Das Institut für Menschenrechte hat seinen neunten Menschenrechtsreport vorgelegt. Kritisiert werden unter anderem die deutsche Migrations- und Überwachungspolitik.
Am Montag hat das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) dem Deutschen Bundestag seinen 9. Menschenrechtsreport in Berlin vorgelegt. Dieser bewertet die gesetzgeberischen Entwicklungen zwischen Juli 2023 und Juni 2024, die für die menschenrechtliche Situation in Deutschland ausschlaggebend waren.
Besonders positiv ist die Bilanz des Deutschen Instituts für Menschenrechte nicht ausgefallen: Mehr als 40 Empfehlungen hat es an den Bundestag abgegeben. Besonders die Verschärfungen im Migrationsrecht, das Thema Wohnungslosigkeit, die Exklusion von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsmarkt und die Ausbeutung von Wanderarbeiter:innen wurden seit Juli 2023 auffällig. Auch war das Jahr 2023 von einer starken Zunahme faschistischer Demonstrationen geprägt.
Recht auf Asyl
Während die AfD und rechte Gruppierungen bereits die „Remigration“ planen, rückte und rückt auch der deutsche Gesetzgeber mit seiner Migrationspolitik immer weiter nach rechts: Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene wurden seit 2023 immer stärkere Verschärfungen des Migrationsrechts beschlossen.
Im April diesen Jahres wurde mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) die massivste Einschränkung des Asylrechts seit jeher beschlossen. Asylverfahren sollen an Außengrenzen und in dort eingerichteten Lagern durchgeführt werden und Geflüchtete vermehrt in Drittstaaten abgeschoben werden. Das DIMR befürchtet bei der Auslagerung von Asylverfahren verstärkte Menschenrechtsverletzungen von Geflüchteten und hält eine menschenrechtskonforme Ausgestaltung der Praxis für unmöglich.
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Auch die im Oktober 2023 beschlossene Bezahlkarte für Geflüchtete sieht das Institut kritisch: Es gäbe viel Raum, Geflüchtete mit der Einführung solcher Bezahlkarten zu schikanieren – der Bürokratieaufwand wäre hingegen immens, und es sei auch nicht belegt, dass durch die Bezahlkarte weniger Geflüchtete nach Deutschland kommen würden.
Mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz, das im Januar diesen Jahres eingeführt wurde, wurde das, was die AfD schon lange fordert, Realität: Ausweisungen, Abschiebungen, Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam werden drastisch verschärft. Nachdem Bundeskanzler Scholz im Juni ankündigte, nun auch in das Kriegsgebiet Syrien und das von den Taliban regierte Afghanistan abschieben zu wollen, hob im August der erste Abschiebeflug nach Afghanistan ab. Der besondere Schutz für ukrainische Geflüchtete wurde derweil verlängert.
Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit
In der Rangliste der Pressefreiheit für das Jahr 2023 von Reporter ohne Grenzen ist Deutschland von Platz 16 auf Platz 21 gerutscht: Es kam vermehrt zu verbalen und gewalttätigen Angriffen auf Journalist:innen, die Medienvielfalt nahm ab und immer wieder wurde der Zugang zu Gesetzesentwürfen und Informationen verwehrt. Die Berliner Polizei verhängte im Oktober ein generelles Verbot palästina-solidarischer Demonstrationen und untersagte auch im Mai die Versammlungen zum Nakba-Tag – dem Gedenktag der Vertreibung der Palästinenser:innen im Zuge der Staatsgründung Israels im Jahr 1948, die bis heute andauert.
Überwachung und Repression
Auch Klimaaktivist:innen der Letzten Generation wurden vermehrt von Repressionen getroffen: Nicht nur gab es immer wieder Fälle von Polizeigewalt, viele Gerichte stuften die Letzte Generation auch als „kriminelle Vereinigung“ ein und zahlreiche Aktivist:innen wurden vor Gericht gezogen. Aber nicht nur Klimaaktivist:innen sind von verschärfter Repression betroffen, die Bundesregierung baut den gesamten Überwachungsstaat schon seit geraumer Zeit weiter aus.
Innenministerin Nancy Faeser fordert beispielsweise, Chatverläufe zu überwachen, Gesichtserkennungssoftware mit KI-Unterstützung zu nutzen und führte ein neues Gesetz für das Bundeskriminalamt (BKA) ein, das unter anderem die verdeckte Durchsuchung von Wohnungen zum Zweck der heimlichen Installation von Staatstrojanern erlauben sollte. Zwar wurden Teile des Gesetzes vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt, die heimliche Durchsuchung blieb aber bestehen.
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Wirtschaft und Arbeiter:innen
Im Januar beschloss Deutschland das Lieferkettengesetz, das Menschenrechte im internationalen Produktionsprozess wahren und Unternehmen zur Verantwortung ziehen soll. Leider enthält das Gesetz keine Bestimmungen, um Unternehmen vor Gericht haftbar zu machen und beschränkt sich nur auf die beteiligten Unternehmen in der Wertschöpfungskette.
Auch die Arbeitsbedingungen der Wanderarbeiter:innen im Niedriglohnsektor wie z.B. in der Pflege, der Landwirtschaft oder dem Transportsektor stuft das Deutsche Institut für Menschenrechte als menschenunwürdig ein. Genauso die Bezahlung von Menschen mit Behinderungen in Behindertenwerkstätten: Durchschnittlich bekommen die Arbeiter:innen für ihre Arbeit dort nur 222 Euro im Monat – also weit unterhalb des Mindestlohns.
Außerdem hat Deutschland weiterhin nicht den bilateralen Reparationsprozess für die zwischen 1904 und 1908 begangenen Kolonialverbrechen in Namibia ins Rollen gebracht.
Wohnen
Im 9. Menschenrechtsbericht rügt das DIMR zudem den derzeitigen Wohnungsmangel in Deutschland: Es gäbe viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum, kaum effektive Maßnahmen gegen steigende Mieten, und zu viele Menschen würden ihre Wohnung verlieren – aber keine neue finden. Anfang diesen Jahres wurden rund 439.500 Menschen wohnungslos, darunter über ein Viertel Jugendliche und Kinder. Damit hat sich die Zahl gegenüber 2022 fast verdoppelt.