„Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ – mit diesem Schild schmücken sich rund 3.400 Schulen in Deutschland. Aber gibt es wirklich Schulen ohne rassistische Ausgrenzung? Wir haben mit Malik Attar* und Rayan Ouaziz* über ihre Schulzeit gesprochen.
Hattet ihr während eurer Schulzeit das Gefühl, aufgrund eurer Herkunft benachteiligt zu werden?
Rayan: Ja, Kinder mit Migrationshintergrund neigen dazu, seltener Gymnasial-Empfehlungen zu erhalten. Auch das war bei mir der Fall. In der Grundschule, nach der vierten Klasse, sprach mir meine Grundschullehrerin meine Kompetenzen ab. Trotz guter Noten, sagte man mir, ich solle vorsichtshalber auf die Realschule gehen. Auch Stereotype und Vorurteile haben mir meine Schullaufbahn erschwert. Durch das jetzige Bildungssystem vermittelt man jungen migrantischen Schüler:innen keine Zugehörigkeit: Stell dir vor, du verbringst die meiste Zeit deiner jungen Jahre dort, wo eigentlich kein Platz für dich ist. Eine andere Sache ist die Sprache. Sprach ich Deutsch, Englisch oder verstand Französisch durch meinen Opa, war man begeistert. Sprach ich aber Tamazight, Arabisch oder ein bisschen Türkisch, wurde ich bestraft.
Malik: Auf jeden Fall, schon in der Grundschule hielten die Kinder sowie Lehrer zunächst eine gewisse Distanz zu mir aufgrund meiner Erscheinung, sowie meiner Herkunft und Religion. Das liegt vor allem daran, dass ich in einem Stadtteil aufgewachsen bin, in dem der Ausländeranteil relativ gering ist. Ich wurde oft in Gruppen ausgeschlossen. Mir wurde schließlich klar, dass ich mir eine gewisse Akzeptanz selber aufbauen musste, bestehend aus Erbringung von besseren Leistungen. Das selbe Szenario spielte sich wieder auf dem Gymnasium ab. Zwar hatte man da schon vorher Freundschaften geknüpft, musste sich aber trotzdem beweisen, um ein Teil vom großen Ganzen zu werden.
Habt ihr schon mal rassistische Kommentare oder Beleidigungen von Lehrer:innen erlebt?
Rayan: Ja, oftmals erfuhr ich Rassismus in der Schule durch unterschiedliche Arten und Weisen. Man muss verstehen, dass Rassismus unterschiedlich aussehen kann und es immer schlimm ist, auch wenn es ungewollt oder unbedacht passiert. Am Gymnasium sagte man mir als einzigem migrantischen Schüler vor der ganzen Klasse, ich sei unfähig fürs Gymnasium – ohne Kontext, ohne jeglichen Grund. Bis heute weiß ich nicht, warum mein Lehrer genau das gesagt hat vor der ganzen Klasse.
Aber auch Sätze wie: „Wie ist es bei euch? Sprecht ihr auch Deutsch zuhause? Bei euch in der Heimat?“ begleiten einen in der Schule. Oft verstehen Lehrer:innen nicht, dass solche Sätze eben die Frage der Zugehörigkeit verstärken. Wo ist für dich meine Heimat, wenn ich vielleicht 30 Tage im Jahr im Ausland bin? Ein anderes Beispiel war meine Englisch-LK-Lehrerin, die im kleinen Kurs von 12 Leuten das N-Wort sagte und dabei nur auf mich schaute, sehr erwartungsvoll hoffend auf eine Reaktion meinerseits.
Ich bin nicht schwarz, aber für Sie war ich dunkel genug, um mich zu triggern. Im Sportunterricht hat man von mir und meinem schwarzen Mitschüler auf der Realschule erwartet, dass wir beim Laufen mehr Leistung zeigen. Mein Sportlehrer sagte, Gott hat euch nicht umsonst diesen Vorteil gegeben. Mit diesem Satz sprach er uns hartes Training in der Freizeit, Leistung und Motivation ab. Während alle 14 Runden für eine 1 laufen mussten, waren es bei uns 18. Das ist unfair und rassistisch.
