Erstmals hat sich der untergetauchte Burkhard Garweg mit einem längeren Brief aus der Illegalität zu Wort gemeldet. Er wehrt sich gegen die Darstellung ehemaliger RAF-Mitglieder als „Räuberbande“ und spricht sich gegen Militarisierung, Ausbeutung und Unterdrückung aus.
Nach 34 Jahren im Untergrund hat sich das frühere Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF), Burkhard Garweg, erstmals zu Wort gemeldet. Am Freitag berichtete die wochentaz erstmals über ein über 4.000 Wörter langes Schreiben des Untergetauchten, das ihr exklusiv vorlag. Inzwischen ist dieses auch auf dem linken Portal Indymedia veröffentlicht worden. Nach übereinstimmenden Medienberichten wurde die Echtheit des Schreibens durch die Zeitung sowie Garwegs Anwält:innen bestätigt.
Gegen Garweg läuft aktuell eine Fahndung des LKA Niedersachsen, weil er beschuldigt wird, bis zu ihrer Auflösung Teil der dritten Generation der RAF und in den Jahren danach an 13 teils schweren Raubüberfällen beteiligt gewesen zu sein, um sein Leben im Untergrund zu finanzieren. Im Zuge der selben Ermittlungen wurde auch Daniela Klette zu Beginn des Jahres in Berlin verhaftet, und es läuft eine Fahndung gegen Ernst-Volker Staub. Auch wegen versuchten Mordes wird gegen sie ermittelt.
Garweg weist Terrorismus-Vorwurf zurück
Burkhard Garweg bezieht in seinem Schreiben Stellung zu den Vorwürfen gegen ihn und seine Mitstreiter:innen: „Das erzeugte Bild vom ‚Terroristen‘ soll die Geschichte des Widerstands gegen die kapitalistischen Gewaltverhältnisse entpolitisieren, soll spalten, soll vernebeln, dass die staatliche Gewalt und die Gewaltverhältnisse des kapitalistischen Systems für viele Menschen auf der Welt wirklich nur noch Terror ist.“
Dabei wirft er den Behörden neben der Vermittlung einer verzerrten Bilds von Klette, Staub und ihm auch vor, im Zusammenhang damit den Ausbau staatlicher Befugnisse voranzutreiben: „Die fortwährende Propagierung unserer Gewalttätigkeit und Gefährlichkeit, die Haus- und Wagenplatzdurchsuchungen in martialischer Form, gepanzerte Fahrzeuge und MP-bewaffnete Polizist*innen, als sei der Krieg ausgebrochen, Kontrollen und Festnahmen sind mit den bewußt erzeugten Bildern nichts als die Behauptung der Notwendigkeit polizeilicher Militarisierung und eine Inszenierung, um die Bevölkerung zur Fahndung zu mobilisieren“, so Garweg.
Während der Staat die ehemaligen RAF-Mitglieder als „Räuberbande“ darstelle, sei es für ihn ausgeschlossen, „Gewalt gegen Menschen“ für Geld auszuüben. Die Traumatisierung von Beschäftigten von überfallenen Geldtransporten oder Geschäften sei zu bedauern.
Kritik an autoritärem Staatsumbau, Aufruf zu Widerstand gegen Krieg und Faschismus
In Garwegs Brief geht es aber nicht nur um die Vorwürfe gegen die ehemaligen Mitglieder der RAF. Stattdessen behandelt er in einem regelrechten Rundumschlag die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik und weltweit, argumentiert gegen die Aufrüstung, Umweltzerstörung und die staatliche Niederhaltung aller, die sich dem zur Wehr setzen oder die „arm, ausgebeutet und ausgegrenzt“ seien.
Garweg nennt hier unter anderem Aktivist:innen, die gegen Aufrüstung und Abschiebungen kämpfen, Klimaaktivist:innen, die „Massen“, die sich die Miete nicht mehr leisten können, Opfer staatlicher und faschistischer Gewalt wie Mouhamed Dramé, Oury Jalloh oder die vom NSU Ermordeten, in Isolationshaft Eingesperrte, verfolgte Antifaschist:innen oder jene, „die erkannt haben, daß der Staat Corona zum Anlaß nahm, die Formierung des autoritären Staats voranzutreiben, und dafür denunziert werden“.
Noch immer sieht sich Garweg als Teil einer „revolutionären Linken“. Seine gesellschaftliche Vision beschreibt er so: „Wir gingen davon aus: Wer die Frage nach einer gewaltfreien Gesellschaft stellt, die nicht dem Profit der Wenigen verpflichtet ist, der Spaltung der Menschen in schwarz und weiß, in arm und reich oder in Mann oder Frau, muss sich irgendwann zwangsläufig mit der Frage von struktureller Gewalt des Systems, revolutionärer Gegenbewegung und revolutionärer Selbstverteidigung auseinandersetzen.“
Solidaritätsdemo vor Haftanstalt: „Einen Kugelschreiber für Daniela Klette“
Auch heute noch hält Garweg den Kampf gegen die gesellschaftlichen Zustände für notwendig. Dabei nimmt er auch die erstarkende Rechte in den Blick, deren Erstarken Ausdruck der „allgemeinen Krise des Kapitalismus“ sei. Doch auch die anderen Parteien seien hier keine Alternative, da sie Forderungen nach einer rechteren Politik schon lange übernommen hätten. „Die großen Probleme der Menschheit: Zerstörung der ökologischen Lebensbedingungen, Nationalismus, Krieg und Armut werden objektiv im Kapitalismus nicht gelöst werden können“, heißt es in seinem Brief.
Garweg fordert Solidarität mit Inhaftierten und Untergetauchten
„In einer Situation der Schwäche hat es viel bedeutet und es hat Mut gemacht: die Solidaritätsdemonstration im März in Berlin für die Freiheit von Daniela und die Solidarität mit uns Illegalen“, so Garweg in seinem Brief.
Die „bürgerliche Gesellschaft“ hätte für Garweg nichts anderes vorgesehen als „eingesperrt oder erschossen zu werden“, doch sie hätten es geschafft, sich dem zu entziehen. Das könne ihnen „niemand mehr nehmen“. Nun fordert er eine „Solidarisierung“ mit Daniela Klette und den Wiederaufbau einer „antikapitalistischen, sozialrevolutionären und internationalistischen“ Linken.
„Es wird Zeit – es ist Zeit -, sich zu bewegen“ schließt er den mit „Martin“ unterschriebenen Brief – der Name, unter dem er in Berlin auf einem Bauwagenplatz gelebt haben soll.