Ein Polizeikommando durchsuchte am frühen Mittwochmorgen das Anatolische Volkskulturhaus. Grund war die Jubiläumsfeier einer türkisch-revolutionären Jugendorganisation. Immer häufiger verwendet der Staat Nichtigkeiten als Vorwand für Hausdurchsuchungen gegen politische Aktivist:innen.
Am Dienstagmorgen, den 12. November 2024, wurde gegen vier Uhr morgens das Anatolische Volkskulturhaus in Stuttgart von der Polizei gestürmt. Die Räumlichkeiten, die von dem deutschen Ableger der türkischen revolutionären Jugendorganisation Avrupa Dev-Genç genutzt werden, war danach vollkommen verwüstet.
Auf den Beweisfotos, die Dev-Genc auf X (ehemals Twitter) unter dem Titel „Polizeiterror in Stuttgart“ veröffentlichte, sind eingeschlagene Fenster, aufgebrochene Türen und massenweise zerbrochene Scherben zu sehen. Laut der knapp zweiminütigen Video-Stellungnahme zu dem Vorfall entwendeten die Einsatzbeamt:innen wahllos Gegenstände, die einen politischen Hintergrund hätten vermuten lassen können, darunter Bücher, Banner und schlichte rote Fahnen.
Notwendigkeit eines Polizeieinsatzes unklar
Außerdem wäre es für die Polizei nicht nötig gewesen, sich gewaltsam Zugang zu dem Gebäude zu verschaffen. Die Türen des Volkskulturhauses waren zu dem Zeitpunkt offen. Zum Zeitpunkt des Einbruchs befanden sich zwei Personen in den Räumen, die laut der betroffenen Organisation von den Staatsbeamt:innen körperlich angegangen und sogar geschlagen wurden.
Aufhänger der Razzien waren hierbei die Feierlichkeiten zum 55-jährigen Bestehen von Avrupa Dev-Genç. Diese fanden einen Monat zuvor, am 12. Oktober 2024, ebenfalls im Volkskulturhaus statt und wurden im Vorfeld mittels Plakaten in der Umgebung öffentlich beworben. Bereits damals wurden Gäste von Polizeibeamt:innen dahingehend bedroht, die Veranstaltung nicht zu besuchen. Versuche, sie zu verbieten, scheiterten jedoch.
Parallel zur Stürmung der Räumlichkeiten wurde eine Person in ihrem Zuhause von der Polizei aufgesucht. Unter dem Vorwand des Paragrafen 129a und 129b StGB kam es bei ihr ebenfalls zu einer Hausdurchsuchung – mit anschließender Festnahme. Mittlerweile befindet sie sich vorläufig wieder in Freiheit.
Durchsuchungsbefehle gegen Aktivist:innen häufen sich
Dass dies bei weitem kein Einzelfall ist, zeigen weitere Ereignisse der letzten Jahre. So kam es vor gut einem Jahr bei Mitstreiter:innen der Letzten Generation zu überregionalen Hausdurchsuchungen in Bayern, Rheinland-Pfalz und Österreich.
Bei einem anderen Vorfall wurde die Wohnung einer Aktivistin gestürmt, die ein Bundeswehrplakat durch ein ähnliches satirisches Plakat ersetzte, um auf die Missstände beim Militär hinzuweisen. Sie musste sich schließlich bis zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe durchklagen. Dort wurde der Polizeieinsatz drei Jahre später, Ende 2023, als unzulässig bewertet, da bei dem „Adbusting“ keine Schwere der Tat nachgewiesen werden konnte.
An mehreren Orten bundesweit sind derzeit palästina-solidarische Räume, Personen und Organisationen willkürlich Hausdurchsuchungen ausgesetzt, so etwa die revolutionäre türkisch-kurdische Frauenorganisation Zora oder einzelne palästinensische Aktivist:innen.
Pressekonferenz der Frauenorganisation Zora: Jetzt erst recht!
Ebenfalls fragwürdige Hausdurchsuchungen wurden erst kürzlich in Augsburg durchgeführt: Am 25. September 2024 wurden vier Wohnungen polizeilich durchforstet und Datenträger sowie weitere Gegenstände beschlagnahmt. Grund hierfür waren neun „Laminate“ des Solidaritätsnetzwerks Augsburg, auf denen die Sätze „Free Palestine“ und „Der Widerstand gegen die koloniale Besatzung durch den israelischen Staat und zionistische Siedler ist grundsätzlich legitim” geschrieben waren. In ihrer kruden Auffassung interpretierten die Behörden diese Sätze als Verstoß gegen Paragraf 140 StGB: „Billigung von Straftaten“.
Kurios erscheinen die Geschehnisse zusätzlich in Anbetracht dessen, dass die Aktion der Aktivist:innen bereits zehn Monate zurücklag. Dass bei einem so späten Durchsuchungsbefehl noch etwas Belastendes zu der betreffenden Aktion hätte gefunden werden können, ist wohl eher unwahrscheinlich. Vielmehr diente der Einsatz laut dem Solidaritätsnetzwerk dem Zweck der politischen Einschüchterung und der Schikane. Dieser sei aber, wie in vielen Fällen, verfehlt worden, so die Aktivist:innen der Organisation.
„Der Staat will uns einschüchtern, erreicht aber das Gegenteil!“