Knapp zwei Wochen nach der verheerenden Flut kämpfen die Menschen in Valencia weiterhin mit den Folgen. Vergangenes Wochenende gingen Zehntausende auf die Straße und demonstrierten gegen die Regierung. Diese sucht nun nach Schuldigen. Unterdessen drohen neue Unwetter und Überschwemmungen.
Die große Naturkatastrophe im spanischen Valencia ist mittlerweile zwei Wochen her. Am 29. Oktober hatte der spanische Wetterdienst bereits um 7:30 wegen Starkregens Alarm geschlagen und die höchste Warnstufe verhängt. Das regionale Rettungsgremium tagte dennoch erst gegen 17 Uhr. Als die Bevölkerung dann gegen 20 Uhr via Warn-App informiert werden sollte, stand das Wasser in einigen der betroffenen Regionen bereits meterhoch.
Es folgte eine verheerende Flut, die ganze Stadtteile und Landstriche mit sich riss und eine immense Zerstörung anrichtete. Über 220 Personen verloren ihr Leben und mehrere Dutzend werden noch immer vermisst. Dabei ist das Ausmaß der Zerstörung auch nach zwei Wochen noch nicht vollständig überschaubar.
Freiwillige Helfer und Wut auf den König
In den kommenden Tagen lief die staatliche Hilfe für die Betroffene Region nur schwerfällig an: Erst nach und nach wurden weitere Einsatzkräfte und vor allem die spanischen Streitkräfte zwecks Unterstützung mobilisiert. Am 2. November entsandte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez weitere 10.000 Soldaten und Polizisten zusätzlich zu den 2.000 bereits in der Region aktiven.
Parallel war in Medienberichten die Rede davon, dass sich konstant Freiwillige in der Region meldeten, um unmittelbar zu helfen. Diese organisierten sich teilweise spontan und selbst in kleinen Initiativen. Ihre Zahl wird allein für den 2. November mit 10.000 Freiwilligen angegeben, die sich dort zentral zur Hilfe gemeldet haben sollen.
Viele Menschen äußerten heftige Kritik an der Regionalregierung und staatlichen Stellen, zu spät und zu langsam gehandelt zu haben und den Katastrophenschutz sowie Umweltschutzmaßnahmen zuvor jahrelang kaputt gespart zu haben. Zudem sei die staatliche Hilfe nach der Flut sei schleppend angelaufen und vielerorts mussten die Menschen sich selbst helfen oder wurden durch die zig-tausend freiwilligen Helfer:innen aus ganz Spanien unterstützt.
Am 3. November besuchten dann der spanische König Felipe VI. Und der Ministerpräsident Sánchez Valencia. Dort wurden siw von wütenden Bewohner:innen mit Sprechchören und Schlammwürfen empfangen und musste kleinlaut wieder abreisen.
Valencia im Ausnahmezustand: Flut-Betroffene bewerfen König mit Schlamm
Zehntausende gegen die Regierung
In der Zwischenzeit begann die Diskussion um politische Konsequenzen. Am 5. November präsentierte der Ministerpräsident ein Maßnahmenpaket: 10,6 Milliarden Euro Hilfe sollten den Betroffenen bereit gestellt werden, dazu kommen Steuererleichterungen und Kredite für den Wiederaufbau. Außerdem wurde die Notwendigkeit eines „Transformationsplans“ gegen die Folgen des Klimawandels für die Region betont.
Am letzten Samstagabend, den 9. November, demonstrierten in Valencia dann nach Medienberichten rund 130.000 Menschen gegen die Regierung. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus Initiativen und Gewerkschaften. Die Demonstrant:innen forderten neben dem Rücktritt der Regionalregierung von Carlos Mazón, die sie für die zu späte Notfallmeldung verantwortlich machen, auch eine Aufarbeitung von Verantwortlichkeiten, die zu der Katastrophe geführt haben. Im Zuge der Demonstration kam es immer wieder zu Übergriffen durch die Polizei und Auseinandersetzungen, als die Wut der Demonstrant:innen sich entlud.
Der König und das Militär
Am 12. November reiste König Felipe dann erneut in die Region – dieses Mal jedoch in Militäruniform und zu Besuch bei der Armee. Ein erneutes Treffen mit Betroffenen fand nicht statt, nachdem er eine Woche zuvor bereits die Wut der Menschen zu spüren bekommen hatte und mit Schlamm beworfen wurde. Scheinbar ging es bei diesem Besuch eher darum, Stärke zu zeigen, als um konkrete und ausreichende Hilfe für die Betroffenen.
