Die Gemeinsame Konferenz der Kirchen findet in ihrem Rüstungsexportbericht 2024 deutliche Worte gegenüber der deutschen Regierung. Von „geostrategischen“ Waffenexporten an „sog. Werte- und Sicherheitspartner“ ist die Rede. Gemeint sind u.a. die Ukraine, Israel und Saudi-Arabien.
Am Mittwoch hat die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) ihren Rüstungsexportbericht im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt. Demnach bleiben die Werte für Einzelgenehmigungen für Waffenexporte weiterhin auf hohem Niveau. In den ersten drei Quartalen des Jahres 2024 lagen sie bei einem Volumen von rund 11 Milliarden Euro.
Dabei lag die Ukraine erneut auf dem ersten Platz der Bestimmungsländer. Es folgten Singapur und Algerien. Im Vorjahr 2023 war der bisherige Rekordwert mit insgesamt 12,8 Milliarden Euro erreicht worden. Im Jahr 2024 wird dieser Gesamtwert aller Voraussicht nach noch überholt.
Angesichts dieser Werte für das Jahr 2024 könne die GKKE „keine restriktive Rüstungsexportpolitik mehr erkennen“, so Max Mutschler, der Vorsitzende der Fachgruppe in seiner Einlassung. Die kirchliche Kontrollinstanz fordert daher „sowohl die aktuelle als auch die kommende Bundesregierung mit Nachdruck dazu auf, diesen Kurs wieder zu ändern.“
„Geostrategische Verfügungsmasse“
Die Rüstungsexporte drohten „zunehmend zu einer geostrategischen Verfügungsmasse“ zu werden, so der Vorwurf gegenüber der Regierung. Die aktuelle Praxis der Bundesregierung, Allgemeingenehmigungen für den Export von Rüstungsgütern an „sog. Werte- und Sicherheitspartner“ zu vergeben, ohne diese Bezeichnungen zu definieren, sei „höchst problematisch.“
Die Bezeichnungen „Werte- und Sicherheitspartner“ seien inhaltlich unspezifisch und daher vollkommen ungeeignet, um verbindliche Leitlinien für Rüstungsexportentscheidungen zu bieten. Im Zuge dessen weite sich der Kreis jener Länder, die als „Werte- oder Sicherheitspartner“ gelten, „ständig aus“. So würden neben Israel, Taiwan, der Ukraine oder Brasilien auch beispielsweise Indien, Armenien und „gar Saudi-Arabien“ als solche Partner bezeichnet.
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Waffenlobbyismus auf nationalstaatlicher und EU-Ebene
Auch auf europäischer Ebene gebe es „Anlass zur Sorge“. Die EU-Kommission hat ihre neue europäische Verteidigungsstrategie (EDIS) und das dazugehörige europäische Verteidigungsprogramm veröffentlicht. Die gezielte Kooperation zwischen der Forschung und Entwicklung, der Produktion und der Beschaffung europäischer Rüstungsgüter ist hier der Grund zur Sorge.
Die GKKE kritisiert, dass seit der „Zeitenwende“ infolge des russischen Angriffskrieges das Augenmerk der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten auf einer gemeinschaftlichen Verteidigungs- und Rüstungsindustriepolitik liege, ohne dass mit vergleichbarer Energie eine EU-Rüstungsexportverordnung auf den Weg gebracht werde.
Der Rüstungsindustrie gelinge es hingegen „sehr effektiv, Einfluss auf EU-Politik und auf nationalstaatliche Politik zu nehmen.“ Zuletzt war beispielsweise bekannt geworden, dass Sigmar Gabriel (SPD) in den Aufsichtsrat von Rheinmetall wechseln werde.
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Bei Verletzung des Humanitären Völkerrechts keine Waffen
Einen besonderen Schwerpunkt im diesjährigen Bericht bildeten Waffenexporte in den Staat Israel und die mangelnde gesetzliche Regulierung der Ausfuhr von Rüstungsgütern. Im Bericht fordert die GKKE die Bundesregierung unter anderem dazu auf, keine Ausfuhrgenehmigungen nach Israel zu erteilen insoweit ein „hinreichender Verdacht besteht, dass die Rüstungsgüter zu schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht benutzt werden könnten.“
Anhaltspunkte für solch einen hinreichenden Verdacht sah in letzter Zeit unter anderem der Internationale Strafgerichtshof (IStGH). Er erließ im vergangenen Monat auf Antrag des Chefanklägers beim IStGH einen internationalen Haftbefehl wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza gegen den Premierminister Israels, Benjamin Netanjahu (Likud) sowie den ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Galant (Likud).
Der katholische Vorsitzende der GKKE, Karl Jüsten, räumte in seiner Stellungnahme ein, dass die Bewertungen dazu in der Fachgruppe umstritten seien. Es sei aber die Auffassung der GKKE, Rüstungsgüter nicht nach Israel zu exportieren „solange die israelische Regierung der Sicherheit der Zivilbevölkerung in Gaza keine signifikant höhere Priorität einräume.“
Forderung nach Kontrollgesetz
Die GKKE verwies in ihrem Bericht darauf, dass eine zentrale Festlegung des Koalitionsvertrages zur Rüstungskontrolle in der letzten Legislaturperiode nicht umgesetzt worden sei. Die Ampel-Regierung hatte sich vorgenommen, ein Rüstungsexportkontrollgesetz im Bundestag zu verabschieden.
Das bislang geltende, detaillierte Ausführungsgesetz zum Artikel 26 des Grundgesetzes („Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen“) sollte damit ergänzt werden. Die evangelische Vorsitzende der GKKE, Anne Gidion, führte während der Pressekonferenz dazu aus: „Nur ein solches Gesetz könnte stabile Voraussetzungen dafür schaffen, um mit den hoch riskanten Nebenwirkungen von Rüstungsexporten verantwortlich umzugehen.“
Regierung reicht Unterlagen zu spät ein
Darüber hinaus kritisierte der Bericht die Tatsache, dass die Bundesregierung nicht in der Lage war, den regierungsamtlichen Rüstungsexportbericht rechtzeitig vorzulegen. Dadurch war die Fachgruppe gezwungen, ihre Daten aus den Pressemitteilungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie aus Regierungsantworten auf parlamentarische Anfragen zu entnehmen.
Auch wurde angeregt, ein Verbandsklagerecht gegen Waffenexportgenehmigung einzuführen. Im vergangenen Jahr scheiterten Klagen vor dem Verwaltungsrecht Berlin sowie Frankfurt an deren Unzulässigkeit. Der Rüstungsexportbericht der GKKE wird seit 1997 von der Fachgruppe Rüstungsexport des Arbeitsverbundes aus Evangelischer und Katholischer Kirche erarbeitet.
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