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Zeitung für Solidarität und Widerstand

„Kapitalistische Profitgier wird über die berechtigten Anliegen der Anwohnenden und des Klimas gestellt“

Am Flughafen Leipzig/Halle sind Investitionen von über 500 Millionen Euro geplant – Anwohner:innen und Klimaaktivist:innen befürchten Lärmbeschwerden und eine stärkere Belastung der Umwelt. Widerstand gegen die Pläne gibt es schon länger, zuletzt hat DHL 54 Protestierende nach einer Blockadeaktion im Juli 2021 angeklagt. Wir haben mit Anna vom Aktionsbündnis gegen Flughafenausbau Leipzig/Halle (LEJ) über die Repression und den kommenden Protest gesprochen.

Am Flughafen Leipzig/Halle sind Investitionen von 500 Millionen Euro geplant. Was genau hat der Flughafenbetreiber vor?

DHL plant am Flughafen Leipzig-Halle die Erhöhung der Kapazität von derzeit 60 auf 96 Stellplätze, das würde den Anstieg der Starts und Landungen von ca. 79.000 (2019) auf ca. 118.000 bis 2032, also um 51 Prozent ermöglichen und den Einsatz größerer (und damit lauterer und schadstoffintensiverer) Frachtmaschinen.

Die Umgestaltung betrifft das Vorfeld 4 im Südosten der bestehenden Flughafenanlage. Es umfasst aktuell rund 58 Hektar und soll um 39 Hektar erweitert werden. Geplant sind neue Enteisungspositionen, eine Schnee-Deponie und moderne Entwässerungsanlagen. Darüber hinaus sollen über neue Rollwege Anschlüsse an das bestehende Start- und Landebahnsystem sowie Hochbauflächen geschaffen werden.

Jetzt protestiert ihr ja nicht ohne Grund gegen den geplanten Ausbau. Welche Folgen haben Anwohner:innen und Umwelt zu befürchten?

Schon jetzt ist die nächtliche Lärmbelastung enorm mit über 60 Starts und 60 Landungen pro Nacht. Es ist nachgewiesen, dass in Flughafennähe das Risiko für Herzkreislauferkrankungen sowie psychische Erkrankungen massiv höher ist als in ruhigeren Gebieten. Flugzeuge stoßen außerdem Ultrafeinstaub aus, d.h. Feinstaubpartikel, die so winzig sind, dass unsere Lunge sie nicht filtern kann. Das ist also nochmal schädlicher als die Autoabgase.

Fliegen ist die klimaschädlichste Transportform. Hier trägt nicht nur das CO2 zu einem erwärmenden Effekt bei, sondern auch Kondensstreifen, Stickoxide und Ruß sind Klimagase. Die Gesamtklimawirkung des Fliegens ist dabei um den Faktor 3 größer als nur der CO2-Ausstoß. Hier lügen Industrie und Politik, indem sie nur die Werte für den CO2-Ausstoß betrachten. Wenn man die Gesamtklimawirkung des Fliegens betrachtet, so hat sie an der von Deutschland ausgehenden Klimawirkung einen fast so großen Anteil wie der Autoverkehr.

Käme der Ausbau so wie geplant, hieße das einen Anstieg auf 10 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr. Das ist mit den Klimazielen nicht vereinbar! Deshalb müssen Erweiterungen von Flughafen-Infrastruktur sofort gestoppt werden. Solche Infrastrukturprojekte stellen die Weichen für die Zukunft und zielen klimapolitisch in die völlig falsche Richtung.

„Mit DHL GoGreen wird Klimaschutz und Nachhaltigkeit groß geschrieben“, schreibt das Unternehmen auf der eigenen Website. Was haltet ihr davon?

Es gibt viele Unternehmen, die ernsthaft anstreben, ökologischer zu arbeiten. Das zeigt, dass gesamtgesellschaftlich angekommen ist, wie existentiell Klimaschutz für uns ist. Was im Detail Nutzen bringt und was doch eher unter den Begriff „Greenwashing” fällt (Anm. d. Red.: Unternehmen geben sich vor der Öffentlichkeit ein umweltfreundliches Image, das nicht der Realität entspricht) – da lohnt es sich, genauer hinzusehen.

Das Versprechen, in ferner Zukunft klimaneutral fliegen zu können, entspringt dem Glauben an technologische Lösungen, die ermöglichen, ungebremst weiter zu konsumieren und auf weiteres Wachstum zu setzen. Diesem Glauben sollten wir lieber nicht verfallen, wenn es um eine lebenswerte Zukunft für alle geht.

