`

Zeitung für Solidarität und Widerstand

Freiheit schenkt uns kein Gesetz

Am 1. November ist das „Selbstbestimmungsgesetz“ in Kraft getreten. Was es damit auf sich hat und warum wir uns nicht auf den Staat verlassen dürfen. – Ein Kommentar von Alex Lehmann.

Zum Ende der Ampel-Legislatur macht die Regierung eines ihrer zahlreichen Versprechen wahr: Am 1. November ist das von vielen lang ersehnte Selbstbestimmungsgesetz in Kraft getreten. Ein Beweis für dafür, dass die Ampelregierung sich zu Recht „Fortschrittskoalition“ getauft hat. Oder?

Nein. Auch wenn viele liberale Politiker:innen sich gerne so inszenieren wollen, als hätten sie die Unterdrückung von trans- und intergeschlechtlichen Menschen mit einem Federstrich beseitigt, setzt das Selbstbestimmungsgesetz tatsächlich einen sehr engen Rahmen, in dem trans- und intergeschlechtliche Menschen „selbst bestimmen“ können.

Zwar handelt es sich auf rechtlicher Ebene tatsächlich um einen begrenzten Fortschritt gegenüber dem ersetzten Transsexuellengesetz. Aber zu geschlechtlicher Selbstbestimmung gehört noch weit mehr als nur die Änderung des (Vor-)Namens und des Geschlechtseintrags.

Bundestag stimmt über Selbstbestimmungsgesetz ab

Woher kommt die schlechte Gesetzeslage?

Geschwiegen wird in der bürgerlichen Politik über die Ursachen von Trans- und Homophobie und den Ursprung der unterdrückenden Gesetzgebung gegen trans- und intergeschlechtliche Menschen.

Keine große Überraschung, denn natürlich werden Scholz, Baerbock und Co. nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Deutschland als kapitalistisches Land benötigt Arbeiter:innen, die sich ihrer Ausbeutung und Unterdrückung unterwerfen. Ein Mittel dafür ist das eng mit dem Kapitalismus verbundene Patriarchat, die Herrschaft der Männer über alle anderen Geschlechter.

Die strikte Aufteilung aller Menschen anhand von bestimmten Merkmalen in die Kategorien „Mann“ und „Frau“ ist davon ein wichtiger Bestandteil. Sie soll dafür sorgen, dass Frauen unbezahlte Arbeit im Haushalt leisten, diese Tatsache aber nicht als besondere Ausbeutung begreifen, sondern als „natürliche Aufgabe“ aufgrund ihres Geschlechts.

Männer dienen hingegen als Unterdrücker dafür, Frauen immer wieder an diesen Platz zu verweisen. Für Menschen, deren – bei der Geburt festgestelltes – Geschlecht nicht ihrem tatsächlichen oder empfundenen Geschlecht entspricht, gibt es in dieser Ordnung keinen Platz. Die Reaktion auf ihre Existenz besteht aufgrund dessen in einer besonderen Unterdrückung, die sie an den Rand der Gesellschaft drängen soll.

Das „Selbstbestimmungsgesetz“ hat seinen Namen nicht verdient

An dieser gesellschaftlichen Grundlage der Unterdrückung kann und will die Ampelregierung nicht kratzen. Und das ist auch die größte Beschränkung des Selbstbestimmungsgesetzes: Es verspricht geschlechtliche Selbstbestimmung, bietet aber kaum etwas Handfestes.

Selbstbestimmung! Aber wie?

Weder die Politik der Ampelregierung, noch irgendeiner anderen bürgerlichen Partei, wird die geschlechtliche Selbstbestimmung einführen. Genauso wenig werden diese Parteien ernsthaft versuchen, etwas gegen trans- und interfeindliche Gewalt zu unternehmen.

Die CSD-Saison hat dies erneut bewiesen: Vor allem in ostdeutschen Kleinstädten, aber auch in vermeintlich linken Hochburgen wie Leipzig und Berlin marschierten Faschist:innen gegen die CSDs auf. Hetze und Angriffe auf sie sind keine Neuheiten. Das zeigen nicht zuletzt Attacken und Morde auf LGBTI+-Menschen der letzten Jahre, sowie die faschistischen Angriffe schon auf die CSDs in Berlin, Halle, Weißenfels oder Hannover im vergangenen Jahr.

Hass und Gewalt gegen CSDs: Die Antwort ist Kampf!

Der Staat ist dabei nicht derjenige, der die CSD-Paraden schützt. Es waren antifaschistische und klassenkämpferische Organisationen, junge LGBTI+-Menschen und Kommunist:innen, die sich den faschistischen Banden entgegengestellt haben.

Fortschritt, aber nur wenn es dem Staat passt

Dass geschlechtliche Selbstbestimmung den Politiker:innen und Bonzen völlig egal ist, zeigt auch die Sonderregelung zum „Verteidigungsfall“. Wer nach der Geburt als Mann eingetragen wurde, soll weiterhin für die Kapitalist:innen in den Krieg ziehen, auch trotz Änderung des Geschlechtseintrags.

Zudem beinhaltet das Gesetz auch weitere Zugeständnisse an Eigentümer:innen von Einrichtungen, die nach Hausrecht entscheiden können, ob sie Trans- und Interpersonen Zugang zu geschützten Räumen erlauben. Dies ist vor allem Ergebnis transfeindlicher Propaganda, die in der Diskussion des Gesetzes immer wieder aufkam. Insbesondere Transfrauen werden dabei pauschal als Bedrohung für Cis-Frauen dargestellt. Diese Argumentation verkennt allerdings, dass transgeschlechtliche Frauen in Wahrheit viel öfter Opfer von Gewalt sind und sexualisierte Gewalt an Frauen auch ohne das Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland leibt und lebt.

Sexualisierte Gewalt gegen Frauen verdoppelt

Das Gesetz bringt also zwar schon einen geringen Fortschritt, es hat allerdings Löcher wie ein Schweizer Käse. Hier zeigt sich, dass der Staat zwar durchaus bereit ist, Zugeständnisse an LGBTI+-Menschen zu machen – aber diese müssen hart erkämpft werden. Von selbst hat der Staat kein Interesse an der Befreiung der Geschlechter. Genauso, wie man also den faschistischen Schlägertrupps klar entgegentreten muss, muss auch der Kampf für Selbstbestimmung weiter geführt werden: selbstbewusst, kämpferisch, vielleicht militant und vor allem ohne Hoffnungen in dieses System und seinen Staat.

Alex Lehmann
Alex Lehmann
Perspektive Autor seit 2023. Jugendlicher Arbeiter im Einzelhandel aus Norddeutschland, schreibt gerne Artikel um den deutschen Imperialismus und seine Lügen zu enttarnen. Motto: "Wir sind die Jugend des Hochverrats!"

Mehr lesen

Perspektive Online
direkt auf dein Handy!