Die meisten Jugendlichen, die heute zur Schule gehen, können ein Lied davon singen, in welch schlechtem Zustand sich ihre Schule befindet – seien es Kakerlaken in den Gängen, einstürzende Deckenteile in Container-Klassenräumen oder Sanitäranlagen ohne Seife und Toilettenpapier. All das gehört für viele Schüler:innen zum Alltag. – Ein Kommentar von Emil Glücklich.
Die deutschen Schulen befinden sich zu einem großen Teil in einem schlechten Zustand. Das ist nicht verwunderlich, wenn man sich anschaut, wohin die Bundesregierung das Geld in den letzten Jahren gegeben hat: Statt sich um die langsam zerfallenden Schulgebäude zu kümmern, wurden nämlich zum Beispiel lieber 100 Milliarden Euro Sondervermögen in die Bundeswehr gesteckt. In diesem System bietet die Schule Jugendlichen wenig.
Lerninhalte und Ziel des Schulsystems
Aber nicht nur die Schulgebäude sind marode, sondern das ganze Schulsystem: Schaut man sich die Unterrichtsinhalte oder auch nur die Fächer an, zeigt sich schnell, dass das Ziel des Bildungssystems nicht in erster Linie ist, den Schüler:innen nützliches Wissen für ihr Leben zu vermitteln, sondern die ganze Schulzeit darauf ausgelegt ist, die Jugendlichen auf ihre spätere Rolle im Kapitalismus vorzubereiten.
So gibt es immer wieder Beispiele, wie in Hauptschulen den Schüler:innen beigebracht wird, wie Hartz-IV/Bürgergeld-Anträge ausgefüllt werden. Außerdem wird in der Schule den Kindern und Jugendlichen von klein auf eingeschärft, dass Hierarchien zu achten und Höhergestellte mit „Respekt“ zu behandeln sind. Uns wird gezeigt, dass wir uns nicht widersetzen dürfen und in keiner Situation den Respekt vor den Lehrkräften verlieren dürfen, sonst drohen schlechte Noten oder andere Strafen.
Das heißt nicht, dass alle Lehrkräfte ihre Schüler:innen schlecht behandeln würden, aber es häufen sich die Fälle von respektlosem Umgang von Lehrer:innen mit Schüler:innen, die völlig ungestraft einfach hingenommen werden. Selbst bei frauen- oder queer-feindlichen Aussagen trauen sich Schüler:innen oftmals nicht, sich zu wehren. Für das zukünftige Arbeitsleben heißt das: „Mach was der Chef sagt – und fertig!”
Im Vergleich mit anderen Ländern schneidet das deutsche Bildungssystem beim Thema Chancengleichheit sehr schlecht ab. So besuchen laut einer Studie des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts aus dem letzten Jahr nur 28,2 Prozent nach der Grundschule ein Gymnasium, wenn kein Elternteil Abitur hat, jedoch sind es 75,3 Prozent, wenn beide Elternteile Abitur haben. Der Werdegang des Kindes ist also stark abhängig vom Abschluss der Eltern.
Aber schon die Einteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium ist unfair – und erfüllt einen ganz besonderen Zweck im Kapitalismus: Durch diese besondere Einteilung werden die Jugendlichen und so auch die Arbeiter:innenklasse gespalten. Den Gymnasiast:innen wird eine Gruppe offeriert, auf die sie herabschauen können, und dieses Abwerten der anderen wird oft noch von den Lehrkräften bestärkt.
„Ihr benehmt euch ja wie Hauptschüler“ oder „wir sind hier nicht an der Hauptschule“ sind keine selten gesagten Sätze an Gymnasien. Damit spiegelt sich die systematische Trennung innerhalb der Arbeiter:innenklasse im Bildungssystem wider.
Lebensrealität und Bedürfnisse von Schüler:innen
Bei der Spaltung der Jugend durch die unterschiedlichen Schulformen und bei den verwahrlosten Räumlichkeiten bleibt es jedoch nicht. Die Lebensrealität von Schüler:innen lässt auch sonst besonders in den höheren Klassen stark zu wünschen übrig. Ewig lange Unterrichtszeiten mit wenigen kurzen Pausen sind in der Oberstufe keine Seltenheit.
