Dilan* lebt in einem Heim für psychisch erkrankte Menschen in Nürnberg. Nun wird sein Wohnheimplatz mitten im Winter gekündigt, weil er lieber zur Schule geht, als für 1,60 Euro pro Stunde zu arbeiten. Als junger Migrant gestaltet sich die Wohnungssuche besonders schwer.
Du lebst in einem Wohnheim. Was ist das für eine Einrichtung?
Das ist ein Wohnheim für psychisch erkrankte Menschen, die keine Alternativen für ihre Wohnungssituation haben. Sie können dann da hingehen und dort wohnen. Sie können dort unbeschränkt wohnen, ihr ganzes Leben dort verbringen. Oder sie bleiben dort ein paar Jahre und finden eine andere Wohnmöglichkeit.
Wie ist der Alltag der Heimbewohner dort?
Man wacht um 9 Uhr auf, hat eine Frühstücksrunde, da müssen alle anwesend sein. Nach dem Frühstücksablauf müssen Hausdienste erledigt werden. Das dient dazu, dass die Bewohner am Vormittag Struktur und etwas zu tun haben. Diese Dienste sind hauptsächlich Reinigungsdienste, um das Wohnheim zu erhalten und für die Struktur der Bewohner:innen. Und dann ist Mittagessen, auch dort gibt es Anwesenheitspflicht.
Nach dem Mittagsessen geht’s zur Werkstatt. Die wird von dem Wohnheim und anderen Trägern organisiert. Da arbeitet man 3 Stunden, von 13:30 bis 16:30 Uhr. Mindestanwesenheit ist zur Zeit zwei Tage die Woche. In der Regel gehen die Leute dort vier Tage die Woche hin. Und dann hat man Freizeit.
Worin besteht die Werkstatt-Arbeit, auch genannt „Arbeitstherapie“?
Hauptsächlich klassische Fließbandarbeit, wie man sie in Fabriken findet. Aber nicht große Maschinen bedienen, sondern kleine Sachen wie Stifte, Anspitzer oder Elektroteile in Handarbeit montieren.
Für wen montiert man die Teile?
Das variiert, es sind verschiedene Hersteller, wie auch Faber Castell. Ich achte nicht so darauf. Wenn die Marke bekannt ist, dann schon, wenn nicht, dann weniger. Aber es sind schon große Firmen dabei. Manchmal auch kleinere Firmen.
Was bekommt ihr dafür?
Wir kriegen 1,60 Euro die Stunde.
Wie wird den Heimbewohnern geholfen ein eigenständiges Leben zu führen? Wie wird sich um sie gekümmert?
Meiner Meinung nach gibt es dort nur Kritik. Verschiedene Menschen im Wohnheim haben unterschiedliche Ansichten. Aber ich denke, dass es nicht gut ist, was da abläuft. Es gibt grundsätzlich keinen Anreiz für das Wohnheim, uns wieder ins Arbeitsleben zu integrieren, und dadurch geht das Leben vieler junger Menschen verloren.
Es entsteht mehr und mehr eine große Lücke im Lebenslauf. Je länger man dort wohnt, desto weniger ist man fähig, sich ins normale Leben zu reintegrieren. Und das entsteht durch verschiedene Gründe. Außerhalb dieser vermeintlichen Arbeitstherapie gibt es keine Ausbildungsprogramme und keine Beratung. Was mir passiert ist: Ich bin dort eingezogen, als ich 23 alt war, jetzt bin ich 29 Jahre alt.
Mir wurde – ausgenommen der Praktikant:innen, die keine Ahnung haben, was da im Wohnheim gemacht werden muss und soll – nicht geholfen. Die Praktikant:innen, die mir geholfen haben, weil sie nicht fest in diesen Strukturen gebunden waren, haben mir geholfen, mich bei der Schule anzumelden.
Alle Festangestellten hatten keinen Bock oder Interesse, mich zu integrieren. Sie haben mir keine Ratschläge gegeben, wie man eine Ausbildung findet oder wie man einen gefährlichen Lebenslauf verhindert.
Psychisch erkrankten Menschen eine Struktur zu geben, wird als Vorwand benutzt, um sie auszubeuten. Also 1,60 Euro die Stunde und dann muss man drei Stunden Anspitzer montieren. Das hilft mir weder, meine Aussichten zu verbessern, mich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, noch meinen Lebensunterhalt ansatzweise zu stützen.
