Bald drei Jahre nach dem russischen Angriff im Februar 2022 steht der ukrainische Staat zunehmend unter Druck – sowohl von Seiten der russischen Armee als auch einer kriegsmüden Bevölkerung. Ein Großteil der Ukrainer:innen fordert jetzt Verhandlungen. In den Regionen in der Nähe der östlichen Kriegsfront ist nicht einmal mehr ein Drittel der Menschen überzeugt davon, dass die ukrainische Armee weiterkämpfen sollte.
Im Februar jährt sich der Beginn des Ukraine-Kriegs zum dritten Mal. Zurzeit erhöht sich der Druck auf das Land von russischer Seite aus. So verzeichnete die russische Armee im letzten Monat zunehmend Gebietsgewinne und konnte mit gezielten Raketenschlägen Dnipro treffen, einen wichtigen Finanz- und Industriestandort der Ukraine. Ein eventuelles Ende des Kriegs mit ukrainischen Gebietsverlusten an den russischen Staat gilt mittlerweile als wahrscheinlich.
Dass weder der russische Staat noch die NATO kriegsmüde zu sein scheinen, zeigt unter anderem das in den letzten Wochen weiter zugespitzte Wettrüsten beider Seiten. Vor kurzem forderte außerdem der deutsche Militärexperte und Berater der Bundesregierung, Carlo Masala, Bodentruppen für die Ukraine. Bei der ukrainischen Bevölkerung scheint es allerdings anders auszusehen.
Jüngste Umfragen des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup, die im August und Oktober 2024 durchgeführt wurden, zeigen, dass im Durchschnitt 52 Prozent aller Ukrainer:innen darauf hoffen, dass ihr Land so schnell wie möglich ein Kriegsende aushandelt. Weniger als vier von zehn der Befragten sind der Überzeugung, dass ihr Militär bis zum Sieg weiterkämpfen sollte.
Flächendeckende Zunahme der Kriegsmüdigkeit in der ukrainischen Bevölkerung
Nach dem Kriegsbeginn Ende Februar 2022 zeigte sich die ukrainische Bevölkerung noch deutlich siegessicherer. In den ersten Kriegsmonaten waren 73 Prozent der Befragten der Ansicht, dass man bis zum Sieg kämpfen sollte. Im letzten Jahr ging die Unterstützung für einen Kampf bis zum Sieg zwar zurück, aber mit 63 Prozent bevorzugte immer noch weit über die Hälfte den Kampf bis zum Sieg gegenüber einem ausgehandelten Frieden.
Seitdem lässt sich jedoch ein stetiger Rückgang des Siegesbewusstseins der ukrainischen Bevölkerung beobachten. Das mündete in diesem Jahr erstmals in einer flächendeckenden Mehrheit für einen ausgehandelten Frieden. Von den 52 Prozent der Befragten, die sich für ein schnelles Kriegsende aussprechen, wäre mehr als die Hälfte bereit, territoriale Zugeständnisse zu machen.
Drang nach Frieden in den kriegsbetroffenen Gebieten besonders groß
In der Umfrage musste die Bevölkerung aus einigen besetzten Gebiete mit fest verwurzelter russischer Kontrolle ausgenommen werden, da es dort nur eine mangelnde Abdeckung durch ukrainische Mobilfunkbetreiber gibt. Dort leben etwa 10-12 Prozent der ukrainischen Bevölkerung, die in der Umfrage nicht repräsentiert werden können. In den vergangenen Jahren waren es immer die Regionen, die dem Konflikt am stärksten ausgesetzt waren, die am wenigsten Interesse an einer Fortsetzung des Krieges zeigten. Die Zahl der Ukrainer:innen, die ein schnelles Kriegsende fordern, könnte also noch höher sein.
Ein großer Teil der Ukrainer:innen, die sich für ein Kriegsende aussprechen, ist der Überzeugung, dass in den Verhandlungen andere Staaten eine bedeutende Rolle spielen sollten. Mit rund 70 Prozent sprach sich dabei ein großer Teil von ihnen für die EU gegenüber Großbritannien, den USA oder der Türkei als Vermittler aus.
Vorstellung vom Sieg ändert sich
Auch das Klima unter den Ukrainer:innen, die einen Kampf bis zum Sieg bevorzugen, verändert sich: So gaben in den Jahren 2022 und 2023 noch über 90 Prozent dieser Kategorie an, dass für sie ein Sieg die Rückgewinnung aller seit 2014 verlorenen Gebiete, einschließlich der Krim, bedeutet. In diesem Jahr waren es nur noch knapp über 80 Prozent.
An diesen Zahlen zeigt sich noch einmal deutlich, dass nicht nur die Kriegsbereitschaft der ukrainischen Bevölkerung insgesamt sinkt, sondern auch die Kriegsziele bei denjenigen Teile der Bevölkerung sinken, die weiterkämpfen wollen. Die zugespitzte Lage der Ukraine spiegelt sich so also auch im Bewusstsein der Bevölkerung deutlich wider.
Auch russische Bevölkerung will Frieden
Ähnlich verhält es sich in Russland: Hier gab es jüngst einen Umfragehöchststand in der Frage danach, wie groß der Wunsch nach einem Ende des Kriegs in der Ukraine ist. So würde knapp die Hälfte der Befragten ein baldiges Friedensabkommen unterstützen, nur ein Drittel der Russ:innen sei dem russischen Medienunternehmen Holod zufolge für eine Fortführung des Kriegs.