Nach der im Bundestag verabschiedeten Antisemitismus-Resolution wurde ein weiterer Antrag eingebracht, der sich gegen Antisemitismus im Bildungssystem, speziell an Universitäten richten soll. Der Artikel verfehlt allerdings – wie die Resolution – den vorgegebenen Zweck und wird zur Repression gegen pro-palästinensische Studierende an deutschen Unis genutzt. – Ein Kommentar von Quentin Klaas.
Vor einer Woche wurde eine Resolution mit dem Titel „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ im Bundestag beschlossen. Entgegen dem Titel und den vorgeschobenen Gründen für die Resolution werden Jüd:innen durch diese nicht geschützt. Stattdessen geht es darum, die deutsche Staatsräson der „bedingungslosen Solidarität mit Israel“ zu untermauern.
Die Resolution enthält vor allem Repressionsmaßnahmen gegen antizionistische und palästinensische Aktivist:innen und wiederholt die Lüge des „importierten Antisemitismus“, die lange Zeit vor allem von rechten und faschistischen Kräften verbreitet wurde. Doch mittlerweile kommen diese Rufe auch aus den Reihen vieler anderer Parteien und Organisationen.
Diese Rhetorik dient vor allem dazu, rassistische Narrative zu stärken und repressive Maßnahmen gegen Migrant:innen zu rechtfertigen. Dies führte in den letzten Monaten auch dazu, dass in einigen Bundesländern Fragen zum Existenzrechts Israel in Einbürgerungstest aufgenommen wurden. Und das obwohl Statistiken zeigen, dass antisemitische Straftaten zum größten Teil von Faschist:innen ausgeübt werden: 2022 wurden 2.185 Straftaten der Kategorie „rechts“ zugeordnet.
Woher kommen der steigende Antisemitismus und antimuslimische Rassismus?
Ähnlich der Antisemitismus-Resolution haben SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP nun den Antrag „Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen entschlossen entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern“ in den Bundestag eingebracht. Dieser nimmt vor allem Studierende und Universitäten insgesamt ins Visier.
Repressionen gegen Palästina-Bewegung an Unis
Seit dem Beginn des israelischen Genozids in Gaza im Oktober 2023 sind Universitäten zu einem Mittelpunkt der Proteste gegen den Genozid und die Unterstützung Israels durch den deutschen Staat geworden. In einer Vielzahl von Städten fanden Protestcamps statt, Hörsäle wurden von Studierenden besetzt und es gab Kundgebungen vor und in Unis.
All diese Aktionen sind dem deutschen Staat ein Dorn im Auge. Daher ist es nicht verwunderlich, dass den Leitungen der Unis verschärfte Möglichkeiten geschaffen werden und von ihnen entsprechendes Handeln erwartet wird. Universitäten und Hochschulen sollen dabei unterstützt werden „das Hausrecht konsequent umzusetzen […] und gegebenenfalls Exmatrikulationen“ durchzusetzen. Einfach gesagt: widerständige Studierende sollen suspendiert werden und ihren Studienplatz verlieren.
Solche Verschärfungen kennt man bereits aus den Plänen des Berliner Senats zur Verschärfung des Hochschulgesetzes. Hier sollten Exmatrikulationen von antizionistischen Studierenden und pro-palästinensischen Aktivist:innen ermöglicht werden. Alles unter dem Vorwand des Kampfes gegen Antisemitismus.
CDU und SPD planen drastischste Verschärfung des Berliner Hochschulgesetzes
Neben den universitären Repressionen sollen Unis vermehrt auf die Polizei zurückgreifen können um gegen antisemitische Vorfälle vorzugehen. Wie das aussieht sah man bereits bei Camps und Hörsaalbesetzungen, die gewaltsam durch die Polizei geräumt wurden. Ulli Müller vom Studierendenkollektiv ergänzt: „Gerade an Universitäten waren die Proteste besonders stark und haben für viel gesellschaftlichen Trubel gesorgt. Dementsprechend repressiv war auch die Antwort, sei es dass Cops die Studis durch die eigene Unis jagen oder die Unileitung ihre eigenen Studierenden verklagt.“
Staatliche Verfolgung
Aber auch außerhalb der Unis haben die Repressionen stetig zugenommen. In Augsburg wurden kürzlich mehrere Wohnungen von Aktivist:innen des Solidaritätsnetzwerks wegen Aushängen vom November 2023 zum Genozid in Gaza von der Polizei durchsucht. Bei der Frauenorganisation ZORA gab es im Dezember 2023 ebenfalls Hausdurchsuchungen aufgrund eines Flyers. Daneben wurden Organisationen wie Samidoun oder Palästina-Solidarität Duisburg wegen angeblicher Verbindungen zur Hamas gänzlich verboten.
Zurzeit finden auch etliche Gerichtsprozesse in Berlin statt. Nach Hörsaalbesetzungen hatten die Universitäten ihre eigenen Studierenden verklagt. Eine Studentin, die kürzlich vor Gericht stand, erklärt nach der Einstellung ihres Verfahrens gegenüber der handsoffstudentsrights:
„Der Grund (für die Einstellung) ist aber hauptsächlich juristisch, denn der Strafantrag der Freien Universität hatte in seiner Form keine Gültigkeit. Wir müssen also sehen, dass trotzdem die Legitimität und die Notwendigkeit von Hörsaalbesetzungen weiterhin von Studierenden verteidigt werden muss. Der Genozid in Gaza, aber auch in anderen Ländern wie in Kurdistan geht weiter, der Imperialismus in Deutschland lebt.“
Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit auch für Lehrende
Entgegen dem Slogan, den freien Diskurs sichern zu wollen, führt der Antrag eher zu einer Einschränkung des Diskurses über den Genozid in Palästina. Neben den Repressionen der Studierenden werden auch Professor:innen und Dozent:innen in ihrer Forschung eingeschränkt.
Aufgrund dessen kritisieren ca. zwei dutzend Professor:innen den Antrag. Unter anderem kann es dazu führen, dass Referent:innen, die kritisch gegenüber der israelischen Besatzung sind, nicht mehr zu Veranstaltungen an deutschen Universitäten eingeladen werden können.
Der ganze Antrag, der Antizionismus und Antisemitismus erneut gleichsetzt und damit Widerstand gegen Besatzung und Genozid zu Judenhass erklärt, schränkt die Meinungsfreiheit von Lehrenden und Studierenden gleichermaßen ein und ist ein weiterer Schritt zur Unterdrückung der Bewegung gegen den Genozid in Gaza.