Jörg Kukies wurde zum neuen Finanzminister ernannt. In der Vergangenheit war er Spitzenmanager bei Goldman Sachs und in den Wirecard- und CumEx-Skandal verwickelt. Doch auch andere Politiker:innen wie Christian Lindner oder Friedrich Merz bringen erhellende Verflechtungen in die Wirtschaft mit. – Ein Kommentar von Marius Fiori.
Seit einigen Wochen und Monaten hatte es sich bereits angekündigt. Am 6. November war es dann soweit und die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP wurde mit der Entlassung von Christian Lindner (FDP) als Finanzminister aufgekündigt. Die restlichen FDP-Minister:innen – bis auf Volker Wissing – traten geschlossen zurück.
Ampel-Aus: Scholz kommt Lindner zuvor – Taktieren im Schatten der Wirtschaftskrise
Zurzeit streiten sich die verschiedenen Bundestags-Fraktionen noch um einen Termin für die vorgezogenen Neuwahlen. Doch bis dahin muss das Staatsgeschäft weiter abgewickelt werden. Dazu wurden auch neue Minister:innen ernannt – darunter der neue Finanzminister Jörg Kukies von der SPD.
Goldman Sachs-Kukies
Kukies begann seine Karriere bei Goldman Sachs, wo er von 2000 bis 2018 in verschiedenen Rollen tätig war – zuletzt als Co-Vorsitzender der Goldman Sachs AG und Leiter der Frankfurter Zweigstelle. 2018 wechselte er in die Politik und wurde von Olaf Scholz zum Staatssekretär im Bundesfinanzministerium ernannt. Als Scholz 2021 Bundeskanzler wurde, begleitete Kukies ihn ins Kanzleramt, wo er bis vor kurzem als Staatssekretär tätig war. Nun soll er den Job als Finanzminister übernehmen – zumindest bis zu den anstehenden Neuwahlen.
Kukies bringt als ehemaliger Spitzenmanager und Investmentbanker bei Goldman Sachs nicht nur ein breites Netzwerk und tiefe Branchenkenntnisse, sondern auch eine spezifische Weltanschauung mit, die auf unternehmerische Interessen fokussiert ist. Seine Ernennung zum Finanzminister verdeutlicht die tiefe Verflechtung zwischen Politik und den Interessen der Unternehmens- und Finanzelite in Deutschland.
Auch die AfD-Chefin Alice Weidel war vor ihrer politischen Karriere Unternehmensberaterin bei Goldman Sachs. Hinzu kommen unzählige weitere Politiker:innen, die vor oder nach ihrer politischen Karriere für Goldman Sachs arbeiteten. Dazu zählen unter anderem der ehemalige EZB-Chef und italienische Ministerpräsident Mario Draghi, die Ex-US-Finanzminister Henry Paulson, Steven Mnuchin und Robert Rubin, Trumps Ex-Berater Stephen Bannon oder der ehemalige deutsche EZB-Direktor und Merkel-Berater Ottmar Issing.
Goldman Sachs wird von vielen als Symbol für die zunehmende Machtkonzentration in der Finanzindustrie gesehen. Das Unternehmen ist unter anderem bekannt für seine Rolle in der globalen Finanzkrise 2008 und wurde als eine der einflussreichsten Institutionen im internationalen Finanzsystem im Nachgang der Krise zu Strafzahlungen verurteilt.
„Mit dieser Resolution wird Goldman Sachs für sein schweres Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen, da es den Anlegern fälschlicherweise versicherte, dass die von ihm verkauften Wertpapiere durch solide Hypotheken abgesichert seien, obwohl es wusste, dass sie voller Hypotheken waren, die wahrscheinlich ausfallen würden“, sagte der stellvertretende Generalstaatsanwalt Stuart Delery in einer Erklärung.
Wenn nun jemand mit einer so engen Verbindung zu Goldman Sachs ein Schlüsselamt wie das Finanzministerium übernimmt, wirft das viele Fragen über die Unabhängigkeit politischer Entscheidungen auf.
