Nach dem Absturz eines aserbaidschanischen Passagierflugzeugs häufen sich Vermutungen über einen Raketenbeschuss durch Russland. Der Vorfall zeigt die großen Gefahren für die Flugsicherheit in Kriegszeiten. Doch zivile Opfer sind schon immer alltägliche Realität imperialistischer Kriege. – Ein Kommentar von Mario Zimmermann.
Der Flug J2-8243 der Fluggesellschaft AZAL von Baku in Aserbaidschan nach Grosny, der tschetschenischen Hauptstadt, fand sein Ende im missglückten Landeversuch in der Nähe von Aktau in Kasachstan. Amateurvideos aus dem Inneren des Fluges und von Beobachter:innen des Unglücks zeigen die Momente des Aufpralls. 38 Insassen des Fluges starben, nur 29 Menschen konnten verletzt aus dem Wrack geborgen werden.
Mit den ersten Untersuchungen des Wracks und der Flugdaten werden neben Beileidsbekundungen auch Vorwürfe laut. Erste Vermutungen, die vor allem die schlechten Wetterverhältnisse oder einen Zusammenstoß mit Vögeln als Ursache sehen, sind in den Hintergrund gerückt. Von der Seite Aserbaidschans, der US-Regierung und diversen Militärexperten wurde die Ursache des Absturz auf einen Waffeneinsatz zurückgeführt. Darauf gab die russische Armee zu, dass die Luftabwehr über der russischen Teilrepublik Tschetschenien aktiv war – infolge eines ukrainischen Drohnenangriffs unter anderem auf Grosny.
Gestörtes GPS-Signal, ein Knall, technische Probleme
Auch wenn abschließende Ermittlungsergebnisse aus der Auswertung der Flugschreiber und anderen Datenquellen Jahre dauern, liegen bereits viele Informationen vor. Dem Absturz des Flugzeuges gehen eine Menge Unregelmäßigkeiten bei seinem Flug voraus.
30 Minuten nach seinem Start und auf dem Weg Richtung Tschetschenien hörte das Flugzeug auf, Standort-Daten zu übermitteln. Interferenzen mit GPS-Störsignalen, welche als Teil hybrider Kriegsführung unter anderem von Russland großflächig eingesetzt werden, führten dazu. Dies erschwerte die Navigation des Flugzeuges, welches bereits durch Nebel und dadurch eingeschränkte Sicht behindert wurde. Für einen Großteil der betroffenen Flugstrecke konnte auf Grundlage minderwertiger GPS-Daten die Flugroute rekonstruiert werden.
Landeversuche auf den Flughafen von Grosny mussten abgebrochen werden, da dieser wegen des Drohnenangriffs gesperrt wurde. Über Grosny kreisend, habe es laut Augenzeugenberichten laute Geräusche im Flugzeuginneren gegeben und einen lauten Knall. Danach hat das Flugzeug seinen Kurs über das kaspische Meer Richtung Kasachstan aufgenommen, um dort notzulanden.
Ohne Interferenz übermittelte GPS-Flugdaten der letzten Minuten des Fluges zeigen, dass das Flugzeug beschädigt war und große Probleme hatte, seine Geschwindigkeit und Höhe zu halten, während es über das kaspische Meer flog. Circa 100 Sink- und Steigflüge über hunderte Höhenmeter bis zu einer gefährlichen Tiefe über dem kaspischen Meer geben Einblick in die technischen Probleme, die das Flugzeug hatte. Auch mehrere Anflüge auf Aktau scheiterten.
Neben den Augenzeugenberichten aus dem Inneren des Flugzeuges von lauten Geräuschen und einem Knall zeigen auch Handyvideos beschädigte Flügel während des Fluges. Bei der Untersuchung der Trümmerteile sollen außerdem weitere Löcher, wie durch Splitter einer Flugabwehrrakete hervorgerufen, entdeckt worden sein.
Flugsicherheit in Zeiten imperialistischer Kriege
Der Vorfall weckt Erinnerungen an den Abschuss des Fluges MH17 der Malaysia Airline in den Anfangstagen des Ukraine-Krieges am 17. Juli 2014 über der Ost-Ukraine. Der Abschuss des zivilen Fluges mit einer russischen Flugabwehrrakete führte zu 298 Todesopfern.
Imperialistische Kriege und kriegerische Konflikte um die Neuaufteilung von Ländern, Ressourcen und Handelswege führen regelmäßig zu zivilen Todesopfern. Neben den Menschen, vorrangig Arbeiter:innen und Bäuer:innen, die zu Millionen im Sudan hungern, oder in Gaza, der Ukraine, im Donbass, oder Nordost-Syrien unter Bombardements leiden, treffen die Kriegsfolgen auch direkt andere Unbeteiligte.
Großflächige Sperrzonen über Kriegsgebieten können die Wahrscheinlichkeit eines Abschusses aufgrund von Verwechselung verringern, aber diese offensichtlich nicht ausschließen. Auch die Störung von GPS-Signalen gefährdet neben dem Flugverkehr zivile Infrastruktur, nicht zuletzt auch Trinkwasser- und Energieversorgung.
Auch wirtschaftliche Sanktionen, wie aktuell gegen den Verkauf von Ersatzteilen an russische Airlines, gehen zulasten der zivilen Flugsicherheit. Statt Ersatzteile original von europäischen und US-amerikanischen Herstellern wie Airbus und Boeing zu kaufen, müssen gebrauchte Flugzeuge auf der Suche nach Ersatzteilen ausgeschlachtet werden.
Nicht zuletzt betrafen auch Flugzeugentführungen, zum Beispiel als Widerstandsaktionen gegen den US-Imperialismus und die israelische Besatzung, die Flugsicherheit von tausenden Passagieren in den 1970er-Jahren, wenn sie auch nicht in Katastrophen mit vielen Todesopfern endeten.
Letztendlich leiden immer Zivilist:innen unter den Folgen imperialistischer Kriege und verlieren Sicherheiten. Auswirkungen auf die Flugsicherheit sind dabei nicht ausgenommen. Dass auf ihre Sicherheit keine Rücksicht genommen wird, kommt gesetzmäßig in imperialistischen Kriegen vor und muss nicht einer besonderen Bösartigkeit eines imperialistischen Akteurs wie Russland zurückzuführen sein. Sicherheit rückt erst wieder in Reichweite, wenn imperialistische Kriege überwunden sind.