Malik: Direkte rassistische Kommentare mir gegenüber habe ich zum Glück noch nie erlebt, obwohl dies schon oft in meinem engen Umkreis der Fall war. Indirekt gab es aber immer wieder Fälle, in denen Lehrer:innen rassistische Kommentare abgegeben haben. Ich musste mir oft so etwas anhören wie ,,Ihr Muslime…‘‘ oder ,,Leute die so aussehen wie du…‘‘. Es gab auch immer mal wieder offen rassistische Kommentare von Lehrer:innen. Zum Beispiel gab es mal den Fall, dass eine Lehrerin während der Fastenzeit meinte, dass, wenn man Durst habe, man ja einfach seinen Gott oder den Propheten fragen kann.
Hattet ihr in eurer Schulzeit das Gefühl, euch mehr anstrengen zu müssen als eure Mitschüler:innen?
Rayan: Es war schon immer so, dass ich als Person das Doppelte an Leistung erbringen musste, um von mir zu überzeugen. Dadurch, dass meistens im Hinterkopf von Lehrer:innen ein typisches Klischee schwirrt. Dies liegt vor allem an dem Erscheinungsbild, das man wiedergibt. Es war schon oft der Fall, dass Schüler:innen ohne Migrationshintergrund wenig bis kaum Leistungen erbringen mussten, um Bestnoten zu erreichen. Wohingegen Schüler:innen, meist mit einem Migrationshintergrund, deutlich mehr Leistung erbringen müssen, um die selben Noten zu erreichen.
Malik: Definitiv. Es war immer und überall so. Lehrkräfte, auch welche, die selbst migrantisch sind, kriegen ein Vorurteil vermittelt, nämlich: dass weiße Schüler:innen aus leistungsstarken Haushalten kommen, bildungsnäher sind oder akademische Eltern haben. Während migrantische Schüler:innen eher aus Arbeiter:innenfamilien kommen, zuhause keine Hilfe bekommen und prinzipiell weniger Möglichkeiten haben, Wissen aufzuarbeiten und zu spezialisieren.
Oft wurden meine Inhalte nicht so gelobt wie die meiner Mitschüler, obwohl sie 1 zu 1 die selben waren. Das ist nicht nur mir aufgefallen, sondern auch meinen Mitschüler:innen. Aber auch anderes sorgte dafür, dass man sich mehr anstrengen muss, z.B. sprachliche Barrieren. Ich musste mir im Deutsch-Lernkurs – in meiner Freizeit – einiges selber beibringen, weil es einfach nicht meine Muttersprache ist. Ich war nie schlecht, ich war gut, aber auch nur, weil ich dafür mehr gemacht habe als andere.
Gibt es eine Situation aus deiner Schulzeit, die dir besonders im Kopf geblieben ist?
Rayan: Eine Situation ist mir vor allem im Kopf geblieben. Es kam dazu, dass Dinge in der Klasse beschädigt worden waren. Obwohl ich keinen Anteil daran hatte, wurde ich von den Lehrer:innen automatisch dazu gezählt. Obwohl mehrere Mitschüler:innen gesagt haben, ich sei nicht dabei gewesen. Es gab auch einmal den Fall, dass ich von einem Schüler als ,,Bombenleger‘‘ betitelt wurde, woraufhin ich zum Lehrer gegangen bin und dieser meinte, dass ich dies nicht übel nehmen solle.
Denkst du, man kann etwas daran verändern?
Malik: Ich glaube, es ist nicht so einfach, etwas zu verändern, weil vieles sehr tief sitzt. Auch wenn einzelne Lehrer versuchen, es anders zu machen und dem Rassismus entgegenzuwirken – es ist ein gesellschaftliches Problem. Positive Erfahrungen mit Mitschüler:innen habe ich schon gemacht, zum Beispiel, wenn ich Rassismus von Lehrern erfahren habe und sie mich unterstützt haben. Oder umgekehrt, manche Lehrer:innen geben sich Mühe, das Thema aufzuarbeiten oder ihr eigenes Verhalten zu ändern. Am Ende müsste sich aber das ganze Schulsystem mit ändern.
*Namen geändert