In der Vergangenheit nutzte Kukies seine politische Macht bereits aus, um Unternehmer:innen zu schützen. Zwei Tage vor der Insolvenz von Wirecard setzte er sich als damaliger Staatssekretär für einen Kredit an das Unternehmen ein. Zudem traf er sich im April 2019 mit Johannes Kahrs, der sich im Cum-Ex-Skandal für Steuererlasse zugunsten der Warburg-Bank eingesetzt haben soll und dafür sechsstellige Spenden erhielt.
Die Möglichkeit, dass seine politische Agenda die Bedürfnisse der Großkonzerne, für die er bereits arbeitete, stärker priorisiert als die soziale und wirtschaftliche Absicherung der Arbeiter:innen, liegt also nicht fern. Wenn Finanzpolitiker wie Kukies ihre Entscheidungsspielräume und Expertise primär an kapitalfreundlichen Prinzipien ausrichten, dann ist das ein klarer Angriff auf die Arbeiter:innen und untergräbt jede scheinbare Demokratie.
Blackrock-Merz
Neben Kukies stellt der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ein weiteres Beispiel für die Nähe der deutschen Politik zur Finanzelite dar: Merz hat eine lange Liste an Lobbyisten-Tätigkeiten vorzuweisen. Er saß in unzähligen Aufsichtsräten, unter anderem der DBV-Winterthur Holding, Commerzbank, IVG Immobilien, AXA, BASF Antwerpen und der Deutschen Börse.
Zwischen seinen politischen Tätigkeiten war er zudem als Aufsichtsratsvorsitzender von BlackRock Deutschland tätig. BlackRock verwaltet weltweit Billionen von Dollar und hält Anteile an fast allen großen deutschen und internationalen Unternehmen – mit denen Merz deshalb sicherlich öfter im regen Austausch über deren Profit-Entwicklung war.
„Blackrock“-Manager Friedrich Merz zum CDU-Vorsitzenden gewählt
Zudem war Merz Mitglied im Förderverein des Think Tanks „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, die im Jahr 2000 vom Kapitalverband Gesamtmetall gegründet wurde und für eine stärkere Privatisierung kämpft. Zudem verdiente eine Kanzlei, für die er bis 2021 tätig war, auch am CumEx-Diebstahl mit.
Ein ehemaliger Manager dieser Dimension wird nicht nur aufgrund seiner engen Kontakte, sondern auch durch die eigene Denkweise, die er zwangsläufig mitbringen muss, von den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung entfremdet.
Unter einem möglichen Kanzler Merz droht also ebenfalls eine Finanzpolitik, die den Forderungen von Investor:innen Vorrang gibt und die Regulierung des Finanzsektors schwächt – Maßnahmen, die in Krisenzeiten auf die Kosten der Arbeiter:innen abgewälzt werden könnten.
Schon im Jahr 2000 forderte er eine Erhöhung des Rentenalters auf 70 Jahre, später dann die Abschaffung des Kündigungsschutz für Arbeiter:innen. Zudem forderte er eine Senkung der Hartz IV-Sätze. Zwischen 132 und 278 Euro im Monat seien völlig ausreichend. Im Sommer 2024 machte er zudem die Höhe des Bürgergelds für die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland verantwortlich und erklärte: „In jedem zweiten Betrieb sagen Mitarbeiter: «Ich gehe jetzt ins Bürgergeld»“
In den vergangenen Jahren fiel er zudem immer wieder mit rassistischen Äußerungen über „kleine Paschas“ oder „Sozialtourist:innen” aus der Ukraine auf. Im Fernsehsender der Welt sagte er dann über Migrant:innen in Deutschland: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine“
Porsche-Lindner
Auch der nun abgesägte Finanzminister und FDP-Vorsitzende Christian Lindner reiht sich in die Liste dieser Politiker ein, die engen Kontakt zur Wirtschaft pflegen: Lindners öffentliches Verhältnis zu Porsche und seine Nähe zur deutschen Automobilindustrie sind Ausdruck einer Politik, die sich offen an deren Interessen orientiert.
