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Israels Mehrfronten-Krieg – immer noch kein Ende des Sterbens in Sicht

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Netanyahu und dessen Ex-Kriegsminister Yoav Gallant ausgesprochen. Während im Libanon nun auch Verhandlungen für eine Waffenruhe stattfinden, ist ein Ende des Kriegs und Völkermords noch nicht in Sicht. Ein Überblick über die Lage in Gaza, dem Westjordanland, und dem Libanon.

Seit der Militäroffensive der Hamas und anderer palästinensischer Widerstandsgruppen am 7. Oktober 2023 befindet sich Israel in einem Krieg an mehreren Fronten. Hierzu gehören die Angriffe auf den Gazastreifen, der Krieg gegen den Libanon und die dort operierende Hisbollah-Miliz, sowie der Kampf gegen palästinensische Widerstandskräfte im besetzten Westjordanland. Während einerseits der internationale Druck auf Israel wächst und der US-Mediator eine Einigung zur Waffenruhe „in Reichweite“ sieht, beharrt Israel andererseits darauf, die Angriffe erst einzustellen, nachdem alle militärischen und politischen Ziele erreicht wurden.

Die humanitäre Lage in Gaza

Seit Beginn des jüngsten Krieges gegen Palästina wurden laut Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums 43.972 Menschen in Gaza getötet, darunter 17,492 Kinder. Da hierunter nicht Tode durch Krankheit oder Hunger fallen, oder Menschen, die noch unter den Trümmern begraben liegen, vermutet das wissenschaftliche Journal Lancet eine tatsächliche Todeszahl von 186.000 Menschen.

Gaza: Todeszahlen vermutlich viel höher als offiziell berichtet

Israels Strategie zielt darauf ab, die Bevölkerung des Gazastreifens vollständig zu verjagen. 1,9 Millionen Menschen wurden aus Gaza vertrieben und 80 Prozent des Gazastreifens unterliegen bereits israelischen Evakuierungsbefehlen. Israelische Bombardements konzentrieren sich derzeit auf den Norden Gazas, insbesondere die Städte Dschabalia, Beit Lahija und Beit Hanoun. Durch die jüngsten Angriffe auf überfüllte Wohnhäuser sind erneut 57 Menschen ums Leben gekommen.

Laut UN-Vertreter:innen gibt es derzeit keine sicheren Rückzugsorte mehr in Gaza. Dies zeigt sich auch darin, dass Israel Gebiete angreift, die von Israel selbst als „humanitäre Zone“ deklariert wurden. So wurden im Juli durch israelische Angriffe auf Chan-Yunis ca. 90 Menschen getötet. Israelischen Angaben zufolge seien dabei der jahrzehntelange Militärchef der Hamas, Mohammed Deif, sowie der Anführer der Chan-Yunis Brigade, Rafa Salama, getötet worden.

Hohes Krankheitsrisiko durch Zerstörung von Infrastruktur

Palästinensische Vertriebene sind allerdings nicht nur durch direkte israelische Angriffe bedroht, sondern auch durch die katastrophale Versorgungslage und weitestgehend zerstörte Infrastruktur. Über die Hälfte des fruchtbaren Landes wurde zerstört, und nur noch wenige Krankenhäuser sind in Betrieb. Darüber hinaus sind sogar Hospitäler im Norden Gazas immer wieder Angriffen ausgesetzt.

Dies führt u.a. dazu, dass sich Krankheiten enorm schnell verbreiten. Da auch ein Großteil der Abwasserpumpen beschädigt wurde, haben Geflüchtete meist keine andere Wahl, als Gräben für den Toilettengang auszuheben. So steigt nicht nur das Infektionsrisiko, sondern auch die Gefahr, dass das Trinkwasser kontaminiert wird. Auch nahezu ausgerottete Krankheiten wie Polio tauchen erneut auf, wie in dem durch die palästinensische Gesundheitsbehörde bestätigten Fall eines 10 Monate alten Babys mit Polio. Während vor Israels Offensive in Gaza 99 Prozent der Bevölkerung gegen Polio geimpft war, sind es aufgrund der gezielten Abschottung Gazas mittlerweile nur noch 86 Prozent.

Polio-Ausbruch in Gaza: Erste Impfungen erfolgt

Israelische Angriffe im besetzten Westjordanland

Doch nicht nur im Gazastreifen fallen etliche Menschen israelischen Angriffen zu Opfer. Im Westjordanland wurden seit Beginn des Krieges 785 Menschen getötet. Zwar ist die israelische Besetzung des Westjordanlands laut dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) nicht rechtmäßig. Dennoch sind israelische Truppen dort dauerhaft stationiert und schützen illegale Siedler, die regelmäßig Gewalttaten gegen Palästinenser:innen begehen – und dies bereits weit vor dem 7. Oktober 2023.

Aufgrund der Apartheid-Politik im Westjordanland, die Palästinenser:innen den Zugang zu etlichen Straßen und Gebieten verwehrt, regt sich auch dort Widerstand gegen die israelische Besatzung, allerdings auf militärisch wesentlich niedrigerem Niveau als in Gaza. Durch militärische Intervention sowie Kooperation mit der Palästinensischen Autonomiebehörde versucht Israel, diesen Widerstand gering zu halten. Aus diesem Grund führte das israelische Militär vor kurzem eine zweitägige Operation in und um die Stadt Jenin und dessen Geflüchtetenlager durch. Das angegebene Ziel war, dort vermutete „Terroristen“ auszuschalten. Hierdurch wurde auch die Strom- und Wasserversorgung des Geflüchtetenlagers zerstört und acht Menschen wurden getötet.

