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Zeitung für Solidarität und Widerstand

Mietexplosion beim Studentenwerk Leipzig: „Wir wollen demokratische Teilhabe und Mitsprache“

Die Mieten aller Wohnheimplätze des Studentenwerk Leipzig steigen bald um bis zu 40 Euro. Gegen die prompte Mieterhöhung organisierten Studierende schnell Protest – wir haben im Interview mit Fine Zimmermann*, einer betroffenen Mieterin, über die Zustände in den Wohnheimen und Perspektiven des Mietkampfes gesprochen.

⁠⁠Knapp 5.200 Wohnheimplätze vermietet das Studentenwerk Leipzig, zum Semesterstart befanden sich 600 Studierende auf der Warteliste. Wie wohnt es sich in so einem Wohnheim?

Als ich zum Studieren nach Leipzig gezogen bin, stand ich auch noch auf der Warteliste. Ich habe einen Monat auf der Couch einer Freundin geschlafen, bevor ich einen Platz im Wohnheim bekommen habe. Dementsprechend erleichtert war ich, diesen dann zugesichert bekommen zu haben.

Auf dem freien Markt ist es extrem schwierig, eine WG zu finden. Deshalb ist es meiner Meinung nach wichtig, dass es Institutionen wie Wohnheime gibt. Im Allgemeinen bin ich mit meiner Wohnung auch nicht unzufrieden. In mein Zimmer passt, was ich brauche, und ich komme schnell in die Uni und in die Innenstadt.

Es gibt aber auch einiges, was nervt: In meinem Wohnheim leiden viele Studierende unter Lärm, Licht und Dreck von der Baustelle gegenüber, die Heizungen funktionieren im Winter oft nur bedingt und das Internet fällt immer genau dann aus, wenn man es gerade am dringendsten braucht. Einen Monat nachdem ich eingezogen bin, wurde eine Warnung ausgehängt, dass das Wasser mit Legionellen kontaminiert sei. Das soll inzwischen wieder okay sein.

Dass der Fahrstuhl ab und zu nicht geht, ist wahrscheinlich normal. Dass Freunde von mir einmal anderthalb Stunden in einem festgesteckt sind, bevor er repariert wurde, ist nochmal was anderes. Ich habe all das bisher hingenommen, sehe aber nicht ein, warum meine Miete weiter steigen soll, wenn die Probleme, die die Studierenden äußern, nicht angegangen werden. Für das, was wir bekommen, finde ich die Miete jetzt schon zu hoch.

Warum wehren sich auf einmal so viele Studierende gegen die Mieterhöhungen? Sollten Wohnheime nicht günstiger sein als normale Wohnungen?

Die Studierenden sind frustriert und wütend. Das vierte Jahr in Folge werden jetzt die Mieten erhöht. Das letzte Mal wurden sie erst im August angehoben und jetzt soll bei manchen Mieter:innen die Miete sogar um 40 Euro steigen. Dabei liegt unsere Miete schon jetzt oft über den ortsüblichen Vergleichsmieten.

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Überall in Leipzig wird Wohnraum knapper und teurer, aber das Studentenwerk sollte ja als Anstalt öffentlichen Rechtes nicht wie Privatbesitzer agieren und aufgrund der Nachfrage die Preise erhöhen. Unsere erste Forderung ist deswegen auch, dass die Studierendenwohnheime in jedem Fall günstiger sein sollten als der örtliche Durchschnitt.

Unter den Menschen, die zu den Treffen – dazu später mehr – kommen, sind auch viele ausländische Studierende. Diese sind besonders auf das Studentenwerk angewiesen, da es für sie noch schwieriger ist, eine Wohnung oder eine WG zu finden. Für viele Zimmer zahlt man jetzt schon 30% mehr als noch 2022 und auch sonst ist alles teurer wegen der Inflation, während BAföG und Löhne kaum steigen. Studieren darf nicht arm machen.

Wir haben 2023 in Halle gesehen, dass der Protest Erfolg haben kann, wenn man sich zusammen mit den anderen Studierenden organisiert.

Welche Begründungen wurden für die Mieterhöhungen geliefert?