Dass Lindner in entscheidenden politischen Fragen wie der Debatte um das Verbrennerverbot Gespräche mit dem Porsche-Vorstand führte, ist offensichtlich eine Priorisierung der Interessen der Autoindustrie. Diese Industrie zählt zwar zu den wichtigsten Wirtschaftssektoren Deutschlands, doch ihr direkter Einfluss auf politische Entscheidungen steht in der Kritik, weil sie andere gesellschaftliche Ziele, wie den Umwelt- und Klimaschutz, ausbremsen.
Der Fall Lindner zeigt, dass die Einflussnahme von Konzerninteressen nicht nur auf die Finanz-, sondern auch auf die Industriepolitik durchschlägt und auf politischer Ebene regelmäßig Gewicht erhält.
In seinen politischen Forderungen schlug sich dies dann beispielsweise kürzlich nieder, als er die Abschaffung der telefonischen Krankschreibung forderte. Statt chronischer Überbelastung machte er faule Arbeiter:innen für den hohen Krankenstand verantwortlich. „Diese gefühlte Wahrheit können wir nicht bestätigten“, betonte die AOK.
Rekordhöhe bei Krankheitsfällen: AOK widerspricht Lindners „gefühlten Wahrheiten“
Kapitalfreundliche Politik und soziale Kürzungen
Die „Drehtür“-Politik zwischen Privatwirtschaft und Regierung ist in Deutschland nicht erst seit kurzem ein umfassendes Problem. Immer wieder zeigt sich, wie politische Entscheidungen zunehmend auf die Bedürfnisse von Kapital und Unternehmen ausgerichtet sind, während soziale Sicherungssysteme und die Belange der Bevölkerung vernachlässigt werden.
Je häufiger hochrangige Manager und Investmentbanker in politische Spitzenämter wechseln, desto größer wird die Gefahr, dass der Staat als Dienstleister der Privatwirtschaft fungiert und öffentliche Ressourcen zur Förderung des Großkapitals eingesetzt werden. Dieses Problem bleibt aber nicht auf Parteien wie die FDP oder CDU beschränkt, sondern zeigt sich quer durch den Bundestag. Auch Titus Rebhann, ein enger Vertrauter und Mitarbeiter Baerbocks wechselte 2022 in die Führungsriege des Energiekonzerns RWE.
In den vergangenen Jahren hat sich diese Politik an vielen Stellen niedergeschlagen und für eine Verschlechterung des Lebensstandards gesorgt. Im Zentrum stand dabei einerseits die militärische Aufrüstung, für die an allen möglichen Stellen im Haushalt gekürzt wurde. Daneben wurde die „sozialökologische Transformation“ schnell zu einer Subventionspolitik für die großen Konzerne, in der die Arbeiter:innen mit ihren Steuern den Umbau der deutschen Wirtschaft zahlen sollen.
Haushalt 2025: So will sich die Regierung durchwurschteln – und die Reichen verschonen
Eine Verbindung zwischen Wirtschaft und Politik ist auch erst einmal nichts Widersprüchliches – ganz im Gegenteil ist sie etwas Notwendiges. Doch eine Wirtschaft, in der ein paar wenige Reiche das Sagen haben und zugleich das politische Geschehen prägen und bestimmen, ist nicht der richtige Weg. Stattdessen bräuchte es eine echte Demokratie, in der die Mehrheit bestimmt – und andersherum als heute die Kontrolle über die Wirtschaft ausübt.
Ohne großen Widerstand wird die Schere zwischen Arm und Reich in der Zukunft jedoch wohl noch schneller und weiter auseinander gehen und der Staat in dieser Form kein Garant für sozialen Ausgleich sein.