In der Zwischenzeit gingen die Aufräumarbeiten weiter, und in vielen Regionen ist die Notfall-Infrastruktur wieder einigermaßen hergestellt. Normal weitergehen kann das Leben für die Menschen vor Ort allerdings nicht und auch das Ausmaß der Flutschäden muss sich noch zeigen.
Bereits am 13. November kam es dann zu einer weiteren Unwetterwarnung für Teile Andalusiens im Süden und in Katalonien in Nordosten des Landes. Im andalusischen Malaga entstanden Überschwemmungen von Straßen, und der Verkehr wurde stark eingeschränkt.
Die Suche nach einem Sündenbock
Parallel zu den Aufräumarbeiten und Protesten in Valencia begann auch die Diskussion in der spanischen Öffentlichkeit über Verantwortlichkeiten. Die Regionalregierung in Valencia versucht dabei, die Schuld der Zentralregierung in Madrid zuschieben. Diese wiederum sieht sich für den Katastrophenschutz nicht verantwortlich – gemeinsam hat sich also auf die Suche nach einem Sündenbock gemacht.
Allzu offensichtlich ist, dass die Katastrophenwarnung viel zu spät verschickt wurde und auch, dass in den vergangenen Jahren im Umwelt- und Katastrophenschutz gespart wurde. Ein Name, der dabei auch hier in Deutschland genannt wird, ist der von der spanischen Umweltministerin Teresa Ribera.
Bereits 2006 beauftragte der zuständige Wasserverband ein Projekt zur „Umweltanpassung und Kanalisation des Poyo-Beckens“ im Osten Spaniens, um genau solchen Sturzfluten wie vor zwei Wochen vorzubeugen. Ribera war seit 2009 die zuständige Staatssekretärin für Klimawandel, die besagtes Projekt selbst genehmigte. Umgesetzt wurde es jedoch bis heute nicht. Seit 2018 ist Ribera nun Umweltministerin in Spanien und steht aktuell kurz vor dem Sprung nach Brüssel, wo sie Vizepräsidentin der EU-Kommission werden soll.
Damit scheint mit Teresa Ribera vorläufig ein gutes Bauernopfer gefunden worden zu sein. Inwieweit das die Wut der Betroffenen tatsächlich besänftigen kann und welche weiteren Konsequenzen sich gegebenenfalls durch den Druck auf der Straße noch ergeben, bleibt abzuwarten.
Tödliche Kürzungspolitik
Die Suche nach Schuldigen, die öffentlichkeitswirksam verantwortlich gemacht werden können, ist allerdings nur eine Nebelkerze, die vom eigentlichen Problem ablenkt: Bereits im Zuge der sogenannten „Eurokrise“ 2010/11 wurden dem spanischen Staat horrende Sparmaßnahmen aufgezwungen, um den Staatsbankrott zu vermeiden. Das Sozialsystem wurde infolge dessen kaputt gespart, und Gelder für Maßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels oder für die Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur und den Katastrophenschutz gestrichen.
Das Ausmaß an Zerstörung und die vielen Toten aufgrund der Flut wären vermutlich vermeidbar gewesen, wären die entsprechenden Gelder in Schutzmaßnahmen und Vorbeugung tatsächlich geflossen.
Weitere Fluten werden folgen
Forscher:innen gehen mittlerweile davon aus, dass vergleichbare Wetterereignisse, die jetzt zu der Flut in Valencia geführt haben, zukünftig öfter auftreten werden: Bezeichnungen wie „Jahrhundert-Flut“, wie sie auch in Deutschland z.B. im Jahr 2021 im Ahrtal verwendet wurden, sind deshalb schon nicht mehr zutreffend und irreführend.
Zwischen Extremwettereignissen und dem Kapitalismus-gemachten Klimawandel gibt es einen direkten Zusammenhang: Im Zuge der Erderwärmung kann die Luft mehr Wasser aufnehmen, gleichzeitig verdunstet auch mehr Wasser aus den Ozeanen in die Atmosphäre. Das in der Luft gesammelte Wasser entlädt sich dann durch Druck- oder Temperaturschwankungen in der Atmosphäre und sorgt für solche verheerenden Wetterereignisse wie vor zwei Wochen in Spanien. Verstärkt wird das Ganze durch immense Flächenversiegelung und Dürreperioden, welche die Vegetation zerstören und für derart ausgetrocknete Böden sorgen, dass sie kein Wasser mehr aufnehmen können und damit die Gefahr von Sturzfluten weiter verstärken.