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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Kurdische Freiheitsbewegung in Rojava – im pro-imperialistischen Bündnis mit den USA?

Seit dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien intensivieren sich die Diskussionen über den Charakter politischer Strukturen in Syrien. Im Zuge dessen erfolgen unterschiedliche Charakterisierungen der kurdischen Freiheitsbewegung: revolutionäre Kraft zur Überwindung des Imperialismus oder pro-imperialistischer Akteur? Wer hat Recht? – Ein Kommentar von Civan Ölmez.

Die kurdische Freiheitsbewegung wird von der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) angeführt und ist in Syrien und Rojava in Form der PYD und der YPG (Volksverteidigungseinheiten) & YPJ (Frauenverteidigungseinheiten) politisch und militärisch aktiv. Sie standen auch an der Spitze der Rojava-Revolution, die unter den Bedingungen des Bürgerkriegs und des imperialistischen Machtkampfs in Westasien erkämpft wurde.

Von verschiedenen Seiten werden diese Organisationen einerseits als revolutionäre Kraft zur Überwindung des Imperialismus und andererseits als pro-imperialistischer Akteur charakterisiert. Um zur Klärung dieser Frage beizutragen, sollten verschiedene Punkte betrachtet werden. Dazu zählen insbesondere die historischen Bedingungen. Auch der Charakter und die Abgrenzungen des Bündnisses zwischen der kurdischen Freiheitsbewegung und dem US-Imperialismus sollten geklärt werden.

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Historische Bedingungen des Bündnisses

Das Bündnis der kurdischen Freiheitsbewegung mit dem US-Imperialismus entstand unter den Bedingungen des Bürgerkriegs in Syrien. Der faschistische Islamische Staat (IS) war der Kontrolle des westlichen Imperialismus entglitten und wurde zu einer eigenständigen und reaktionären Kraft, die weite Teile Syriens und Iraks eingenommen hatte. Die Hauptkraft in der Bekämpfung des IS stellte das kurdische Volk in Form der von ihnen errichteten YPG/YPJ dar.

Das kurdische Volk und die kurdische Freiheitsbewegung konnten die Bedingungen des Bürgerkriegs und des Völkermords durch den IS als Chance nutzen, um sich sowohl gegen den IS und das Assad-Regime, als auch gegenüber anderen von der USA, Großbritannien, Israel und der Türkei abhängigen islamisch-fundamentalistischen Kräften zu behaupten. Der US-Imperialismus entschied sich, am Kampf gegen den erstarkten und sich von der Kontrolle der Imperialisten entreißenden IS zu beteiligen.

Im Kampf gegen den IS auf die kurdische Freiheitsbewegung zu setzen, war nicht einfach das Ergebnis eines ausgetüftelten Plans des Imperialismus, zu dem das kurdische Volk entgegen seiner eigenen Interessen überzeugt wurde. Die Rojava-Revolution war die eigene Antwort der Unterdrückten auf die Versklavung von Frauen und Mädchen, den Völkermord gegen religiöse und nationale Minderheiten, sowie die allgemeine jahrhundertelange Spaltung der Bevölkerung entlang von Volksgruppen unter den Bedingungen des Kolonialismus. Die Bedingungen dieser historischen Phase der Selbstverteidigung gegenüber dem IS-Faschismus bestimmten den Charakter der Rojava-Revolution im Wesentlichen.

Der Kampf gegen den Islamischen Staat konnte so von großen Teilen der Unterdrückten im Nachgang als eine ganz besondere Schlacht im Kampf um die eigene Befreiung vom kolonialen Joch, imperialistischer Barbarei, vom Kapitalismus und dem Patriarchat begriffen werden. Trotz wahrgenommener Widersprüche standen aufgrund der Bedingungen der historischen Selbstverteidigung deshalb zu allererst im Vordergrund: der Kampf gegen das Patriarchat, die Befreiung von der kolonialen Unterdrückung und der Kampf um die Gleichheit der Völker und der religiösen Gruppen.

Der Charakter des Bündnisses

Die führenden Kräfte der Rojava-Revolution waren hierfür ein militärisches Bündnis mit dem US-Imperialismus eingegangen – unter der Bedingung ihrer eigenen Unabhängigkeit, also der Verteidigung ihres Lebens und ihrer Errungenschaften. Sie verteidigte unermüdlich ihre politische und ideologische Eigenständigkeit, die aus dem Geist der Revolution hervorging. Die Unterstützung durch den US-Imperialismus hatte und hat für die Rojava-Revolution nur insoweit Legitimität, wie sie die historische Selbstverteidigung ermöglichte und noch ermöglicht. Zweifelsfrei waren die zur Verfügung gestellten Waffen von großem Nutzen.

Das zeitweilige Zur-Verfügung-Stellen von Öl-Feldern für den US-Imperialismus auf dem – unter der Kontrolle der Selbstverwaltung stehenden – Gebiet wurde zu einem Teil des Bündnisses. Hierbei kann sich die Frage gestellt werden, ob diese Erscheinung mehr über den US-Imperialismus oder mehr über die kurdische Freiheitsbewegung aussagt: Zweifelsfrei sagt es etwas über das Bestreben des US-Imperialismus aus, das die Befreiung der Unterdrückten des IS an seine Bereicherung an den Ressourcen Rojavas knüpfte. Weniger aber über die Rojava-Revolution, die unter den Bedingungen des Völkermords und der kolonialen und imperialistischen Umzingelung um ihr Überleben kämpfte.

