu organisieren!

Tabea Karlo
Tabea Karlo
Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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