An einem Frankfurter Gymnasium beispielsweise haben viele Schüler:innen der Oberstufe Unterricht von 8 bis 15:40 Uhr – und das ohne Mittagspause. Auch Unterricht von 8 bis 18 Uhr mit nur einer 45-minütigen Mittagspause ist nicht selten. Für einen Kurs soll dies nun sogar noch auf 18:20 Uhr verlängert werden. Die Schule hatte aufgrund von zu wenigen Lehrkräften und Mangel an Räumen einzelne Kurse mit einem anderen Oberstufengymnasium zusammenlegen müssen – jedoch liegen zwischen den beiden Schulen zwanzig Minuten Wegzeit mit der U-Bahn.
Die Schüler:innen müssen daher mehrmals die Woche ihre Pausen opfern, um an die andere Schule zu gelangen. Der Unterricht für alle anderen schiebt sich dadurch um zwanzig Minuten nach hinten, damit niemand zu spät kommen muss. Anstatt eine andere Lösung zu finden, müssen hier aber wieder einmal die Schüler:innen herhalten und einfach zwanzig Minuten länger bleiben.
Nach diesen langen Schultagen wird von ihnen dann noch erwartet, dass sie die Hausaufgaben erledigen und für ihre Klausuren lernen. Und das alles zu Zeiten, durch die sich Jugendliche wirklich quälen müssen: Von morgens um 8 Uhr fünfmal die Woche konzentriert in der Schule zu sitzen, schafft wirklich kaum jemand. Verschiedene Studien belegen seit Jahren, dass ein späterer Schulstart für bessere Konzentration, Stimmung und Leistung bei den Schüler:innen sorgen würde. Hier zeigt sich einmal mehr, dass das Schulsystem überhaupt nicht auf die Bedürfnisse von Jugendlichen ausgerichtet ist.
All das schlägt sich natürlich auch in der Gesundheit von Schüler:innen nieder. Eine Erhebung der DAK aus dem letzten Monat zeigt: Mehr als die Hälfte der Schüler:innen fühlen sich erschöpft, fast ein Drittel berichtet von erhöhter Einsamkeit. Auch hier ist der Unterschied nach sozialer Schicht belegt, denn der Anteil unter Kindern aus Familien mit niedrigem Sozialstatus ist besonders hoch.
Der Stress durch die Klausuren und den Leistungsdruck in Kombination mit den mangelhaften Lernbedingungen führt zu vielen unterschiedlichen psychischen Problemen wie Depressionen – aber auch Schlafprobleme, Kopf-, Rücken- und Bauchschmerzen sind unter Jugendlichen nicht selten, und die Zahl der Betroffenen steigt seit Jahren.
Keine Lösung im Kapitalismus
Die Zukunft sieht leider auch nicht rosiger für die Schüler:innen aus. Bald könnte ihnen nach der Schule wieder die Wehrpflicht drohen, und im Zuge der Militarisierung werden die Gelder für Bildung und Soziales noch weiter gekürzt werden. Für eine tatsächliche Besserung muss das Problem also an der Wurzel gepackt werden. Eine langfristige Reform des Bildungssystems ist jedoch in diesem Gesellschaftssystem nicht möglich.
Solange der Kapitalismus existiert, wird das Ziel des Schulsystems immer sein, die Jugendlichen zu „guten Staatsbürger:innen“ und leistungsbereiten Arbeiter:innen zu erziehen. Die einzige Möglichkeit, ein wirklich gerechtes Bildungssystem zu erschaffen, ist es, ein System jenseits des Kapitalismus zu schaffen – ein System, in dem die Schüler:innen in der Schule mitbestimmen, den Schulalltag aktiv mitgestalten und ohne Konkurrenz lernen können. Dafür müssen sich schon heute die Schüler:innen zusammenschließen, um für eine bessere Bildung zu kämpfen und Widerstand zu leisten gegen eine weitere Verschlechterung ihrer Lebensumstände.
Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 92 vom November 2024 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.