Die Militarisierung in Deutschland schreitet immer weiter voran. Eine besondere Rolle dabei spielt die Bundeswehr, denn diese sieht sich mit einem massiven Mangel an personalem Kanonenfutter konfrontiert. Gegen die Rekrutierungsversuche der Bundeswehr regt sich aber auch Protest, wie an einer Schule in Leipzig – was die Schulleitung mit der Androhung von Schulverweisen beantwortete. Wir haben mit der Internationalen Jugend ein Interview zu ihrer Kampagne „Kein Werben fürs Sterben“ geführt.
Vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast. Kannst du am Anfang vielleicht nochmal kurz die Internationale Jugend vorstellen und erzählen, warum ihr gerade an Schulen aktiv werden wollt?
Ja klar, sehr gerne. Die Internationale Jugend ist eine sozialistische Jugend- und vor allem Schüler:innenorganisation, die bundesweit in mehreren Städten aktiv ist. Die letzten Jahre und Monate zeigen immer klarer, dass die Gesellschaft, in der wir leben, auf wackligen Beinen steht. Wirtschaftskrisen, Kriege oder das Aufblühen rechter und offen faschistischer Kräfte bedrohen unsere Zukunft.
Wir Jugendlichen sind dabei oft im Besonderen betroffen. Dagegen wollen wir aktiv werden und zwar dort, wo wir tagtäglich mit unseren Freund:innen zusammenkommen. Wir wollen unsere Schulen wieder als politisches Kampffeld zurückgewinnen und aufzeigen, dass Politik sehr wohl etwas an Schulen zu suchen hat.
Kannst du uns ein wenig mehr über den Anlass und das Ziel eurer Kampagne erzählen?
Anlass für unsere Kampagne war ein Bundeswehrbesuch an der Humboldtschule am 30. Oktober. Jetzt könnte man meinen und hoffen, dass die Schulleitung alles in ihrer Macht getan hätte, um zu verhindern, dass die Bundeswehr an ihre Schule kommt und der Bundeswehrbesuch von zentralerer Ebene erzwungen wurde.
Doch die Bundeswehr muss in Sachsen ausdrücklich von der Schulleitung genehmigt und eingeladen werden. Die Schulleitung der Humboldtschule aber hat der Bundeswehr letztendlich Tür und Tor geöffnet, um uns Schüler:innen zu erzählen, wie toll doch das Morden für die Interessen des deutschen Staats ist oder welche vermeintlich fantastischen Ausbildungschancen man bei ihr doch hätte.
Diese Entscheidung wurde, wie man es sich bereits denken kann, ohne vorheriges Abstimmen mit den Eltern, geschweige denn den Schüler:innen getroffen. Mit unserer Kampagne „Kein Werben fürs Sterben – Keine Bundeswehr an unserer Schule“ wollten wir darauf aufmerksam machen, wofür die Bundeswehr wirklich einsteht und ihre Lügengeschichten aufdecken. Wie wir bereits in unserem Aufruf klargestellt haben: „Egal was uns Politiker:innen oder Lehrer:innen auftischen wollen: Die Bundeswehr ist keine Armee der ,Demokratie‘ oder ,Menschenrechte‘. Sie ist eine Armee, wie jede andere, die dazu da ist, um Krieg zu führen und den Machtbereich des deutschen Staates auszuweiten.“
Aufgrund dieser Situation haben wir über den sämtlichen Oktober eine Kampagne organisiert, die sich gegen den Bundeswehrbesuch an der Humboldtschule stellte und uns das Ziel gesetzt, diesen gemeinsam mit anderen Schüler:innen zu sabotieren und zu verhindern.
In eurem Aufruf habt ihr geschrieben, dass ihr den Bundeswehrbesuch verhindern wolltet. Wie genau hattet ihr das vor und welche Aktionen habt ihr organisiert?
Uns war klar: Die einzige Chance, den Bundeswehrbesuch zu verhindern, war mit unseren Mitschüler:innen zusammen. Dafür organisierten wir wöchentliche Treffen, in denen wir zusammen mit Schüler:innen der Humboldt unser Vorgehen und Aktionen geplant haben. Es wurden Banner gesprüht, Flyer und Plakate erstellt und noch vieles mehr. Im Rahmen der Kampagne haben wir außerdem einen Vortrag zur Rolle der Bundeswehr gehalten und wie sie uns Jugendliche mit besserem Lohn und kostenlosen Führerscheinen in den Kriegsdienst für den deutschen Staat locken will.
Die wohl größte Aktion und Höhepunkt unseres Protests war eine Die-In-Aktion auf dem Schulhof. Hierbei legten sich mehrere Schüler:inen auf den Boden, während ein anderer über ein Megaphon mit den beginnenden Worten „Diese Schüler:innen sind tot. Tot wegen der Bundeswehr“ lautstark seinen legitimen Protest gegen die Kriegspropaganda an Schulen und gegen die Kriegsmaschinerie Deutschlands die Aktion einläutete.
