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Pleitewelle? Dauerkrise? – Wie steht es um die deutsche Wirtschaft?

Die Zahl der Insolvenzen war im Oktober 2024 so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Woher kommt die Pleitewelle? Und wie steht es um die deutsche Wirtschaft?

Die meisten Insolvenzen von Einzelpersonen und Kapitalgesellschaften seit 20 Jahren – das ist der „Oktoberwert“ für 2024. Konkret wurden diesen Oktober laut dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) 1.520 Insolvenzen angemeldet – Etwa 50 Prozent mehr als im Oktober des vergangenen Jahres.

Auch die Insolvenzzahlen für das gesamte dritte Quartal 2024 sind außergewöhnlich hoch: Laut dem IWH war die Zahl so hoch wie seit 14 Jahren nicht mehr: Insgesamt 3.991 Insolvenzen waren es in den Monaten Juli, August und September. Zuletzt wurden mit 4.017 Unternehmen im dritten Quartal 2010 mehr Konkurse angemeldet – ein Nachbeben der schweren Wirtschaftskrise von 2008/2009.

Woher kommen die hohen Zahlen?

Besonders ist neben der hohen Zahl an Insolvenzen auch, dass sie sich nicht einfach auf eine klare Ursache zurückführen lassen. Eine große Rolle spielen z.B. heute noch die Nachwirkungen aus der Wirtschaftskrise 2019 und der darauffolgenden Corona-Pandemie. 2016 bis 2019, also vor der Pandemie, lag der Durchschnittswert für Insolvenzen im Oktober etwa 66 Prozent unter dem diesjährigen Oktoberwert.

Während der Pandemie erhielten viele Unternehmen über Subventionen, Nothilfen und andere Wege gigantische Geldmengen, um zu überleben. Jetzt wo wieder weniger Gelder fließen, kämpfen viele von ihnen mit den stark gestiegenen Energiekosten in Folge des Ukraine-Kriege.

Anhaltende Wirtschaftskrise

Dass die Zahl der Unternehmen, die sich nicht mehr rentieren und pleite gehen, aktuell in die Höhe schießen, dürfte deshalb keine Überraschung sein. Schon seit anderthalb Jahren steigt die Zahl der Insolvenzen kontinuierlich an.

Denn die deutsche Wirtschaft befindet sich schon lange in einer anhaltenden Krisensituation. Ein aussagekräftiger Indikator hierfür ist die Entwicklung der Industrieproduktion. Diese misst das Statistische Bundesamt mit dem sogenannten „Produktionsindex” – hierfür wird derzeit das Jahr 2021 mit einem Wert von 100 als aktualisierte Ausgangsbasis genommen. Dieser Basiswert konnte seitdem nicht konstant gehalten werden und wurde seit Ende 2023 auch nicht mehr erreicht.

Für den September meldete das Statistische Bundesamt einen Index von 93,9 – eine Verringerung um 4,6% im Vergleich zum September letzten Jahres. Dies ist zwar ein deutlicher Anstieg gegenüber dem diesjährigen August, schaut man jedoch auf die saison- und konjunkturtrend-bereinigten Zahlen, ist auch hier ein Rückgang zu verzeichnen.

Wirtschaftskrise: Deutschland weiter in schwankender Stagnation

Woher kommt die Krise?

Der Rückgang der Produktion ab 2017/18 war zunächst auf eine weltweite Überproduktionskrise zurückzuführen, wie sie der Kapitalismus regelmäßig alle paar Jahre hervorbringt. Die Krise zog sich über das Jahr 2019 hin und ging danach nahtlos in die Corona-Pandemie über, als Lockdowns weite Teile der Wirtschaft zeitweise lahmlegten. Die Industrieproduktion hatte im April 2020 mit einem Wert von 78,1 ihren Tiefpunkt in Jahrzehnten.

Überproduktionskrisen sind eine gesetzmäßige Erscheinung des Kapitalismus. Sie entstehen, weil die Arbeitsproduktivität durch Automatisierung, Lohndumping, unbezahlte Überstunden und viele weitere Faktoren steigt, während die Kaufkraft der Arbeiter:innenklasse – und somit der Absatzmarkt für die produzierten Waren – immer weiter abnimmt. Es wird also mehr produziert als verkauft wird, die Produktion wird eingeschränkt, es kommt zu Entlassungswellen und die Kaufkraft sinkt noch weiter. Auch die deutsche Autoindustrie befindet sich aktuell wieder in einer solchen Krise.

VW geht davon aus, dass der Konzern etwa 500.000 Autos weniger als vor der Corona-Pandemie pro Jahr verkaufen wird. Insgesamt würden in Europa 2 Millionen Autos weniger als 2019 abgesetzt werden können. Hinzu kommt der immer weiter steigende Konkurrenzdruck, zum Beispiel durch chinesische Unternehmen und die zu langsam voranschreitende Umstellung auf E-Mobilität.

VW: Drohende Werksschließungen als Verhandlungsmasse?

Auf das Ende der Pandemie folgte quasi nahtlos der Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. Wirtschaftssanktionen, steigende Energiekosten und die Preisexplosionen im Jahr 2022 setzten der sowieso schon kriselnden deutschen Wirtschaft erneut zu.

Und nun?

Bis heute scheint keine Erholung in Sicht. Aktuell kämpft man mit einer sinkenden Produktion, zurückgehenden Unternehmensgründungen und einer schwachen Konjunktur. Ein Ergebnis davon sind auch die rekordverdächtigen Insolvenzzahlen.

Deutschland liegt unter den wettbewerbsfähigsten Nationen der Welt nur noch auf Platz 24. Wie das Ende der Ampel-Regierung jüngst gezeigt hat, ist der anhaltende wirtschaftliche Krisenmodus auch Auslöser politischer Krisen.

Scholz kommt Lindner zuvor: Taktieren im Schatten der Wirtschaftskrise

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