Auf der kleinen Nordsee-Insel Borkum gibt es einen obskuren Brauch: Jedes Jahr ziehen kostümierte Männer über die Insel und schlagen Frauen. Was es mit der Tradition auf sich hat und warum Gewalt an Frauen nicht nur auf Borkum ein Problem ist. – Ein Kommentar von Isabel Pérez.
Borkum – mit 31 km² und etwa 5.000 Einwohner:innen die größte der Ostfriesischen Inseln. Bekannt für seine Leuchttürme, Strandfeste und eine lange Tradition im Walfang. Die Bevölkerung lebt vor allem vom Tourismus. Doch in den letzten Tagen erlangte Borkum eine eher unrühmliche Bekanntheit, wegen des jährlichen „Klaasohm-Fests”.
Klaasohm wird jährlich am 5. Dezember gefeiert und ist für viele Borkumer:innen der höchste Feiertag des Jahres. Gemeinsam ziehen sie über die Insel, es gibt feierliche traditionelle Trachten und Verkleidungen, und Alkohol fließt in rauen Mengen.
Am späten Nachmittag treffen sich dann die Mitglieder des Borkumer Jungensvereins sowie ihnen bekannte Borkumer Männer in einem Ort. Frauen wird der Zutritt verwehrt. Hier treten die Klaasohms, sechs verkleidete Mitglieder des Jungensvereins, in drei Alterskategorien gegeneinander an.
Doch was zuerst wie jedes andere deutsche Volksfest klingt, hat einen Haken. Wer den Kampf der Klaasohms gewinnt, darf als Erstes über die Insel ziehen und Frauen jagen. Wird eine Frau gefangen, schlagen sie ihr mit einem Kuhhorn auf den Hintern. Mehrmals und mit voller Kraft.
Das Klaasohm-Fest wird immer vom Verein „Borkumer Jungens“ veranstaltet. Der Verein besteht bereits seit 1830 und hat seit seiner Gründung unter anderem eine Regel in seinem Statut: Frauen dürfen keine Mitglieder werden.
Der Jungensverein ruft vor dem Fest aktiv dazu auf, keine Bilder oder Videos der Tradition auf Social Media zu posten. „Der Klaasohm mag das nicht!“, wird dazu geschrieben und „damit […] weder Wiefke noch die Klaasohms zu einem viralen Hit werden, ist ein jeder aufgerufen, die Verbreitung in den sozialen Medien zu stoppen“. Sie sind sich wohl bewusst, dass ihre Tradition zu einem Aufschrei führen kann – womit sie auch Recht behielten.
Das laute Schweigen auf Borkum
Während der Recherchen des Kanals STRG_F“ wurden auch offizielle Stellen der Insel zu dem Fest befragt. Jedoch erklärte sich keine Stelle zu einem Interview bereit und auch sonst trafen sie keine Aussagen zum Fest. Dies gilt für den Bürgermeister, die Polizei und die Gleichstellungsbeauftragte.
Nach der Veröffentlichung der Recherche meldeten sich dann die zuständige Polizeistelle und der Borkumer Jungensverein doch noch zu Wort: Die Polizei erklärt, gewalttätige Übergriffe gegen Frauen würde man auf der Insel nicht dulden. Die Erfahrung der letzten hundert Jahre zeigt allerdings, dass man es damit am 5. Dezember nicht allzu ernst nimmt.
Auch der Borkumer Jungensverein äußerte sich zu der Reportage. In ihrer Stellungnahme schreiben sie, dass sie sich ausdrücklich von jeder Art der Gewalt gegen Frauen distanzieren würden und dass die Schläge mit dem Kuhhorn in der Vergangenheit zur Tradition gehört hätten. Diese Tradition würden sie jedoch dieses Jahr vollständig abschaffen.
Gleichzeitig wird beklagt, der Beitrag sei zu einseitig und die Insulaner:innen würden nun unter E-Mails, Kommentaren und Urlaubsabsagen leiden. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Stellungnahme aus tatsächlicher Überzeugung oder lediglich aus Angst vor finanziellen Konsequenzen für die Insel geschrieben wurde.
Gewalt gegen Frauen bekämpfen!
Gewalt gegen Frauen, egal in welcher Form, ist zu verurteilen. Sie dient lediglich dem Zweck, Frauen in ihre für sie vorgesehene Rolle im Patriarchat zu drängen und sie daran zu hindern auszubrechen. Auch die Borkumer Tradition ist laut Erzählungen dadurch entstanden, dass die Männer bei ihrer Rückkehr vom Walfang die Frauen zurück in ihre Positionen prügeln mussten, denn diese seien in der Zwischenzeit zu mächtig geworden.
Und während zu Recht ganz Deutschland auf TikTok, Instagram und Co. über diesen Brauch diskutiert und sich aufregt, dürfen wir nicht vergessen, dass diese Gewalt nicht auf eine kleine Insel oder ein Datum beschränkt ist. Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland Alltag.
2023 wurden 180.000 Fälle häuslicher Gewalt gegen Frauen polizeilich erfasst – die Dunkelziffer ist weitaus höher. Erst vor kurzem wurde zudem ein Bericht des BKA veröffentlicht, in dem festgestellt wurde, dass 2023 beinahe jeden Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet wurde.
Genauso wenig wird diese Gewalt durch ein einzelnes Statement der Borkumer Jungens oder durch das Versprechen der Polizei, in Zukunft die Augen offen zu halten und sich entschieden gegen Gewalt auszusprechen, beendet. Es sind eben keine Einzelfälle. Diese Gewalt hat System. Nur gemeinsam können wir uns dagegen wehren.