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Aufarbeitung des Anschlags in Magdeburg: Eine Illusion der Sicherheit

Seit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt vor einer Woche benutzen faschistische Kräfte ihn dazu, ihre eigene rassistische Hetze medienwirksam zu inszenieren. Doch auch die Stimmen nach mehr staatlicher Überwachung werden lauter – mit dem Argument, damit zukünftig derartige Anschläge verhindern zu können. Damit bleibt es jedoch nur bei einer scheinbaren Aufarbeitung und reiner Symptombekämpfung. – Ein Kommentar von Livia Haas.

Vergangene Woche verbreitete sich die Nachricht schnell: mit einem Auto war ein Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt verübt worden, bei dem fünf Personen starben und ca. 200 Menschen verletzt wurden. Der Täter wurde direkt festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Über das Motiv des Täters, der als Arzt in Bernburg tätig war und 2006 aus Saudi-Arabien nach Deutschland gekommen war, gibt es aktuell viele Spekulationen: Social Media Posts des Täters weisen auf eine Nähe zur AfD und eine strikte Ablehnung des Islam hin. Ein Bekennerschreiben liegt jedoch nicht vor.

Klar ist, dass bereits jetzt faschistische Kräfte den Anschlag für ihr eigenes politisches Programm nutzen: Noch am Folgetag des Anschlags marschierten 2.000 Faschist:innen durch Magdeburg, und AfD-Vorsitzende Alice Weidel heizte mit einer Rede und Kundgebung der AfD auf dem Domplatz in Magdeburg die Stimmung an. Dabei bezeichnete sie den Täter ganz bewusst als Islamisten, trotz der zahlreichen Hinweise, die vom Gegenteil zeugen.

Währenddessen wird von Seiten der anderen Parteien eine umfassende Aufklärung des Anschlags gefordert. SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz forderte, dass bis ins kleinste Detail überprüft werden müsse, ob der Anschlag hätte verhindert werden können.

Ermittlungen zeigen Fehler auf

Auch das Innenministerium von Sachsen-Anhalt betonte, dass nun umfassend ermittelt werden müsse, ob das vorgesehene Sicherheitskonzept für den Weihnachtsmarkt tatsächlich eingehalten und die polizeiliche Absicherung dem Konzept entsprechend durchgeführt wurde. So ergäben seine aktuellen Ermittlungen, dass die Flucht- und Rettungswege vermutlich nicht mit den vorgesehen Stahlketten abgesichert waren. Über einen dieser Rettungswege war der Täter mit dem Auto in die Menschenmenge gerast. Zudem soll ein vorgesehenes Polizeifahrzeug nicht am festgelegten Standort gestanden haben.

Zusätzlich ist inzwischen bekannt, dass der Täter den Behörden nicht unbekannt war: Es gab mehrere Hinweise auf ein ausgeprägtes Aggressionspotenzial, und erst im vergangenen Jahr wurde ihm von der Magdeburger Polizei eine schriftliche Gefährderansprache übermittelt.

Auch CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz äußerte sich zu den aktuellen Geschehnissen: Für ihn gehe es darum, dass man „solche (potenziellen) Straftäter nicht in unserem Land haben“ wolle, so Merz in seinem eigenen Email-Newsletter. Man müsse auch Personen ausweisen können, wenn keine konkreten Straftatbestände festgestellt würden, und dementsprechend die gesetzliche Grundlage für diese Berechtigungen schaffen. Auch Olaf Scholz (SPD) äußerte in einem aktuellen Interview, dass mit dem geplanten Sicherheitspaket wichtige Befugnisse geschaffen werden können – z.B. die Möglichkeit der biometrischen Gesichtserkennung –, um die Ermittlungsarbeit der Behörden zu erweitern.

Was sind die Konsequenzen?

Der Umgang mit dem Anschlag in Magdeburg zeigt deutlich, dass sowohl faschistische Kräfte als auch die etablierten Parteien keine tatsächlichen Antworten auf derartige Anschläge zu bieten haben. Während die faschistischen Kräfte mit ihrem parlamentarischen Arm der AfD eine Stimmung der Angst und rassistischen Hetze befeuern und damit auf Hochtouren Wahlkampf betreiben, schwenkt Merz auf diesen Kurs ein – nur eben in einem diplomatischeren Ton.

Und auch die Antwort, die Scholz zu bieten hat, ist ernüchternd: Der Anschlag wird individualisiert und aus dem gesamtgesellschaftlichen Kontext gerissen. Denn was nicht thematisiert wird, ist einmal mehr, aufgrund welcher Bedingungen sich die Attentäter:innen radikalisieren. Egal ob aus anti-muslimischen oder religiös-fundamentalistischen Motiven – die agitierende Arbeit der faschistischen und reaktionären Kräfte kann immer wieder zu solchen Taten führen.

Natürlich ist es richtig, die möglichen Sicherheitslücken bei dem Anschlag in Magdeburg aufzudecken. Doch ohne solche Anschläge in einen größeren politischen Kontext einzuordnen, wird damit nur eine Illusion von Sicherheit generiert, dass man solche Anschläge grundsätzlich verhindern könne.

Stattdessen braucht es die Klarheit, dass nicht noch eine weitere rassistische Hetzkampagne und nicht noch ein weiterer Appell an den Staat, stärker zu überwachen, eine tatsächliche Antwort bieten. Vielmehr ergibt sich die Notwendigkeit, in allen Bereichen politisch und organisiert den faschistischen Kräften und Scheinlösungen der etablierten Parteien entgegenzutreten und die Dringlichkeit eines grundsätzlich anderen Systems aufzuzeigen.

Livia Haas
Livia Haas
Perspektive-Autorin seit 2024. In der Jugend politisiert durch das Patriarchat sowie die Konfrontation mit Faschisten in Ostdeutschland. Heute besonders aktiv im Bereich Frauenkampf, Antiimperialismus und Stadtteilorganisierung.

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