Der US-Imperialismus hat – entsprechend seines nur beschränkten Interesses an der kurdischen Freiheitsbewegung – die Rojava-Revolution nur als eine zeitweilige militärische Kraft im syrischen Bürgerkrieg verstanden. Die soziale Revolution, die ihr zugrunde liegenden gesellschaftlichen Interessen der Unterdrückten und vor allem die, aus der Rojava-Revolution hervorgegangen politischen Strukturen hingegen fanden beim US-Imperialismus keine Beachtung. Die US-Weltmacht glaubt nicht an deren langfristige Legitimität und macht den Unterdrückten in diesem Punkt auch nichts vor.

Das Risiko eines „Hinterhalts“ durch den US-Imperialismus bestand also schon immer und verstärkt sich nun durch neue Bündnis-Möglichkeiten mit den – neuerdings als gemäßigt auftretenden – islamisch-fundamentalistischen Kräften, welche die Macht in Syrien ergriffen haben. Die schnelle Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur neuen Übergangsregierung zeigen hier die ersten konkreten Schritte.

Die Grenzen des Bündnisses

Schon zuvor hatte der US-Imperialismus Interesse gezeigt, aus Rojava einen handzahmen Kollaborateur des Imperialismus zu machen. Die revolutionäre Energie für einen entschiedenen und umfänglichen Kampf gegen das Patriarchat, das koloniale Joch, die imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung und die Teilung der Bevölkerungen der Länder Westasiens entlang nationaler und religiöser Linien sollte dabei ausgemerzt werden. Die maximalen, in den Raum geworfenen Zugeständnisse des US-Imperialismus an die Bevölkerung in Rojava entsprechen dabei einem Modell der Kollaboration, dessen Vorbild Irak-Südkurdistan ist.

Dem entgegen streben die Rojava-Revolution und die sie vertretenden politischen Strukturen seit jeher nach Beständigkeit der Prinzipien ihrer Revolution. Dafür waren sie für Zugeständnisse bereit. Sie waren bereit, Kompromisse mit dem Assad-Regime einzugehen, um ihre Erfahrungen mit der Rojava-Revolution auf ganz Syrien ausweiten zu können. Auch heute zeigen sich die politischen Strukturen der Rojava-Revolution deutlich bereit, mit der nun regierenden HTS Gespräche zu führen, um bei der neuen Gestaltung Syriens ihre Erkenntnisse aus der Rojava-Revolution einfließen zu lassen.

Um ihre Errungenschaften zu festigen, sucht die Rojava-Revolution nach unterschiedlichen Wegen. Dafür war und ist sie stets kompromissbereit. So bedeutet auch nun das Wehen der grün-weiß-roten Flaggen über Rojava nicht die Anerkennung der politischen und ideologischen Linie der HTS. Es symbolisiert vielmehr die Fortführung ihrer eigenen Idee, ihre gewonnenen Erfahrungen auf Gesamt-Syrien ausweiten zu wollen – Prinzipien, von denen die PKK glaubt, dass sie in ganz Westasien und der Welt gelten sollten.

Neben dem allgemeinen Interesse des US-Imperialismus, keinerlei Kräfte, die aufgrund ihrer Prinzipien dem Imperialismus gefährlich werden könnten, zu unterstützen, verfolgen die USA in der jetzigen Übergangsphase spezielle Interessen: Die Verteidigung ihres strategischen regionalen Partners Israel steht für den US-Imperialismus dabei im Vordergrund. Sie bedeutet neben der Vernichtung der direkten Feinde des israelischen Staates – der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah – auch das Zurückdrängen der Ansprüche der zwischen den imperialistischen Konkurrenten hin und her schwankenden Türkei.

Der türkische Staat, der bei dem Sieg der islamisch-fundamentalistischen Kräfte eine bedeutende Rolle spielte, soll nur beschränkte Zugeständnisse erhalten, während die Position Israels in Westasien gefestigt werden soll. Mit einer politischen Mitgestaltung im neuen Syrien bezwecken die westlichen Imperialisten, einen langfristigen Einfluss auf den neuen Staat in Syrien nehmen zu können. Dabei könnten die Angriffe der Türkei auf Rojava derzeit als kontraproduktiv für die Festigung der israelischen Position in Westasien erachtet werden. Sie könnten – zur Bekämpfung der revolutionären Energie der Rojava-Revolution im Gegensatz zur Türkei – integrativere Methoden zur Eingliederung der Bevölkerung Rojavas in ein Israel-duldendes neues Syrien bevorzugen.

Die Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die durch jahrzehntelange Erfahrungen mit dem nationalen Befreiungskampf gestählte Kader:innenpartei, die unzählige Konfrontationen mit den westlichen Imperialisten einschließt, sprach zu Beginn der Offensive der HTS zu der Bevölkerung in Rojava: Mit einer Mahnung erinnerte sie die Bevölkerung in Rojava, dass sie sich auf keine ausländischen Mächte bei der Verteidigung ihrer Errungenschaft verlassen solle. Dieser Appell und verschiedene politische Analysen der PKK sind Zeugnis ihres Bewusstseins über die prinzipiellen Unterschiede zum Imperialismus in der Zielsetzung und der Strategie.

Mindestens eine Frage bleibt offen: Was sollte aus der Charakterisierung des US-Imperialismus als einem Akteur, der nicht die Interessen der Ausgebeuteten und Unterdrückten der Region in den Vordergrund stellt, folgen? Die Verteidigung der Rojava-Revolution und ihrer Prinzipien gegenüber allen kolonialistischen und imperialistischen Akteuren – oder die Verunglimpfung der Rojava-Revolution? Zweifelsfrei Ersteres.

Offensive auf Nord- und Ostsyrien: Rojava-Revolution verteidigen!

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