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Frankreich unerwünscht: Senegal und Tschad ziehen Schlussstrich

Am 29. November 2024 hat Senegals Präsident Bassirou Diomaye Faye Frankreich unmissverständlich aufgefordert, alle Militärbasen auf senegalesischem Gebiet zu schließen. Einen Tag vorher hatte die Regierung Tschads das Verteidigungsabkommen mit Frankreich gekündigt. Frankreichs neokoloniale Afrika-Politik ist am Boden. – Ein Kommentar von Nick Svinets

In einer Rede betonte Präsident Faye, dass die Präsenz ausländischer Truppen in Senegal nicht mehr mit den Interessen des Volks übereinstimme: „Senegal ist in der Lage, seine eigene Sicherheit zu gewährleisten“, erklärte er am Freitag. Dieser Schritt folgt einem breiteren regionalen Trend. Auch andere westafrikanische Länder wie Mali, Burkina Faso und Niger hatten Frankreich in den letzten Jahren zum Abzug seiner Truppen aufgefordert und sich gegen westliche Einflussnahme gestellt.

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Der im März gewählte Präsident fügte hinzu, dass die Entscheidung im Kontext einer souveränen Neuausrichtung Senegals stehe, um die Kontrolle über sicherheitsrelevante Angelegenheiten stärker in die eigenen Hände zu nehmen. Der Moment der Verkündung dieser Nachricht ist nicht zufällig auf den 29.11.2024 gefallen.

Französisches Massaker im 2. Weltkrieg

Die senegalesische Bevölkerung gedachte zwei Tage später am Sonntag, den 1. Dezember, des 80. Jahrestags des Massakers von Thiaroye. Bei einer Zeremonie auf dem Militärfriedhof in Thiaroye selbst kündigte Präsident Faye den Bau eines Gedenkorts an. Zudem soll die Geschichte des Massakers künftig in den Lehrplan der Schulen aufgenommen werden.

Das Massaker von Thiaroye ist ein tief eingeprägtes Symbol für koloniale Gewalt und Ungerechtigkeit: Am 1. Dezember 1944 waren westafrikanische Soldaten – viele von ihnen Senegalesen – in Thiaroye von französischen Truppen brutal niedergemetzelt worden, nachdem sie für ihre rechtmäßigen Sold-Zahlungen protestiert hatten. Sie hatten im Zweiten Weltkrieg für Frankreich gekämpft, doch anstatt sie dafür zu ehren, wurden sie verraten und ermordet. Für viele Senegalesen steht dieses Verbrechen nicht nur für die Ausbeutung im Krieg, sondern auch für die Verachtung, die Frankreich seinen kolonialen Untertanen entgegengebracht hat. Thiaroye bleibt damit eine offene Wunde und ein Mahnmal für den Kampf um Würde, Gerechtigkeit und die Aufarbeitung kolonialer Verbrechen.

Trotz Macrons spontaner Anerkennung des Massakers von Thiaroye in diesen Tagen kann es dennoch als längst überfälliger und nur symbolischer Akt verstanden werden, der den grundlegenden Ungerechtigkeiten des Kolonialsystems nicht gerecht wird. Die Ermordung der Kolonialsoldaten, die für Frankreich im Zweiten Weltkrieg gegen den Faschismus kämpften, steht ja nur exemplarisch für die Ausbeutung und Missachtung, welche die unterdrückten Völker erfuhren. Dass diese Würdigung erst 80 Jahre später erfolgt, zeigt, wie wenig anerkennend Frankreich mit seiner kolonialen Vergangenheit umgeht.

Kritiker:innen werfen Macron vor, diese späte Entschuldigung vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen und angesichts antifranzösischer und antiwestlicher Bewegungen in Afrika strategisch zu nutzen, um den schwindenden neokolonialen Einfluss aufzuhalten – anstatt echte Verantwortung zu übernehmen oder strukturelle Reparationsmaßnahmen anzubieten.

Tschad kündigt Verteidigungsabkommen

Auch der Tschad hat jüngst einen bedeutenden Schritt zur Neuausrichtung seiner Beziehungen zu Frankreich unternommen: Am 28. November 2024 kündigte die tschadische Regierung die Beendigung ihres Verteidigungsabkommens mit Frankreich an. N’Djamena als Hauptstadt und Sitz der Regierung von Präsident Mahamat Idriss Déby Itno begründete den Schritt mit dem Wunsch, mehr Kontrolle über ihre Sicherheitsangelegenheiten erlangen zu wollen, und kritisierte die anhaltende Einmischung Frankreichs in die inneren Angelegenheiten der Region.

Frankreichs Afrika-Politik am Boden

Frankreich betreibt in Senegal seit Jahrzehnten Militärbasen, die offiziell der Ausbildung und logistischen Unterstützung dienen. Sie spielen zudem eine strategische Rolle in der Sahelzone, wo Frankreich vorgeblich gegen islamistische Gruppen operiert. Die Beziehungen zwischen Paris und Dakar als Hauptstadt und Regierungssitz des Senegal galten traditionell als stabil, doch die öffentliche Meinung hat sich in den letzten Jahren gewandelt: Frankreich wird zunehmend als neokoloniale Macht wahrgenommen, die wirtschaftliche und militärische Interessen über die der hiesigen Bevölkerung stellt.

Frankreichs Regierung hat bislang nicht offiziell auf die Forderung reagiert. Zu erwarten ist jedoch, dass Präsident Emmanuel Macron bemüht sein wird, die Spannungen diplomatisch zu entschärfen, da ein vollständiger Abzug die französische Einflussnahme in Westafrika erheblich schwächen könnte. Gleichzeitig stärkt Paris die letzten neokolonialen Bastionen in der Region, wie beispielsweise in Nigeria. Jüngst erst am 28.11. vertieften die französische und prowestliche nigerianische Regierung ihre ökonomischen Beziehungen in Paris erneut.

Europäischer Einfluss in Westafrika schwindet

Die Forderung Senegals könnte weitreichende Folgen haben, da Frankreich zunehmend an Rückhalt in den ehemaligen Kolonien verliert. Nach den Putschen in Guinea, Mali, Burkina Faso und Niger haben diese Länder die Zusammenarbeit mit Frankreich weitgehend beendet und sich vom Westen abgewandt. Währenddessen treffen in Ostafrika, wie zum Beispiel in Kenia, die antiwestlichen Aufstände auf harte Repressionen.

Kenias Jugend auf den Straßen

Der derzeitige Trend in der Region deutet unmissverständlich darauf hin, dass weitere Staaten die neokolonialen Ketten westlicher Imperialisten sprengen wollen. Wirtschaftliche, monetäre oder politische Transformationen wie in Niger, Mali und Burkina Faso stehen noch nicht auf der Agenda, doch das Potenzial wurde mit den Verkündungen Senegals und Tschads vernehmbar entflammt.

Diese Bestrebungen sind allesamt nicht vollständig innerhalb eines kapitalistischen Systems möglich und lösbar. So darf das zukünftige System nicht nur Wenigen auf Kosten der Meisten dienen. Der burkinische Präsident und Revolutionär Thomas Sankara sagte schon 1984:
„Unsere Revolution ist und sollte auch weiterhin die gemeinsame Anstrengung von Revolutionären sein, die Realität zu verändern und die konkrete Situation der Massen unseres Landes zu verbessern.”

Nick Svinets
Nick Svinets
Perspektive-Autor seit 2024 und Politikwissenschaftsstudent mit Fokus auf Westasien & Sahelzone, Migration, Antirassismus, Antimilitarismus und internationale Klassenkämpfe.

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