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Bekämpft, was euch krank macht!

Psychische Erkrankungen nehmen seit Jahren zu. Dabei spielen gesellschaftliche Faktoren eine entscheidende Rolle. Eine entsprechende Diagnose und die dazugehörige Therapie sind seit langem bekannt, kommentiert Mark Marat.

Das größte Gesundheitsproblem ist die psychische Gesundheit. Das geht aus den Ergebnissen einer Befragung von Ipsos hervor. Dieses Resultat hat das Meinungsforschungsunternehmen im Oktober anlässlich des Welttages für psychische Gesundheit in einem Bericht veröffentlicht. So sahen es 45 % der Befragten in 31 Ländern. Krebs ist mit 38 % das zweithäufigste Problem, Stress nannte jede dritte Person als Hauptgesundheitsproblem.

Die Diagnose: Psychische Erkrankungen nehmen zu

In Deutschland sind psychische Krankheiten ein Problem von hoher gesundheitspolitscher Relevanz. Ob alt oder jung, psychische Störungen befinden sich auf einem hohen Niveau und steigen kontinuierlich.

Im Fehlzeiten-Report 2024 vom Wissenschaftlichen Institut der AOK rangieren psychische Erkrankungen als Ursachen für Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) mit knapp 12 % auf Platz drei hinter Muskel-Skelett-Erkrankungen und Atemwegserkrankungen.

Auch der DAK-Psychreport 2024 zeichnete ein alarmierendes Bild. In den letzten zehn Jahren erhöhte sich die Zahl der AU-Tage um 52 %. Die meisten Ausfalltage hatten Beschäftigte in den sozialen Berufen und in der Altenpflege. Die häufigsten Krankheiten waren Depressionen, Belastungsreaktionen und Anpassungsstörungen.

Nach der COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf berichten aktuell 22 % der Befragten von psychischen Auffälligkeiten. Allein im Freistaat Bayern wurde im vergangenen Jahr bei 64.000 jungen Menschen eine Depression diagnostiziert.

Psychische Erkrankungen Hauptursache für Berufsunfähigkeit

Warum uns diese Form der Arbeit so psychisch belastet

Wie soll diese Entwicklung erklärt werden? Man kann sich dem Phänomen nähern, indem man wie der ehemalige Vorsitzende des Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, einfach pauschal eine Ursache ausschließt. Hundt sagte 2012: „Dass Arbeit psychisch krank macht, ist falsch.“ Klar, in der Theorie wirkt sich produktive und sinnvolle Arbeit in der Regel positiv auf die menschliche Psyche aus. Davon kann jedoch unter den heutigen Verhältnissen kaum die Rede sein.

Zudem sind psychische Störungen in ihrer Entstehung komplex. Das heißt, es gibt nicht nur eine Ursache, sondern mehrere. Die heutige Forschung geht dabei davon aus, dass vor allem drei Faktoren eine Rolle spielen, nämlich biologische, psychische und soziale. Folgerichtig hat also unsere soziale Umwelt, auch im Arbeitsleben, eine Auswirkung auf unsere psychische Gesundheit.

Kapitalismus macht krank: Immer mehr Arbeitsausfälle wegen psychischer Beschwerden

Zwei Gründe, aber nur ein Problem

Einen Beitrag hat sicherlich die zunehmende gesellschaftliche Sensibilisierung für solche Erkrankungen geleistet. Obgleich bei Weitem noch von keiner vollständigen gesellschaftlichen Enttabuisierung gesprochen werden kann, ist das ein Fortschritt, aber sicherlich noch nicht das Paradies. Menschen sind sich heute trotzdem klarer über die Symptome psychischer Krankheiten und suchen auch eher medizinische Hilfe.

Aber die Schließung der Diagnoselücke im Vergleich zu früher ist nicht allein ausschlaggebend. Vom Leistungsdruck in der Schule über die zunehmende Belastung an der Arbeitsstelle bis hin zu Berichten über tausende Kriegstote und das Fortschreiten der Umweltzerstörung in den Nachrichten prasseln belastende Faktoren auf uns ein, die zur Entstehung psychischer Erkrankungen als soziale Faktoren beitragen.

Die Revolution: Therapie oder die Therapie: Revolution?

Psychische Probleme sind keineswegs nur ein individuelles Problem, sondern in erheblichem Umfang auch ein soziales. Natürlich kann Therapie in den allermeisten Fällen helfen. Doch für die gesamte Gesellschaft gibt es nicht genügend Therapieplätze. Außerdem ist es letztlich Symptombekämpfung, Kranke zu therapieren. Viel besser wäre es doch, den Ursprung der zunehmenden psychischen Erkrankung von immer mehr Menschen heutzutage zu finden.

Nur gut, dass Gesellschaftswissenschaftler uns diese Diagnose schon vor 150 Jahren mit auf den Weg gegeben haben. Damit wäre auch diese Diagnoselücke gefüllt. Und die Therapie gleich mit. Eine Beseitigung der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wird uns darin verschrieben. Ton Steine Scherben interpretierte das als „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. In Anlehnung an ein gesundes Immunsystem lautet der therapeutische Rat daher: Bekämpft, was euch krank macht!

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