Rund zwei Monate nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland neigen sich die Koalitionsverhandlungen ihrem Ende zu. Wie ist die Lage in Thüringen, Brandenburg und Sachsen?
Nach den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen gehen die Koalitionsverhandlungen in Ostdeutschland dem Ende zu. Vermutlich werden CDU, SPD und BSW die Länder in unterschiedlichen Konstellationen regieren. Immer wiederkehrende Problemstellungen waren in allen Verhandlungen der Krieg in der Ukraine und die Migration – alles Themen von bundesweiter Relevanz, die vor allem vom Bündnis Sahra Wagenknecht auf die Tagesordnung gesetzt wurden.
Thüringen
In Thüringen sind rund zweieinhalb Monate nach der Wahl die CDU, die SPD und das BSW zu einer Einigung gekommen. Heute Nachmittag werden sie ihren gemeinsam erarbeiteten „Regierungsvertrag“ vorstellen. Er soll Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wirtschaft, Migration, Staatsmodernisierung, Soziales und kommunale Entwicklung beinhalten. „Uns ist ein guter Aufbruch gelungen“, hieß es aus dem Umfeld der Verhandlungsführer:innen.
Was dieser Aufbruch für die Bürger:innen Thüringens bedeutet, welche Inhalte der Vertrag konkret enthält und inwiefern es die Koalition schafft, diese umzusetzen, bleibt weiterhin abzuwarten. Vor allem die Themen von Bedeutung für ganz Deutschland, speziell die Fragen nach Waffenlieferungen an die Ukraine oder Friedensverhandlungen mit Russland, waren in den Verhandlungen hart umstritten.
Brandenburg
Auch in Brandenburg entwickeln sich die Koalitionsverhandlungen zwischen BSW und SPD in Richtung Einigung: „Ich gehe davon aus, dass wir in der nächsten Woche fertig werden“, so BSW-Landeschef Robert Crumbach.
Zentrale Inhalte der Verhandlungen waren der Abbau von Bürokratie und die Digitalisierung des Bundeslandes. Zudem wollen die zukünftigen Koalitionspartner Krankenhausstandorte erhalten, die Migration beschränken und in Grundschulen einen Schwerpunkt auf Lesen, Schreiben und Rechnen legen. Wie bei den Verhandlungen in Thüringen spielte auch in Brandenburg der Ukraine-Krieg eine große Rolle.
Beide Parteien einigten sich darauf, sich für eine diplomatische Lösung des Kriegs einsetzen zu wollen. Damit gelingt es der Partei Sahra Wagenknechts, ihre Position durchzusetzen. Besonders brisant ist das, weil sich die Landes-SPD mit dieser Formulierung direkt gegen ihren eigenen Kanzler stellt.
Sachsen
In Sachsen haben sich CDU und SPD auf zentrale Eckpfeiler einer gemeinsamen Minderheitsregierung geeinigt. Nach Informationen der Leipziger Volkszeitung setzte sich die CDU mit ihren Positionen in der Innenpolitik durch, während die SPD Zugeständnisse in der Finanzpolitik erstreiten konnte.
Die CDU errang beispielsweise mit dem Aufbau der sächsischen Grenzpolizei einen Sieg. Diese Forderung war eines der zentralen Wahlversprechen der Partei. Die Einheit soll mindestens 300 Beamte umfassen, die Kosten dafür werden auf rund 20 Millionen Euro jährlich geschätzt. Mit dem neuen Koalitionsvertrag sollen auch mehr Kompetenzen für die Polizei einhergehen: Die SPD gab somit ihren jahrelangen Widerstand gegen die Quellen-TKÜ, also die Auslesung von entschlüsselter Kommunikation auf Smartphones, auf.
Zuvor waren Sondierungen der beiden Parteien mit dem BSW für eine sogenannte „Brombeer-Koalition” geplatzt. BSW-Landesvorsitzende Sabine Zimmermann machte dafür vor allem den Unwillen der Koalitionspartner, einem Bekenntnis für Frieden in der Ukraine zuzustimmen, verantwortlich: „Wer so Politik macht, verliert die Menschen im Land“. Ministerpräsident Kretschmer (CDU) sieht die Schuld wiederum bei Sahra Wagenknecht: die Entscheidung komme aus Berlin und nicht aus Sachsen.
Und die AfD?
Die faschistische AfD geht bei den Koalitionsverhandlungen in Ostdeutschland derweil leer aus. Zwar wurde sie in Thüringen zur stärksten und in Brandenburg und Sachsen zur zweitstärksten Kraft gewählt, findet aber keine Koalitionspartner.
Schon von Anfang an wurde der Wahlkampf durch große antifaschistische Proteste gegen die AfD begleitet. Unter der Parole „Zeit zu handeln!“ riefen verschiedene antifaschistische und revolutionäre Organisationen unter anderem zu einer Großdemonstration in Erfurt auf.
Auch wenn es die AfD nicht in eine der drei neuen Landesregierungen geschafft hat, ist ihr steigender Einfluss auf die Politik kaum zu leugnen. Wer eine rassistische Asylpolitik oder massive Aufrüstung und Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten will, der wird auch mit den Regierungen von SPD, CDU, BSW und Co. zufrieden sein.
Keine Mücke, kein Elefant: Drei Lehren aus den Landtagswahlen
Doch auch darüber hinaus könnten sich die starken Ergebnisse des BSW durchaus positiv auf die AfD auswirken: Beide Parteien teilen einige Positionen, insbesondere bei den Themen Ukraine-Krieg und Migration – dazu stimmten sie bereits mehrfach gemeinsam ab.
Gerade in Brandenburg und Thüringen, wo beide Parteien gemeinsam genügend Sitze für eine Mehrheit haben, bzw. jegliche andere Mehrheit zu verhindern, bleibt abzuwarten, ob weiteres Zusammenarbeiten zustande kommt, oder ob die Regierungskoalitionen starken Zusammenhalt zeigen können. Auch in Thüringen stellen die beiden Parteien eine starke Opposition dar, besonders mit Blick auf eine mögliche Minderheitsregierung.
BSW – der große Profiteur!?
Sahra Wagenknecht geht mit ihrer Partei als vielleicht größte Gewinnerin aus den Landtagswahlen und den Koalitionsverhandlungen im Osten hervor. Zwar konnte die Partei nirgends größte oder zweitgrößte Kraft werden, trotzdem stellen die Wahlergebnisse für die noch sehr junge Partei einen enormen Erfolg dar: Das BSW spielt jetzt in allen drei Bundesländern eine entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung und wird voraussichtlich an zwei der Landesregierungen beteiligt sein.
Das dürfte auch noch einmal für erheblichen Rückenwind bei den anstehenden Neuwahlen des Bundestags geben, deren Timing für das BSW kaum besser sein könnte. Zusätzlich dürfte die Partei auch von dem Bruch der Ampel-Koalition, gegen die Wagenknecht und Co. regelmäßig wetterten, gehörig profitieren. Ob das dann bei den Neuwahlen, die voraussichtlich Ende Februar stattfinden werden, reichen wird, um in den Bundestag einzuziehen, bleibt abzuwarten – schließlich ist das BSW im Westen des Landes erheblich weniger populär.