Am Dienstag entließ Benjamin Netanjahu seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant. Damit sichert er seinen autoritären Kurs ab. Gallant war vorher zunehmend ausgeschert.
Am Dienstagabend erklärte Israel Premierminister Benjamin Netanjahu, dass er Verteidigungsminister Yoav Gallant aus seinem Amt entlässt. Mit dieser Entscheidung räumt Netanyahu einen politischen Rivalen und gleichzeitig ein Hindernis beim Umbau des israelischen Rechtssystems vorerst aus dem Weg.
„Der Vertrauensbruch zwischen mir und dem Verteidigungsminister ”, erklärte Netanyahu per Video-Statement nach der Entlassung Gallants in einem Vier-Augen-Gespräch, „verhinderte, dass der Krieg richtig geführt werden kann”. Tatsächlich erfolgt der Wechsel im israelischen Verteidigungsministerium als politischer Aufsicht über große Teile des israelischen Militärapparats inmitten eines Mehrfrontenkriegs – unter anderem gegen den palästinensischen und libanesischen Widerstand.
Der unter den Militärs respektierte Yoav Gallant wurde im Dezember 2022 im Zuge der Regierungsbildung nach der letzten Wahl des israelischen Parlaments, der Knesset, von Netanjahu zum Verteidigungsminister ernannt. Sowohl Gallant als auch Netanjahu gehören der nationalistisch-konservativen Likud-Partei an. Vorausgegangen waren der Ernennung mehrere Wochen der Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung mit mehreren faschistischen Kleinparteien. Im Zuge der Verhandlungen hatte Netanjahu zeitweise auch vorgesehen, das zweitwichtigste Amt im israelischen Staat dem faschistischen Bezalel Smotrich zuzuschanzen.
Gallant zunehmend von der Linie Netanjahus abgewichen
Bereits im Frühjahr 2023 hatte Netanjahu Gallant schon einmal entlassen, wurde jedoch durch massiven öffentlichen Protest gezwungen, die Entscheidung zurückzunehmen. Ausschlaggebend für Netanjahus ersten Versuch, den Parteikollegen loszuwerden, war die zuvorige Kritik Gallants am von Netanjahu vorangetrieben Umbau des israelischen Gerichtswesens und der damit verbundenen Auflösung der Gewaltenteilung. Gallant argumentierte damals vor allem mit der Sorge, dass die zivilen Proteste gegen die Reform des Gerichtswesens auch vermehrt das israelische Militär erfassten und die Einsatzbereitschaft der Armee bedrohten. Zwar gab es auch jetzt nach der erneuten Entlassung Gallants vor wenigen Tagen wieder Proteste. Doch sie sind dieses Mal nicht imstande, die Entscheidung Netanjahus anzufechten.
Vor einem Jahr, zu Beginn des Kriegs der israelischen Armee gegen die palästinensische Zivilbevölkerung nach dem 7. Oktober, ordnete Gallant öffentlich in einer Rede die Blockade des Gazastreifens und das vollständige Abschneiden der dort lebenden palästinensischen Bevölkerung von Strom, Treibstoff und Lebensmitteln an. Gallant erklärte in diesem Zusammenhang, dass Palästinenser:innen „menschliche Tiere” seien und bereitete mit diesen und ähnlichen Aussagen dem Genozid den Weg. Genau wie Premierminister Netanjahu wurde Gallant vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) dafür bereits wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verklagt.
Im Laufe des letzten Jahres wurden jedoch immer wieder Differenzen zwischen den beiden zionistischen Hardlinern deutlich. Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Bindung, die die beiden Politiker:innen zu den befreiten Geiseln, sowie zu den Angehörigen der noch immer in Gaza unter Kontrolle der Hamas vermuteten Geiseln suchen: Während Netanyahu bereits zu Beginn des Kriegs immer wieder deutlich gemacht hat, dass er nicht zu Zugeständnissen an die Hamas bereit sei, um Geiseln freizubekommen, ist Gallant mittlerweile vollständig auf die Forderungen der Angehörigen der Geiseln nach einem Waffenstillstand und dem bedingungslosen Bemühen für die Freilassung der Geiseln eingeschwenkt. Unmittelbar nach seiner Entlassung sagte Gallant in einem Treffen mit Geisel-Angehörigen, dass Israel all seine militärischen Ziele in Gaza ohnehin erreicht hätte und eine weitere Präsenz der Armee dort militärisch und politisch keinerlei Sinn mache.
Völkermord in Wort und Tat – Die genozidalen Aussagen Israels
Mit der Ablehnung des totalen Kriegs, den vor allem Netanjahu seit dem 7. Oktober nicht nur den Palästinenser:innen, sondern mittlerweile auch der Hisbollah und der libanesischen Bevölkerung erklärt hatte, stand Gallant immer wieder auch in der Gunst vom ehemaligen US-Präsidenten Biden, der während seiner Amtszeit zum Teil zaghaft versucht hatte, Netanjahus Feldzug Einhalt zu gebieten und den israelischen Führer zu mäßigen.
Nicht zuletzt gefährdete Gallant auch Netanjahus Nähe zu den ultraorthodoxen und ultrarechten Führer:innen mehrerer Kleinparteien. Gallant hatte immer wieder öffentlichkeitswirksam seine Haltung vertreten, dass die israelische Wehrpflicht auch auf die – über Jahrzehnte von ihr ausgenommenen – ultraorthodoxen Jüd:innen ausgeweitet werden solle. Im Juli 2024 wurden tatsächlich mehrere Einberufungsbriefe an ultraorthodoxe Jüd:innen verschickt. Gallant bestand darauf, dass es bei der Aufstockung der israelischen Armee keine Ausnahmen geben dürfe, während mehrere Faschist:innen in der Regierung gegen die Einberufungen protestierten.
Netanjahu erholt sich mehr und mehr
Nachdem Netanjahus Beliebtheitswerte zu Beginn des Kriegs und unmittelbar nach dem Angriff durch den palästinensischen Widerstand auf israelische Stellungen und Städte auf einen Tiefstand gesunken waren, erholen sich die Zustimmungswerte des Premierministers mittlerweile wieder. Je länger der Krieg dauert, desto mehr vertrauen die Israelis ihrem Premier – obwohl dieser noch immer wegen Korruption und Bestechlichkeit vor Gericht steht.
Mit der Entlassung Gallants könnte Netanjahu den Weg nun vorerst wieder freigemacht haben, um mithilfe der ultrarechten und faschistischen Koalitionspartner den israelischen Staat weiter umzubauen und seine aggressive Kriegspolitik fortzuführen.