Studien zufolge ist es nicht vor 2050 möglich „umweltfreundlicher“ zu fliegen. Wir sind jetzt im Jahr 2024, bis 2030 will Deutschland die Treibhausgase um 65 Prozent reduzieren – wer das mit dem Ausbau von Flugverkehr für vereinbar hält, muss fest die Augen vor der Realität verschließen.

Im Juli 2021 fand unter dem Motto „CancelLEJ“ eine Protestaktion gegen den geplanten Ausbau statt, viele der 54 beteiligten Aktivist:innen wurden mehrtägig in Gewahrsam genommen, und es wird zudem zivil- und strafrechtlich gegen sie vorgegangen. Wieso reagieren DHL und die Gerichte so repressiv?

Dass gegen Akteur:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung so repressiv vorgegangen wird, zeigt, dass sich progressive, klimabewusste Positionen einerseits und Kapitalinteresse zusammen mit regressiven Positionen andererseits verschärfen. Die erlebten Maßnahmen zielen auf Abschreckung bis Einschüchterung.

Zur damaligen Zeit begann der Aufbau einer sozialen Bewegung, in der sich Klimaaktivist:innen an die Seite der lärmbetroffenen Anwohnerschaft stellten. Diese gesellschaftliche Gegenmacht wollte die DHL im Keim ersticken, um ihr Image als verantwortungsvoller Nachbar und guter Arbeitgeber nicht zu gefährden.

Schon in der gleichen Nacht wurde verbreitet, es sei ein Schaden im Millionenbereich entstanden und laut SPIEGEL war in einem Polizeibericht die Rede von einem angeblich blockierten LKW mit Impfstoffen. Dass es in diesem Fall erst zum Freispruch kam, die Staatsanwaltschaft dann jedoch in Revision gegangen ist, ist Ausdruck von einem allgemeinen autoritären Turn, bei dem friedliche Protestaktionen wie Straßenblockaden nicht mehr als Teil einer demokratischen Protestkultur toleriert werden.

Die Linke fordert die Stadt zur Klage gegen die Genehmigung des Ausbaus auf, am 21. November wird der Leipziger Stadtrat darüber abstimmen. Habt ihr noch Hoffnung? Und inwiefern werdet ihr von der lokalen Politik in eurem Anliegen unterstützt?

Es gab im Leipziger Stadtrat immer schon wahrnehmbare Positionen gegen den Flughafen, geschlossen von der Grünen Fraktion, außerdem von der Linken sowie von Einzelpersonen aus SPD und CDU. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), der auch im Aufsichtsrat der Mitteldeutschen Flughafen AG sitzt, äußert sich hingegen immer wieder pro Flughafen.

Das Dezernat für Stadtentwicklung und Bau hatte eine Stellungnahme im Planfeststellungsverfahren eingereicht, die sich sehr kritisch positionierte – genauso wie andere Träger öffentlicher Belange fundierte Einwendungen einreichten, auch Umlandgemeinden. Insofern gibt es Unterstützung. Allerdings ist es notwendig, die gesellschaftliche Debatte zu führen und die Fakten zu verbreiten, die der Erzählung vom Flughafen als „Wirtschaftsmotor der Region“ entgegenstehen. Der Hauptanteilseigner der Mitteldeutschen Flughafengesellschaft ist zu zwei Dritteln das Land Sachsen. Der Landtag hätte unserer Petition gegen den Ausbau stattgeben können, hat dies aber nicht getan.

Wie können Interessierte – ob von Leipzig aus oder sonstwo – den Kampf für Klimagerechtigkeit und lokale Mitbestimmung unterstützen?

Personen, die sich gegen den Ausbau des Frachtflughafens engagieren wollen, können zur Demo kommen, online und offline dazu beitragen, andere zu dem Thema zu informieren und sensibilisieren. Se können an den Bündnistreffen teilnehmen und – ganz wichtig – den Klageweg mit Spenden unterstützen.

Für Samstag, den 16. November ruft das Aktionsbündnis zu einer Demonstration um 14 Uhr am Augustusplatz in Leipzig auf. Darüber hinaus mobilisieren: TransformLEJ, Klimafair, Fridays4Future Leipzig, Ende Gelände Halle (Saale) und Leipzig, DIE GRÜNEN Leipzig, Nordsachsen und Landkreis Leipzig sowie B.U.N.D. Leipzig.
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