In den folgenden zwei Minuten machten wir unserem Unmut Luft, bis letztendlich die Schulleitung kam und uns das Megaphon gewaltvoll wegnahm. Am darauffolgenden Tag flogen dann aus dem dritten Stock mehrere Flugblätter über den Schulhof. Sie trugen Aufschriften wie „Dein Leben für ihre Kriege? Nein Danke!“ oder „Bundeswehr im Unterricht? Macht Lärm gegen ihre Lügen!“.
Letztendlich stand der Tag des Bundeswehrbesuchs vor der Tür. Doch die Jugendoffiziere konnten nicht einmal bis zur Hälfte ihres Vortrags kommen. Denn mehrere Schüler:innen stellten immer wieder kritische Nachfragen. Zum Beispiel zu den Kriegsverbrechen der Bundeswehr in Afghanistan, wie dem Kundus-Massaker an 120 Zivilist:innen oder den unzähligen Vorfällen patriarchaler Gewalt an Frauen in der Bundeswehr.
Unsere Kampagne hat dann mit einem Jugendcafé zu dem Thema „Frauen im Militär – Gleichberechtigung oder Kriegstreiberei?“ abgeschlossen. Seit geraumer Zeit versucht die Bundeswehr nämlich auch gezielter Frauen anzusprechen und als „starke, emanzipierte“ Frau für den Dienst an der Waffe anzuwerben. Die ganzen Fälle sexualisierter Gewalt gegen Frauen in der Bundeswehr werden dabei natürlich verschwiegen.
Oft sind Schulleitungen ja nicht so begeistert, wenn man den „friedlichen Schulalltag“ stört. Wie war denn die Reaktion der Schüler:innen und Schule auf die Aktionen?
Die Kampagne und der Protest verbreiteten sich in der Schule sehr schnell. Beim letzten Planungstreffen konnte man die dreifache Menge an Schüler:innen zählen als beim ersten. Sehr viele Schüler:innen und auch Eltern teilten die Meinung, dass der Bundeswehrbesuch ein Skandal und der Protest mehr als legitim war.
Die Die-In-Aktion wurde mit Zurufen und Applaus seitens der Schüler:innen untermauert. Die meisten Schüler:innen stellten sich klar gegen die Schulleitung und teilten die Meinung, dass Protest gegen die Kriegspropaganda der Bundeswehr legitim sei.
Die Schulleitung war da anderer Meinung. Sie kriminalisierte den legitimen Protest von Anfang an und riss uns das Megaphon aus der Hand. In den Tagen danach folgten mehrere Einzelgespräche mit beteiligten Schüler:innen, und die Schulleitung droht mittlerweile zwei Schüler:innen mit einem Schulverweis. Dagegen haben wir als Internationale Jugend eine Petition gestartet und dazu aufgerufen, weiter Druck auf die Schulleitung auszuüben.
Durch die Kampagne und die Repressionen seitens der Schulleitung sind wir mit vielen neuen und solidarischen Schüler:innen in Kontakt gekommen. Mehrere Schüler:innen sind auf uns zugekommen und berichteten uns von Erniedrigungen seitens eines Lehrers, der regelmäßig zur „Ordnung“ Schüler:innen mit dem Gesicht zur Wand stellt, oder über alltäglichen Rassismus, der so stark ausgeprägt ist, dass Schüler:innen sogar die Schule wechseln mussten.
Wie geht es nun nach der Kampagne an der Humboldt und anderen Schulen weiter?
Allen in allem werten wir unsere Kampagne als vollen Erfolg aus. Wir sind mit neuen interessierten Schüler:innen in Kontakt gekommen und haben mit ihnen gemeinsam antimilitaristische Politik auf die Tagesordnung der Schüler:innenschaft und Schule gebracht. Zwar konnten wir unser Ziel, den Bundeswehrbesuch zu verhindern, nicht vollständig erreichen. Trotzdem haben wir es geschafft, ihn kollektiv so zu sabotieren, dass die Bundeswehr ihre Lügen nicht verbreiten konnte.
Ja, die Schulleitung möchte uns einschüchtern. Aber gerade das zeigt, dass unsere Aktionen Wirkung zeigen und wir alles richtig gemacht haben. Den Rückhalt in der Schüler:innenschaft und auch bei einigen Eltern gibt uns auch den Rückenwind, um weiter zu machen. Wir wollen gegen die Repressionen gegen unsere Genoss:innen vorgehen, aber auch nicht vergessen, wie es überhaupt zu ihnen gekommen ist.
Deswegen fordern wir die Androhungen von einem Schulverweis gegen unsere beiden Mitschüler:innen und Genoss:innen zurückzunehmen. Außerdem wollen wir, dass in der Hausordnung festgehalten wird, dass die Bundeswehr nie wieder einen öffentlichen Auftritt in oder an der Schule durchführen darf.