Die meisten denken bei Weihnachten wahrscheinlich an Familie, Geschenke und eine friedliche Zeit. Für viele Frauen wird Weihnachten jedoch regelmäßig alles andere als friedlich. Gerade über die Feiertage werden die eigenen vier Wände nämlich schnell zur Gefahr. – Ein Kommentar von Alexandra Magnolia.
Jedes Jahr ist es über Weihnachten in Deutschland dasselbe. Die häusliche Gewalt steigt an, Frauenhäuser sind überlastet und das ganze Land schaut weg. Hilfsorganisationen warnen schon länger vor der drohenden Gefahr für Frauen, in der Gesellschaft angekommen ist es aber noch nicht so ganz. Viele Betroffene sind in der Isolation der Festtage hilflos.
Feiertage oder Krisentage?
In keiner anderen Zeit im Jahr sind Hilfeeinrichtungen für Frauen so überladen wie an Weihnachten. Ist es das ganze Jahr über schwierig, einen freien Platz in einem Frauenhaus zu finden, so ist es an Weihnachten eine Sache der Unmöglichkeit. Beim Hilfetelefon für Frauen klingelt es pausenlos und in der Notaufnahme sitzen mehr verletzte Frauen als irgendwann anders im Jahr. Auch die Polizei verzeichnet mehr Einsätze zum Tatverdacht häusliche Gewalt. Zufall ist das nicht.
Zu wenige Frauenhäuser: In Deutschland fehlen mehr als 13.000 Plätze
Statistisch gesehen ist das eigene Zuhause der gefährlichste Ort für Frauen, da sie hier am häufigsten Gewalt erfahren. An Weihnachten sind Frauen quasi gezwungen, zuhause zu bleiben. Sie können nicht wie sonst auf die Arbeit oder zu Freund:innen, um sich der Gewalt zu entziehen. An allen Ecken und Enden sieht man: Gewalt gegen Frauen an den Feiertagen ist ein Problem. Was man nicht sieht: eine hilfreiche Antwort des Staates.
Gewalt gegen Frauen nimmt allgemein zu
In den letzten Jahren ist vor allem ein Trend deutlich zu sehen: Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu. Die häusliche Gewalt hat in nur 5 Jahren um fast 20 % zugenommen. Dazu hat sich sexualisierte Gewalt in den letzten 10 Jahren verdoppelt.
Und im Jahr 2023 gab es 360 Femizide. So viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Jede dritte Frau in Deutschland hat schon Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner erlebt. Im Durchschnitt erlebt alle vier Minuten eine Frau partnerschaftliche Gewalt.
Dieser massive Anstieg der letzten Jahre zeigt: Nimmt die gesellschaftliche Anspannung, der Druck und die Krise zu, dann tut das auch die Gewalt gegen Frauen. Gerade während der Corona-Krise haben wir das gesehen. Das Stichwort hier: Soziale Isolation. Die Oster- und Weihnachtstage 2022 waren der Höhepunkt der häuslichen Gewalt.
Das Problem liegt nicht etwa im Alkohol
Einige Zeitungen sind der Meinung, vor allem der Alkohol sei schuld. „Alkohol erhöht den Kontrollverlust“, sagt Annamarie Huber aus dem Vorstand der katholischen Frauenbewegung. Alkohol also als Entschuldigung? Wohl eher nicht. Die ansteigende Gewalt mag mit dem erhöhten Alkoholkonsum zusammen hängen, doch ist er noch lange keine Entschuldigung und dazu auch noch eine viel zu kurz gegriffene Erklärung. Vielmehr sehen wir an Weihnachten, wie das Patriarchat mit seinen Rollenbildern und Erwartungen um sich greift.
Die von Männern gestellten Erwartungen an ihre Partnerinnen sind oft kaum zu erfüllen. Sie sollen putzen, kochen, das Weihnachtsfest organisieren und vieles mehr. Werden die Erwartungen nicht erfüllt, kommt es zu Frustration und häufig auch zu Gewalt. Der gesellschaftliche Druck macht die Situation noch schwieriger. Wer Weihnachten nicht zuhause feiert, gilt als schlechte Ehefrau, wahlweise auch als schlechte Mutter. Die Gewalt soll ausgehalten werden, nur um den Schein eines schönen Fests zu wahren.
Hilfe von oben? Fehlanzeige!
Frauenhäuser und Hilfsorganisationen fordern schon lange eine Lösung für das Problem. Bekommen werden sie diese aber nicht oder nur ungenügend. Die Gewalt gegen Frauen ist tief im Patriarchat und damit unserer Gesellschaft verankert. Der Staat zeigt nur hin und wieder oberflächlich das Interesse, etwas dagegen zu tun.
Wirkliche Hilfe können wir uns nur gegenseitig geben. Es ist an uns, nicht wegzuschauen, wenn wir von häuslicher Gewalt erfahren. Es ist an uns, Hilfe anzubieten, wenn wir sehen, dass eine Frau keine bekommt. Und es ist an uns, das patriarchale System zu erkennen, dass hinter all diesen Formen von Gewalt steckt.
Gewalt gegen Frauen in Zeiten von Krieg und Krise – Das mörderische Gesicht des Patriarchats