Als Grund wurden Instandhaltungsmaßnahmen und die Kostensteigerungen der letzten Jahre genannt. So würden die momentanen Einnahmen nicht reichen, um die Kosten zu decken. Für frühere Mieterhöhungen wurden die gestiegenen Energiepreise genannt. Diese sind seitdem aber – anders als unsere Mieten – wieder gesunken. Warum ein erneuter Anstieg nötig ist, ist uns deswegen nicht klar.

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Die versprochenen Maßnahmen zur Verbesserung habe ich bisher nicht bemerkt. Ich habe eher das Gefühl, als würde sich der Zustand verschlechtern. Anstatt Dinge zu reparieren, über die sich beschwert wird, werden andere Sachen eingeführt, die nicht nötig sind.

Wir fordern deswegen unter anderem auch eine transparentere Kommunikation und eine Offenlegung der Betriebskostenabrechnung. Denn selbst wenn das Studentenwerk finanzielle Probleme hat, sehen wir nicht ein, dass ausgerechnet wir Studierende dafür in die Verantwortung gezogen werden, anstatt dass sich um Unterstützung durch den Staat bemüht wird.

Das Studentenwerk wirbt auf seiner Webseite mit den Worten: „Wir sind für Studierende da – dein Rundum-Sorglos-Paket fürs Studium in Leipzig!“ Wie fühlt sich das Rundum-Sorglos-Paket an?

Wie gesagt, finde ich es prinzipiell gut, dass es Wohnheime gibt, aber vom Angebot des Studentenwerkes war ich eher enttäuscht. Auf der Webseite wird geworben mit Fitness- und Gruppenräumen und der „studentischen Gemeinschaft“. Aber Tatsache ist, dass ich mich gerade im ersten Semester hier sehr einsam gefühlt habe. Es gibt nicht wirklich Möglichkeiten, andere Studierende kennenzulernen. Die Gemeinschafts-, Tischtennis- und Fitnessräume, die es in manchen Wohnheimen geben soll, sind abgeschlossen und nur unter Auflagen zu bekommen.

„Rund um sorglos“ scheint für das Studentenwerk auch zu bedeuten, dass wir uns um unsere eigenen Repräsentanten nicht kümmern müssen. Die Wohnheimsprecher:innen, die als „Interessenvertreter:innen der Wohnheimbewohner:innen“ auf der Webseite beworben werden, werden nicht von uns gewählt und arbeiten nicht in unserem Interesse. So wurden beispielsweise linke Meinungsäußerungen zu Angriffen von Faschisten im Viertel bereits von einer Sprecherin aus der Chatgruppe des Wohnheims gelöscht. Ansonsten bekommt man kaum etwas von ihnen mit.

Eine weitere unserer Forderungen sind deshalb echte und unabhängige Vertreter:innen, demokratische Teilhabe und Mitsprache in Angelegenheiten, die das Wohnheim betreffen. Wir wollen, dass das Studentenwerk unterstützt, dass wir uns selber organisieren und sich nach Entscheidungen der Wohnheimbewohner:innen richtet.

Wie sah euer Protest bisher aus? Habt ihr schon Pläne für die kommende Zeit?

Nachdem alle Mieter:innen die Mail zu den Mieterhöhungen bekommen haben, entbrannten unabhängig voneinander in allen Wohnheim-Chats Diskussionen und die Menschen teilten ihren Unmut. Eine Gruppe von Studierenden schlug dann vor, sich zu treffen, um zu besprechen, was man tun könnte.

Zwei Treffen und eine halbe Woche später fand dann die erste große Versammlung statt, auf der wir gemeinsam Forderungen erarbeiteten. Diese Forderungen wurden jetzt an das Studentenwerk und die Presse gegeben und sollen mit einer Unterschriftensammlung noch unterstrichen werden.

Die nächsten Treffen, um die nächsten Schritte zu planen, sind auch schon vereinbart, sollte das bisherige Engagement keine Wirkung zeigen. Besonders wichtig ist es uns hierbei, möglichst viele Studierende zu mobilisieren, um alle zusammen für günstigen Wohnraum und eine allgemein bessere Situation in den Wohnheimen zu kämpfen.

 

*Der echte Name ist der Redaktion bekannt und wurde für dieses Interview geändert.

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