Wir sind zu dem Interview gekommen, weil du erzählt hattest, das dein Wohnheimplatz gekündigt wurde. Wieso wurde dir gekündigt?
Der Platz wurde gekündigt, weil ich mich verweigert habe, in der Werkstatt zu arbeiten. Der Lohn war komplett ungerecht. Ich war völlig frustriert von dieser Lebenslauf-Lücke von fünf Jahren. Es macht keinen Sinn, diese sinnlose Arbeit weiterzumachen. Denn es gibt mir keine Fähigkeiten. Und dabei einen Stundenlohn von 1,60 Euro.
Wieso sollte ich das weitermachen, unter dem Vorwand Struktur zu bekommen, wenn ich auch echte Struktur bekommen könnte, indem ich zur Schule gehe und etwas sinnvolleres mache? Und genau da kommt die Heuchelei rein. Wenn die Leute in meinem Wohnheim wollen, dass ich zurück ins Leben finde, echte Struktur bekomme, dann würden sie auch Alternativen zu dieser Werkstatt akzeptieren – zum Beispiel Schule.
Weil ich das Gymnasium besucht habe, kann ich die Werkstatt nicht besuchen. Und die Anwesenheit dort ist fest mit der Wohnsituation verbunden. Es ist so, dass sie dich kündigen dürfen, wenn du die Werkstatt nicht besuchst. Wenn du von der Werkstatt gekündigt wirst, hast du auch keinen Platz im Heim.
Unter welchen Bedingungen wurdest du gekündigt?
Wegen zu vieler Fehltage in der Werkstatt. Darauffolgend habe ich eine Kündigung von der Werkstatt gekriegt und darauf folgte die Kündigung zum 31. Dezember 2024.
Wir wissen von einem anderen Kontakt, der in der Vergangenheit dort gewohnt hat, dass er aus ähnlichen Gründen die Arbeitstherapie verweigert hatte, es aber dabei belassen wurde und es nicht zu einer Kündigung kam.
Diese Regeländerung gab es tatsächlich in den letzten Jahren. Da wurde auch angekündigt, dass die Arbeitstherapie jetzt Pflicht ist und wenn man es nicht besucht, könnte man eine Kündigung bekommen.
Was musst du jetzt tun? Was sind deine Alternativen?
Also ich versuche, eine Wohnung zu finden. Es ist ziemlich schwierig eine Wohnung zu finden in einer zunehmend neoliberalen Gesellschaft. Besonders als Armer ist es schwer. Auch der ethnische Hintergrund, dass ich ursprünglich aus Sri Lanka komme, macht es mir schwer. Ich habe nicht viele Optionen, aber ich versuche, sie alle auszunutzen.
Was muss sich deiner Meinung nach ändern im Umgang mit Menschen mit psychischer Erkrankung?
Wir hatten einen Mitbewohner im Heim, der viele Beschwerden geschrieben hat. Da ging es darum, dass junge Menschen mit psychischen Erkrankungen gefördert werden sollen und er hat Vorschläge gemacht. Was wurde daraus gemacht? Es wurde komplett ignoriert von der Einrichtungsleitung. Diese Beschwerdebox ist eine komplette Fiktion.
Meiner Meinung nach müsste man mehr Substanz statt Plattitüden schaffen. Ein Mitarbeiter hat erzählt, dass in einer der Teamsitzungen, wo alle Mitarbeiter zusammen kommen und über Wohnheimangelegenheiten sprechen, stundenlang diskutiert wurde, ob ein Bewohner mit dem Bademantel durch den Korridor laufen darf. Dann gab es eine sinnlose Investition in eine Induktionsherdplatte für mehrere tausend Euro.
Stattdessen könnte man doch bitte maßgeschneiderte Förderprogramme gestalten, um den psychisch erkrankten Menschen zu helfen, ihr eigenes Leben zu gestalten, statt ihr Leben zu ruinieren, indem sie überhaupt nicht gefördert werden – sei es im Alltag oder für berufliche Aussichten.
Uns wird gesagt: Ihr sollt Struktur haben und deswegen geht ihr zu dieser Werkstatt, arbeitet für diese Großkonzerne, die den kompletten Mehrwert einstecken, für absolut geringe Löhne. Wenn man mehr will, dann gerät man in Widerspruch. Es braucht mehr Investition in Förderung, statt Plattitüden von Struktur ohne Inhalt und Arbeit ohne Gehalt.
*Name geändert