Die Tafeln in Deutschland stehen vor einer Krise. Zahlreiche örtliche Vereine rationieren daher die gesammelten Lebensmittel, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Diese Entwicklung macht die strukturellen Mängel des Systems deutlich. – Ein Kommentar von Marius Fiori.
Die Tafeln in Deutschland stehen vor einer dramatischen Krise. Immer mehr Menschen sind auf diese gemeinnützigen Einrichtungen angewiesen, während gleichzeitig die Ressourcen schwinden. Laut Tafel Deutschland e.V. werden derzeit rund zwei Millionen Menschen unterstützt, darunter viele Rentner:innen, Alleinerziehende und Geflüchtete. Mittlerweile sind es etwa 1,6 Millionen Menschen, die in Deutschland abhängig von der Lebensmittelausgabe sind.
Angesichts abnehmender Lebensmittelspenden und eines sprunghaften Anstiegs der Nachfrage sehen sich viele Tafeln zunehmend gezwungen, Rationen einzuführen oder neue Hilfesuchende abzuweisen. Andreas Steppuhn, Vorsitzender des Tafel-Dachverbands, erklärt: „Ein Drittel versucht, sich mit temporären Aufnahmestopps oder Wartelisten zu helfen, die sie nach Möglichkeit abarbeiten. 60 Prozent der Tafeln müssen die Menge der ausgegebenen Lebensmittel reduzieren.“
Symptom einer gescheiterten Sozialpolitik
Der drastische Anstieg der Lebenshaltungskosten und die Inflation treffen die am wenigsten Verdienenden am härtesten. Besonders die Preise der billigeren Eigenmarken in den Supermärkten und Discountern sind in den vergangenen Jahren explodiert und liegen weit über der durchschnittlichen Inflation. Zwischen 2020 und 2024 sind diese Preise um mindestens 29 Prozent gestiegen.
Vor allem Rentner:innen und Familien von Alleinerziehenden können sich nahrhafte und gesunde Grundnahrungsmittel aufgrund der gestiegenen Preise oft nicht mehr leisten. Dazu kommen die vielen vor dem Krieg geflohenen Menschen aus der Ukraine und anderen Krisenregionen, die den Druck auf die Einrichtungen weiter erhöhen. Gleichzeitig führen die optimierte Lagerhaltung und Nachhaltigkeitsmaßnahmen bei Supermärkten dazu, dass weniger überschüssige Lebensmittel an die Tafeln gespendet werden.
Mitarbeiter:innen der Tafel warnen davor, dass diese Situation definitiv kein Einzelfall, sondern zurzeit überall zu beobachten sei. Während die Tafeln ursprünglich als kleine Ergänzung zum staatlichen Hilfesystem gedacht waren, fungieren sie zunehmend als unverzichtbarer Ersatz für nicht ausreichende Sozialleistungen.
„Es kann nicht sein, dass Ämter armutsbetroffene Menschen mittlerweile an die Tafeln verweisen“, so Steppuhn. Gegen die zunehmende Abhängigkeit vieler Menschen von diesen freiwilligen Initiativen seien minimale Erhöhungen des Bürgergelds oder mögliche Senkungen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zudem bei Weitem nicht ausreichend.
Armut im Schatten des Wohlstands
Das System der Tafeln kann zu einem kleinen Grad also kurzfristige und punktuelle Hilfe leisten, zementiert jedoch eine strukturelle Ungleichheit: In einem Land mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt sollte Hunger eigentlich keine Option sein! Die steigende Nachfrage nach Tafeln ist aber im Gegensatz dazu ein Indikator für einen „Sozialstaat“, der viele Menschen im Stich lässt.
Diese ungleiche Verteilung ist jedoch nur ein Ausdruck der Profitlogik des Kapitalismus. Hinzu kommen Probleme wie die Lebensmittelverschwendung in Supermärkten, welche die Situation weiter verschärfen. Produkte, die nicht den ästhetischen Standards entsprechen oder kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums stehen, werden oft weggeworfen, obwohl sie noch genießbar wären.
Diese Verschwendung steht in scharfem Kontrast zu der wachsenden Zahl hungernder Menschen, die auf Tafeln existentiell angewiesen sind. Supermärkte agieren hierbei nicht nur aus Eigeninteresse, sondern auch im Rahmen eines Systems, das Überproduktion und Wegwerf-Kultur fördert. Eine gerechte Verteilung dieser Ressourcen wäre möglich, scheitert jedoch an den Prioritäten des Markts.
Die Krise der Tafeln ist aber nicht nur ein Symptom des Kapitalismus, sondern auch eng mit den Dynamiken des imperialistischen Weltsystems verknüpft: Durch globale Ausbeutungsverhältnisse, die Rohstoffe und Arbeitskraft aus dem globalen Süden in die Industriestaaten abziehen, wird in imperialistische Zentren wie Deutschland der Reichtum exportiert, der jedoch auch hier ungleich verteilt bleibt.
Die ökonomischen Krisen und Konflikte, die aus der weltweiten Ungleichheit und dem Kampf um jegliche Ressourcen resultieren, lösen nicht zuletzt Flüchtlingsströme aus. Diese belasten wiederum die ohnehin überlasteten Tafeln und verdeutlichen, dass lokale Armut und globale Ungleichheit untrennbar miteinander verwoben sind.
Eine nachhaltige Perspektive mahnt daher nicht einfach nur stärkere soziale Sicherungssysteme an. Sondern sie fordert eine grundlegende Neuausrichtung. Langfristig sollte das Ziel klar sein: Tafeln überflüssig machen und eine neue Ausrichtung der Wirtschaft und damit auch von Lebensmittelproduktion und Verteilung, die nach den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist!