Die Entscheidungen in Asylverfahren von syrischen Geflüchteten wurden vorerst ausgesetzt. Das ist ein klarer Versuch, Menschen aus Syrien einzuschüchtern und ihnen Angst zu machen. Gegen die verschärfte Asylpolitik in Deutschland müssen wir uns wehren. – Ein Kommentar von Hasan Erkut.
Seit Jahren haben Geflüchtete in Deutschland tagtäglich Angst vor Abschiebung und fühlen sich in diesem Land nicht sicher: wenn z.B. das Kirchenasyl gebrochen wird oder Erzieher:innen die Kita-Kinder morgens vermissen, wenn Arbeiter:innen in den Betrieben ihre Kolleg:innen entrissen werden oder Menschen beim Behörden-Termin einfach festgenommen und abgeschoben werden.
In diesem Jahr 2024 haben wir gemerkt, dass die Abschiebepraxis Deutschlands immer unmenschlicher wird und die Hetze gegen Flüchtlinge, die in Deutschland Arbeitskolleg:innen, Freund:innen und Nachbar:innen geworden sind, immer schärfer wird. Besonders dramatisch zeigt sich dies am Beispiel Syriens.
Syrische Menschen unter Druck
Ein Geflüchteter aus Syrien berichtet: „Ich war wie viele andere Syrer:innen überglücklich zu sehen, dass das Regime von Diktator Assad, vor dem ich 2015 fliehen musste, endlich vorbei ist. Doch die ersten Äußerungen vieler Politiker:innen in Deutschland nur wenige Stunden nach den Ereignissen Anfang Dezember gingen in eine einzige Richtung: Abschiebungen! Teilweise von den gleichen Menschen, die nur Wochen vorher für Abschiebungen noch mit eben jenem Assad zusammenarbeiten wollten.“
In Deutschland lebt rund eine Million Syrer:innen. 607.000 Menschen haben eine befristete Aufenthaltserlaubnis auf Basis eines Schutzstatus‘ des BAMF, 340.000 Asyl- oder Flüchtlingsschutz, 266.000 subsidiären Schutz, 7.000 ein Abschiebungsverbot. Bis Ende November 2024 stellten rund 72.000 Menschen aus Syrien erstmalig einen Asylantrag in Deutschland. Die (bereinigte) Schutzquote liegt derzeit bei fast 100 Prozent. Die Situation syrischer Geflüchteter in Deutschland ist angespannt, vor allem emotional. Das wird verstärkt durch die Diskussionen über Abschiebungen und Rückkehr nach Syrien in der Vergangenheit und Gegenwart.
Aber statt nach innen eine Diskussion über Asylverfahren und die Rückkehr von syrischen Flüchtlingen zu führen, sollten sich die Bundesregierung und die anderen „oppositionellen“ Spitzenpolitiker:innen darauf konzentrieren, Syrien auf dem Weg hin zur Achtung von Menschenrechten, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit zu unterstützen. Hierbei sollte insbesondere darauf gehört werden, was von den demokratischen Kräften im Exil und in Syrien, beispielsweise von den kurdischen Kräften gefordert wird.
Hierzu gehört, dass die Menschenrechtsverletzungen der vergangenen Jahrzehnte aufgearbeitet werden müssen und juristische Gerechtigkeitsprozesse angestoßen werden sollten, um Selbstjustiz oder Rache-Aktionen zu verhindern. Zudem fordern die demokratischen Kräfte schnelle humanitäre Hilfe unter internationaler Koordination. Dabei könnte Deutschland eine zentrale Rolle spielen, anstatt auf mit den selbsternannten „Aufständischen“ und „Rebellen“ u.a. der fundamentalistischen HTS-Miliz zusammenzuarbeiten – wie es die Bundesregierung und die EU-Außenminister:innen derzeit tun.
Abschiebungen weder sicher noch legitim
Angesichts der derzeitigen chaotischen Verhältnisse in Syrien stellt die Entscheidung, ob eine Person nach Syrien zurückkehrt, eine äußerst persönliche und komplexe Abwägung dar, die von zahlreichen individuellen und situativen Faktoren abhängt.
Besonders in den benachbarten Staaten wie dem Libanon und der Türkei sind die Lebensbedingungen für syrische Geflüchtete nach wie vor prekär. Der Druck zur Rückkehr durch die jeweiligen Regierungen besteht bereits seit längerem. Da ist es nicht verwunderlich, dass eine größere Zahl Geflüchteter in Erwägung zieht, nach Syrien zurückzukehren.
Jedoch lässt sich aus dieser Entwicklung nicht ableiten, dass eine Rückkehr für alle syrischen Geflüchteten unproblematisch oder gar sicher wäre. Noch weniger lässt sich auf dieser Grundlage eine Legitimität von erzwungenen Abschiebungen begründen. Zudem haben sich viele Geflüchtete in den letzten Jahren in Deutschland und anderen Aufnahmeländern ein neues Leben aufgebaut. Niemand kann erwarten, dass sie dies einfach aufgeben. Sie arbeiten in unterschiedlichen Berufsfeldern, ihre Kinder wurden hier geboren und gehen hier zur Schule.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte bereits angekündigt, Asylentscheidungen syrischer Geflüchteter vorerst auszusetzen. Damit heizt das Bundesamt die Debatte an, ob es einen „Richtungswechsel“ in der deutschen Politik im Umgang mit syrischen Flüchtlingen geben wird. Es ist jedoch zu befürchten, dass noch monatelang nicht klar sein wird, in welche Richtung die Entwicklungen in Syrien gehen werden.
Deshalb ist es fatal, wenn auf unabsehbare Zeit die Asylverfahren syrischer Asylsuchende auf Eis gelegt werden, sie damit großer Unsicherheit ausgesetzt sind und ihnen damit gleichzeitig die Rechte, die sie nach einer Schutzgewährung hätten, verweigert werden. Hier sollten wir also dafür kämpfen, dass syrischen Geflüchteten einerseits die Möglichkeit gegeben wird, ihr Leben in Deutschland weiter zu führen, und andererseits, wenn es ihr Wunsch ist, sicher in ihre Heimat zurückzukehren. Das darf jedoch zu keiner Zeit durch Angst und Einschüchterungsversuche durch die deutschen Behörden passieren.
Anti-Geflüchteten Politik in der BRD: Eine Chronologie des Horrors