Die Attacken werden nicht nur von dem Militär, sondern auch den Siedler:innen selbst durchgeführt. Anfang November zündeten sie z.B. Autos in der palästinensischen Stadt al-Mazra’a al-Qibliya in der Nähe Ramallahs an. In der gleichen Stadt wurden bereits zuvor Wasserreinigungsanlagen sabotiert. Laut palästinensischen Quellen gab es im vergangenen Jahr bereits 1.500 Attacken durch Siedler gegen Palästinenser:innen, ihr Land und ihr Eigentum.

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Womöglich Annexion des Westjordanlands geplant

Bereits im August rief der israelische Außenminister Israel Katz zu einer temporären Evakuierung des gesamten Westjordanlands auf. Dass eine solche Evakuierung lediglich vorübergehend wäre, ist stark anzuzweifeln. Plausibler erscheint der Plan Israels, die gesamte palästinensische Bevölkerung entweder zu vertreiben oder zu töten – ein Vorgehen, das eindeutig den Tatbestand eines Völkermords erfüllt.

Die bereits von Südafrika am Internationalen Gerichtshof eingereichte Anklage eines Völkermords wird des Weiteren durch Aussagen israelischer Politiker:innen untermauert: So legte der israelische Finanzminister Bezael Smotrich nahe, dass Israel im kommenden Jahr eine komplette Annexion des Westjordanlands ersuchen würde. Smotrich, selbst ein Siedler und Vorsitzender der faschistischen Nationalreligiösen Partei, schaut dabei auf die kommende US-Regierung unter Trump, von der er erwartet, Israels Besatzung des von Zionist:innen als „Judea und Samara“ bezeichneten Westjordanlands zuzustimmen. Trump hatte in seiner ersten Amtszeit erhebliche Zugeständnisse an Siedler:innen gemacht und die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt.

Israels Krieg im Libanon und Verhandlungen über Waffenruhe

Eine weitere Front in Israels Krieg ist der Libanon. Von dort aus operiert die dem Iran nahestehende Hisbollah-Miliz. Diese beschießt Israel immer wieder mit Raketen, laut eigenen Angaben mit Unterstützung des palästinensischen Widerstands. Nachdem der israelische Geheimdienst manipulierte Pager-Geräte detonieren ließ und dadurch Hisbollah-Mitglieder, aber auch Zivilist:innen tötete, wurde dies im Oktober durch eine Bodenoffensive eskaliert. Seit Israels Krieg gegen den Libanon begann, wurden bereits 3.558 Libanes:innen getötet und weitere 1,2 Millionen vertrieben – ein Fünftel der gesamten Bevölkerung.

EIL: Israelischer Krieg auf Libanon eskaliert – „begrenzte Bodenoperation“ hat begonnen

Derzeit befinden sich Diplomat:innen Israels, des Libanons und der Hisbollah in Verhandlungen. Diese werden angeführt durch den US-Mediator Amos Hochstein, der sich vor kurzem optimistisch zeigte und eine Waffenruhe „in Reichweite“ sah. Zwar stimmen Libanon und die Hisbollah dem US-Plan für eine Waffenruhe grundlegend zu. Sie fordern jedoch einige Änderungen. Während es die israelische Position ist, Truppen erst 60 Tage nach einem erreichten Waffenstillstand abzuziehen, fordert Libanon den sofortigen Rückzug nach einer Einigung. Ebenfalls solle in der Einigung ein nicht weiter erklärtes „Recht auf Selbstverteidigung“ beider Seiten verankert werden.

Ob eine erreichte Waffenruhe aber tatsächlich zu einem Anhalten der Kriegshandlungen führen würde, ist unklar. Schließlich beharrt die israelische Regierung darauf, auch im Falle einer Waffenruhe weiterhin Luftangriffe auf die Hisbollah durchzuführen, sollten diese im Süden des Libanons agieren. Auch während der Verhandlungen lieferten sich beide Seiten noch schwere Gefechte.

Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant durch Internationalen Strafgerichtshof

Auf den andauernden Völkermord Israels an den Palästinenser:innen folgen nun auch rechtliche Schritte: der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und dessen Ex-Kriegsminister Yoav Gallant erlassen. Auch gegen den Militärchef der Hamas, Mohammed Deif, liegt ein Haftbefehl vor, wobei dieser wie oben erwähnt, womöglich bereits getötet wurde.

Netanyahu und Gallant werden beschuldigt, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza verübt zu haben. Hierbei wurden auch Anzeichen erwähnt, dass Netanyahu und Gallant „absichtlich und wissentlich der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wesentliche Dinge für ihr Überleben einschließlich Nahrung, Wasser sowie Medikamente und medizinische Hilfsmittel sowie Brennstoffe und Strom vorenthalten haben“.

Völkermord in Wort und Tat – Die genozidalen Aussagen Israels

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Während Israel und die USA den internationalen Strafgerichtshof nicht anerkennen, gilt das nicht für Deutschland. Dies würde bedeuten, dass Deutschland zumindest in der Theorie Netanyahu und Gallant verhaften müsste, sollten diese nach Deutschland einreisen.

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